Samstag, 28. Juli 2012

Petites Jorasses Anouk

Der Cordier-Pfeiler letzte Woche hat definitiv Lust auf mehr Fels von der Sorte Chamonix 1a gemacht! Die Petite Jorasses steht etwas abgelegen in einem der weniger begangenen Ecken vom Mont Blanc Massif, direkt gegenüber der gigantischen Nordwand der Grandes Jorasses. Sie besticht vor allem durch ihre riesige Westwand, welche sich in gigantischen Plattenschüssen, durchbrochen von mehreren Dächern, fast 700m über zerschrundeten Gletschern erhebt. Durch diese Wand ziehen sich mehrere Routen, von denen der Klassiker "Contamine" und die moderne Piola-Kreation "Anouk" weitaus am häufigsten begangen werden. 
Nachdem Chrigu und ich die Leschaux-Hütte über den etwas mühsamen Gletscher (inklusive heikle Gletscherfluss-Traversierung - besser gleich nach Montenvers auf die linke Seite wechseln) erreicht haben, steigt natürlich die Lust auf Fels-Kontakt. Gelegenheit bieten die etwa 20 Minuten oberhalb der Hütte gelegenen Mehrseilrouten an der Pointe Daniel. Wir klettern die ersten 4 Längen der Route "Dark Crystal" 6b, ein leichtverdaulicher Spass, Chamonix-untypisch mit vielen Bohrhaken versehen. Friends und Keile können getrost am Einstieg gelassen werden. Topos liegen auf der Hütte oder hier:
Das Abendessen gibt es auf der Hüttenterrasse. Die Hüttenwartin ist eine äusserst sympathische Frau, ist neben dem Refuge Plan d'Aiguille die wohl am besten bewartete Hütte im Gebiet.
Hier ein Verhältnis-Bild von der "Jojo". Hat wohl noch ein Tick zuviel Schnee.
Am nächsten Morgen starten wir um vier Uhr. Gleichzeitig mit uns unterwegs eine schräge Truppe von Koreanern, die sich am Walkerpfeiler versuchen (nachdem sie gestern abend noch stundenlang ihre Seile entwirrt haben). Der Zustieg dauert etwa zwei Stunden und geht problemlos im Dunkeln, mit Vorteil hält man sich in der Mitte des Gletschers und quert erst kurz vor der zerschrundeten Steilpassage nach links, um so über leichte Firnfelder zum Einstieg zu gelangen. Der Bergschrund ist wirklich harmlos, ein bequemes Band erlaubt die Kletterfinken trockenen Fusses anzuziehen. Und los geht es!
Weil wir zu weit rechts eingestiegen sind, verpassen wir die erste 4+ Länge und klettern gleich zum zweiten Stand, etwas wacklige Kletterei im Bereich 5c. Die dritte Länge bietet auch gleich die schwierigste Einzelstelle, 6b+ A0 über ein Dächlein. Klettert sich mit kalten Fingern morgens um 7 Uhr irgendwie nicht so flüssig. Danach wird es wieder leichter. Über mehrere Seillängen im Bereich 6a nähern wir uns den grossen Dächern.
Bis jetzt ist der Fels allerdings alles andere als begeisternd. Vom Charakter her eher plattig, mit scharfen, dünnen Schüppchen. Nicht dieser eisenharte, rote Granit mit den grossen Rissen. Aber an etwas fehlt es nicht - Bohrhaken! Dazu muss gesagt werden dass man auch nicht wirklich gut selber legen könnte, wenn, dann am ehesten Messerhaken. Chrigu cruist hier irgendwo im Bereich von L7. 
Links oben ist das grosse Dach, welches in der folgenden Länge spektakulär überwunden wird. Die Länge checkt bei 6b ein und ist wirklich cool, senkrechte Kletterei an grossen Schuppen, welche auf Zange genommen werden müssen. Der 6b-Zug ist insofern obligatorisch als dass der Bohrhaken auf Fusshöhe steckt, aber irgendwie eben doch viel einfacher als ein Chamonix-6b an Handrissen, abgesichert mit windigen Friends.
Und immer wieder... der Walkerpfeiler! Die Koreaner kämpfen sich immer noch den Gletscher hoch. Eine Dilettantentruppe sondergleichen!
Nach der Dachzone ändern sich die Felsqualität und der Charakter der Kletterei radikal. Der Granit ist hier extrem stark strukturiert, die Kletterei ist jetzt richtige Wandkletterei an Leisten und Chickenheads, Risse sucht man vergebens. Das geht wirklich prima, die Absicherung ist gut, man gewinnt rasch Seillänge um Seillänge. Allerdings fehlt halt irgendwie auch der Abenteuerfaktor von den Chamonix-Klassikern. 
Als besonders schön blieben mir L16 6a+ und L18 6a+ in Erinnerung, die erste besticht durch steile Wandkletterei an Chickenheads, zweitere durch leicht überhängende Henkelkletterei an runden Untergriffen. Ein Hochgenuss, wobei sich mittlerweile allerdings doch etwas die dünne Luft auf 3600m, die schon etwas müden Arme, und die engen Kletterfinken bemerkbar machen. Ein letzter Effort führt uns über drei leichtere Längen auf den Gipfel.
Es ist mittlerweile 13 Uhr, wir sind an der Sonne, und zum ersten Mal seit dem Einstieg sind die Hände warm! 
Das Abseilen geht direkt über die Route, und klappt wirklich prima. Dank den gebohrten Ständen diesmal ohne Herzklopfen, und der Fels ist auch nicht wirklich seilfressend, so kommen wir ohne Verklemmer in weniger als zwei Stunden zurück an den Einstieg. 

