Und wieder sind wir in Chamonix, in diesem wunderbaren Spielplatz für Bergsteiger. Diesmal mit Thomas "Banker's approach". Geplant sind zwei Gullies, das eine ein Ultraklassiker, das andere eine bei uns total unbekannte, aber nicht minder lohnende Tour. Am Anreisetag liegt natürlich nichts Grosses mehr drin, aber zum Glück liegt in unmittelbarer Nähe der Cosmique-Hütte das Chèré-Couloir, eine ideale Angewöhnungstour. Wir klettern die ersten drei Seillängen, wobei es schockierend ist zu sehen, wie stark diese Wand von Jahr zu Jahr an Eis verliert. Den ersten Stand liegt mittlerweile etwa drei Meter über dem Eis! Vor zwei Jahren konnte ich hier noch bequem die Bohrhaken einhängen. Zudem hat es in der ersten steilen Länge schon sehr viel Fels. Wenn es so weitergeht, ist hier bald ordentlich schwierige Mixed-Kletterei anstelle des Eis-Gepickles angesagt.
In der Cosmique-Hütte geniessen wir die unglaubliche Aussicht auf die Gletscher. Etwas Sorge bereiten uns die etwa dreissig anderen Bergsteiger. Hoffentlich greifen die nicht alle das Supercouloir an!
Am Samstagmorgen starten wir um viertel vor sechs. Das Kopfweh vom vollen, überheizten und ungelüfteten Zimmer hat sich glücklicherweise verfolgen. Abfahrt bis unter den Tacul, dann kurzer Aufstieg bis an den Bergschrund, wo wir um viertel vor sieben ankommen. Eine deutsche Seilschaft ist bereits am Einstieg der (ziemlich trockenen) Direktvariante. Wir nehmen den genüsslicheren Weg über den Gervasutti-Pfeiler. Im Bild eingezeichnet die Route.
Der Bergschrund geht (anders als bei den Touren im Argentiere-Gebiet) wirklich problemlos. Am Fels wechseln wir von den Skischuhen zu den Kletterfinken. Das macht zwar den Rucksack schwerer, erleichtert aber die Kletterei enorm. Wir wählen den linken Einstieg: Zuerst drei Meter feingriffig (1 Nh) hoch, dann über Stufen bis zu einem (schlechten Stand) etwa 20 Meter über dem Boden. Thomas führt dann die zweite SL, um die Kante herum und in einem wunderschönen Riss etwa 30 Meter hoch. Der Granit ist fest, die Kletterei (etwa 5b) in der Sonne genüsslich. Stand an zwei Bh.
Jetzt kommt die Schlüssel-SL: Eine leicht ansteigende Traverse nach links zur Pfeilerkante. Links der Kante hat es eine steile Verschneidung. Eine grossgriffige Schuppe ist leider lose: Nervosität. Zum Glück hat es etwas weiter oben einen neuen Bohrhaken. Es geht in steiler, grossgriffiger Kletterei hoch, über eine weitere grosse Schuppe, bis man einen Nh links klinken kann. Jetzt kann man sehr fein nach links traversieren und erreicht einen Bh-Stand. Die Schwierigkeiten dieser SL liegen bei einem guten 5c. Die Strategie mit den Kletterfinken hat sich übrigens ausgezahlt, eine nachfolgende Seilschaft, die mit den schweren Schuhen klettert, verliert viel Zeit und kehrt schliesslich um.
Von hier steigt Thomas etwa dreissig Meter hoch, bis er einen Schlingenstand machen kann. Hier wechseln wir von den Schlappen zurück zu den Skischuhen, denn jetzt ist das Eis das dominierende Element!
Eine leichte Traverse auf einem Schneeband, dann erreichen wir das Couloir etwa um 10 Uhr. Die deutsche Seilschaft ist bereits weit oben, von der anderen Seilschaft, die den Direkteinstieg probiert, ist nichts zu sehen (die sind nämlich auch umgekehrt, wie wir später erfahren haben).
Das Couloir ist eindrücklich und sehr anhaltend, wenn auch nicht allzu schwer. Die erste Seillänge etwa Wi3, die zweite etwa Wi3+.
Und natürlich dieser wunderschöne Aus- und Tiefblick!
Die dritte SL checkt bei etwa Wi3 ein, danach folgen zwei ein bisschen einfachere (etwa Wi2+) Seillängen. Das Eis ist gut ausgehackt, zum Glück, denn es ist trotz der warmen Temperatur kalt und spröde. Im Bild im Hintergrund die Schlüssel-SL.
Als abschliessende Krönung folgt die oberste und gleichzeitig Schlüssel-SL. Wi5 ist im Vergleich zu den Wasserfällen bei uns wohl etwas zu hoch gegriffen, aber ja, es ist schon anhaltend 70-80°, mit einer etwa 6 Meter langen senkrechten Passage. Ich hätte jetzt etwa Wi4+ veranschlagt. Dank den Tritten und Hooks geht das prima, aber man spürt jetzt auch die Höhe!
Hier sieht man etwas die Steilheit der Seillänge. Und dazu die saugende Tiefe!
