Montag, 9. Mai 2016

Dirruhorn - der unlohnendste 4000er?

Das Dirruhorn gilt nicht gerade als der Traumberg per se. Im Gegenteil, in unmittelbarer Nähe zum höheren und schöneren Nadelhorn und Hohbärghorn fristet es ein Schattendasein. Zudem haben die Aufstiege im Sommer einen schlechten Ruf, brüchiger Fels, steinschlägige Couloirs. 
Obschon ich kein 4000er-Sammler bin, hat es mich immer etwas gewurmt, dass ich damals bei einer Begehung des Nadelgrates das Dürrenhorn ausgelassen hatte (respektive, wir sind damals direkt auf das Hohbärghorn über die N-Wand gestiegen). Und extra ein Sommer-Wochenende für diesen Bruchhaufen zu investieren war mir immer zu schade. Ich weiss nicht, weshalb ich vor einigen Tagen die spontane Eingebung hatte, das Dirruhorn im Rahmen einer Frühjahrs-Skitour zu besteigen. Jedenfalls liess sich Sophie sofort von diesem Plan begeistern, denn auch ihr 'fehlt' dieser Berg noch im Palmares. Um die Tour auch skifahrerisch noch etwas aufzuwerten, planen wir nach dem Dirruhorn noch den Balfrin zu besteigen und über dessen Nordflanke ins Saastal abzufahren. 

Unsere Tour beginnt am Mittwochmorgen, als wir mit dem Zug und Postauto das kleine, ausgestorbene Bergdorf Gasenried erreichen. Wunderschönes Wetter, aber recht kalt - ideale Verhältnisse für einen Hüttenaufstieg im Mai. Zuerst ist allerdings eine Portage von etwa einer Stunde angesagt, ab 2000m liegt dann genug Schnee für die Skis. Der Hüttenweg zieht sich noch, zudem ist der Schnee ab etwa 2400m noch nicht vollständig umgewandelt es erfordert etwas Spuraufwand.
Aber eigentlich ist es wirklich cool, es herrschen perfekte Verhältnisse und wir sind völlig alleine in diesem vergletscherten Gebirgskessel. Es ist mir bis jetzt ein Rätsel, warum nicht mehr Leute in diese Gegend gehen - uns soll es recht sein. Nach etwa viereinhalb Stunden erreichen wir die Bordier-Hütte. Einen separaten Winterraum gibt es nicht, und so feuern wir bald darauf den Hüttenofen ein. 
Den Nachmittag verbringen wir geruhsam mit Lesen und Chillen. Schliesslich steht uns ein strenger Tag bevor! Hier das Dirruhorn im letzten Abendlicht.
Am nächsten Morgen starten wir um 4 Uhr. Wir erkennen wenige hundert Meter hinter uns eine Zweierseilschaft, die offenbar eine Tagestour macht. Die Spurarbeit nimmt sie uns allerdings nicht ab - und die hat es in sich. Spätestens ab etwa 3300m wird der Schnee pulvrig und tief. Nix mit glattem Firndeckel! Der kurze Aufschwung am SW-Ausläufer des Balfrins ist nicht besonders gut eingeschneit, wir gehen am langen Seil. Danach erreichen wir das flache Gletscherplateau, das Gelände wird einfach, das Spuren bleibt streng. Sonnenaufgang am Hohbärghorn...
... und an den Bergen auf der anderen Talseite.
Jetzt sieht man auch 'unsere' geplante Linie am Dirruhorn: Wir klettern das linke Couloir hoch, dann über den langen SE-Grat auf den Gipfel. Ein interessantes Projekt scheint auch die zentrale Rinne zu sein.
Der Zustieg zur Wand ist zäh, der Schnee bleibt tief und etwas klebrig.
Schlussendlich erreichen wir nach knappen drei Stunden dann doch noch den Mini-Bergschrund. Der unterste Hang ist mit etwas unter 40° noch nicht arg steil und lässt sich dank gutem Pulverschnee sogar mit Skis begehen. Bald aber wechseln wir auf die Steigeisen. Das Couloir selber bietet ordentliche Aufstiegsverhältnisse, etwas tief, dafür nirgends aufgeweicht oder blank. Ich binde mir die Skis auf, mein Plan ist es das Couloir wenigstens teilweise zu fahren. Hier der Tiefblick am Ausstieg:
Jetzt folgt der Fussaufstieg über den SE-Grat. Und dieser hat es noch in sich: Zwar ist der Grat grösstenteils wirklich einfach, es liegt aber recht viel unverfestigter Schnee, die Spurarbeit ist einmal mehr streng. 
Die schwierigsten Stellen folgen auf den letzten Metern zum Gipfelkreuz und bewegen sich im oberen zweiten Schwierigkeitsgrad. Insgesamt brauchen wir etwas über eine Stunde für den Grat, um 9:15, also nach rund fünf Stunden, stehen wir auf dem Gipfel des Dirruhorns. Eine erstaunlich lässige Tour für einen so blöden Berg!
Der Rückweg ins Pässchen geht dann dank gemachter Spur effizient. Ich trage die Skis noch bis über die erste Engstelle im Couloir, dann beginnt die Adrenalin-Abfahrt! Ich muss zugeben, dass ich noch nicht allzuviel Erfahrung im Steilwandfahren habe, mit einer Steilheit um die 45° ist es grad etwa das Limit von dem was ich mich getraue. Die Schneeverhältnisse sind zwar gut, aber nicht ganz perfekt. Nach einem ersten Turn merke ich, dass meine Dynafit Radical Bindung hinten lottert - leider ein bekanntes Ärgernis. Beim zweiten Turn rutsche ich hinten promt raus. Dies ist mir dann etwas zu unangenehm, und ich rutsche die nächsten 50m ab (Asche auf mein Haupt). Dann neigt sich das Couloir etwas zurück, und ich getraue mich trotz lödeliger Bindung das Couli abzufahren. Hier Sophie am Powdern, man erkennt noch meine Spuren im Couli etwas rechts der Mitte.
Jetzt war eigentlich angedacht, auf einem harten Firndeckel die zwei Kilometer bis an den Südfuss des Balfrins im Schuss zu fahren. Daraus wird natürlich nix. Nach wenigen Metern fellen wir wieder an und spuren die lange Strecke zeitraubend. Der Aufstieg auf den Balfrin selber geschieht zuerst über die Südflanke, doch diese ist mit etwas unter 40° einfach ein Tick zu steil für bequemes Gehen, zudem hat es relativ viele Felsen. So queren wir auf etwa 3700m auf den Südgrat raus. Dieser ist zwar wirklich trivial, nur liegt hier sogar noch etwas mehr Schnee als am Dirruhorn. Wir versinken teilweise hüfttief, und meine Kraft und Moral sinkt ins Bodenlose. Es wird ein richtiger Krampf, völlig ausgepowert erreichen wir um 13 Uhr den Gipfel des Balfrins - er wird uns in schlechter Erinnerung bleiben!
Doch die Abfahrt wird uns für alles entschädigen! Die obersten 400hm sind noch nicht so doll, ein windbearbeiteter Hartschnee. Danach aber Powder vom Feinsten! Es kommt relativ selten vor, im Mai im Hochgebirge Pulver anzutreffen, das hier ist wohl eine meiner besten Abfahrten überhaupt. Das Gelände ist bis auf etwa 2900m recht anhaltend steil und teilweise verschrundet, bei schlechter Sicht wäre es ziemlich heikel. Nach der Querung auf die Westseite wird der Schnee sulzig und erlaubt wiederum schöne Schwünge.
Entgegen meinen Befürchtungen reicht der Schnee noch bis auf etwa 1900m runter. Leider verpassen wir den besten Moment, auf den Wanderweg rüberzuwechseln, was uns ein letzter Kampf mit den Elementen beschert (in diesem Falle mit den Erlenbüschen). Immerhin, der Fussmarsch nach Schweibu ist mit knappen 30 Minuten völlig im Rahmen, und bald schweben wir mit dem Bähnchen zurück in die Zivilisation. Und da sage noch wer, dass das Dirruhorn eine blöde Tour sei!

Facts:
Dirruhorn als Skitour, SS (45°), Fussaufstieg WS.

Warum macht niemand das Dirruhorn im Frühling? Eine tolle, grosse Skihochtour mit gutem Skigelände und einem moderat langen Fussaufstieg. Die Kombination mit dem Balfrin ergibt eine strenge und lange Tour mit einer super Abfahrt.

Material: Skihochtourenmaterial inklusive Pickel, Steigeisen und Seil. Das Gebiet ist oftmals nicht gut eingeschneit, und es hat doch einige Spalten.