Dann erreiche ich den obersten Stand, um etwa 13 Uhr. Der Weiterweg zum Tacul wäre jetzt noch weit... Chapeau vor den beiden Deutschen, die weitergestiegen sind! Wir wählen den Easy way und seilen ab. Die Stände sind alle neu eingerichtet. Um 14:30 sind wir zurück am Einstieg. Hier nochmals die Tour im Überblick:
Mit den Skis fahren wir jetzt runter zur Requin-Hütte. Teilweise ist es eine Buckel-Piste, mit dem schweren Rucksack richtig ätzend! Beim Käse-Plättli lassen wir den Tag noch einmal Revue passieren.
Facts:
Supercouloir, AS-, IV, Wi5, 5c, 400m.
Material: Eisschrauben, Klemmkeile, Friends. Kletterfinken lohnend!
Ein Extremklassiker, von der Linie her wohl einzigartig in den Alpen, ja weltweit (abgesehen natürlich vom 'grossen Bruder' am Fitz Roy).
Ein Extremklassiker, von der Linie her wohl einzigartig in den Alpen, ja weltweit (abgesehen natürlich vom 'grossen Bruder' am Fitz Roy).
Topo vom Gervasutti-Einstieg:
Für den nächsten Tag haben wir ein Kontrastprogramm geplant, jedenfalls was die Bekanntheit der Tour angeht. Auf die Sorensen-Eastman am Col du Requin bin ich durch einen Blog mit tollen Bildern aufmerksam gemacht worden. Um viertel nach sechs laufen wir los, kurze Abfahrt, dann über die hart verfirnten Hänge, immer unter den Felsen des Dents du Requin hochsteigen. Nach etwa einer Stunde sieht man direkt in unsere Linie, die am Morgen für etwa eine Stunde in der Sonne steht:
Eine grossartige Szenerie! Und dazu die absolute Einsamkeit, was für ein Kontrast zu gestern.
Der Bergschrund lässt sich über eine (solide) Brücke überqueren, bald sind wir an der ersten Seillänge.
Diese ist grad schon mal spannend, auf etwa 6 Meter praktisch senkrecht, dünnes Eis, dazu etwas Fels, aber superweich und perfekt zu klettern. Wenn da nur nicht der Spindrift von oben wäre! Ich würde etwa M4- veranschlagen. Es folgt ein Schneecouloir, unterbrochen von einer weiteren kurzen Eis-Stelle Wi3.
Dann eröffnet sich uns der Blick auf die beiden Schlüssel-Seillängen. Sieht absolut bombastisch aus! Und ist es auch. Thomas führt die erste Länge, die über ein Felsschild führt, etwa 80°. Das Eis ist gerade genug dick für die 13er Schrauben, und dazu perfekt weich, richtige Genusskletterei!
Blöderweise trifft mich genau im Moment des Fotografierens ein Spindrift, deshalb sind die weiteren Fotos etwas trüb geworden...
Die nächste Seillänge ist der Überhammer. Laut Führer Wi5+, gefühlt etwa Wi5-. Bestes Softeis, anhaltend 80°, in der eisgefüllten Verschneidung oben bis zu 90°. Dazu bestes Eis, genug dick zum Schrauben.
Besonders faszinierend sind die grossen Schneepilze, die fast schon Himalaya-Atmosphäre geben.
Im oberen Teil wird die Kletterei markant einfacher, aber immer noch abwechslungsreich: Eine SL etwa Wi2, dann nochmals Wi2+, gefolgt von zwei SL bis etwa Wi3-, stellenweise dünnes Eis.
Schliesslich erreichen wir den grossen Kessel kurz unter dem Col. Die letzte Seillänge schenken wir uns aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, laut einem älteren Eintrag ist die auch komplett trocken in diesem Jahr. Das Abseilen geht mehr oder weniger reibungslos, auch wenn die Stände ausschliesslich an Normalhaken sind und man sich deshalb etwas 'leichter' machen sollte beim Abseilen.
Um 15 Uhr sind wir zurück am Bergschrund. Jetzt heisst es pressieren, denn um 16 Uhr fährt die letzte Bahn in Montenvers. Über tiefe Sumpfhänge runter auf den Gletscher, diesen runter. Zuunterst müssen die Skis etwa 20 Minuten getragen werden. Es ist 16 Uhr! Shit, wir schaffens nicht! Zum Glück verspricht ein Lautsprecher, dass die letzte Telecabine um 16:15 fährt. Nochmals einen drauf geben und die etwa 100hm hochseckeln zur Bahn. Geschafft! Das Bier und der Salade à chevre chaude haben wir uns hart verdient!
Facts:
Col W du Requin, Sorensen-Eastman, SS+, IV, Wi5+.
Material: Eisschrauben (genug Kurze!). Kk und Friends zur Zeit nicht notwendig, kann sich aber von Jahr zu Jahr ändern. Evtl. Hammer um die Stände zu festigen.
Eine absolut grandiose Tour, die den Touren am Tacul in Nichts nachsteht. Düsteres Ambiente in grosser Abgeschiedenheit. Dank eingerichteten Abseilstellen aber nicht so ernsthaft, die der Grad IV vermuten liesse.
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