Facts:
Petites Jorasses Westwand, "Anouk", 6b A0 (6b oblig.), 21 Seillängen, 650m Kletterstrecke
Eindrückliche Kletterei in einem abgelegenen Winkel des Gebiets. Hier darf man (im Gegensatz zu den meisten Klettereien im Mont Blanc Gebiet) wirklich von einer Plaisir-Tour sprechen. Absicherung Plaisir-Standard "gut", ein reduziertes Set Friends (eher die kleinen Nummern bis 1) und Keile reicht völlig. Vorwiegend Wandkletterei, der Fels ist gut, im oberen Teil sogar wirklich toll. Die Wand ist meines Erachtens sehr steinschlag-sicher, da es keine nennenswerte Geröllbänder hat.
Material: Reduziertes Set Friends und Keile, 12 Expresse, Pickel und Steigeisen für den Zustieg. Topo hier.

Am nächsten Tag soll es noch etwas für die Psyche geben, bevor wir uns auf den Abstieg machen. Leider findet man über das Internet kaum Topos von den Routen im Bereich der Couvercle- und Leschaux-Hütte. So müssen wir das Topo im Ordner auf der Hütte mit dem Smartphone fotografieren. Wir entscheiden uns für die Route "Trotte Marmotte" 6c an der Aiguille Pierre Joseph. Nur, mit Murmeli und herzig und so hat die Route wenig zu tun. Hier gibt es (im Gegensatz zu gestern) die volle Dröhnung von Chamonix-Psycho. Schon die erste Seillänge 6a+ gibt den Tarif durch. Zwar mit Bohrhaken abgesichert, müssen doch die wackligsten Plattenaufsteher ein bis zwei Meter über den Bohrhaken getätigt werden. Etwas leichter verdaulich ist die zweite Länge. Wirklich zur Sache geht es dann in der Schlüssellänge 6c. Ein cleaner Fingerriss, danach noch 20 weitere cleane Meter im Bereich 6a. 
Auch die vierte Länge bietet Spannung und Abenteuer. Sie checkt im Bereich 6b ein, ebenfalls clean, und der Schlüsselzug ist auch wirklich obligatorisch, der letzte Keil steckt etwa ein Meter unterhalb. Die fünfte Länge schlussendlich ist wieder mit Bohrhaken versehen und führt und flechtige Platten und kleine Dächer. Schwierige Orientierung!
Wir brauchen länger als geplant. Immerhin, auch hier geht das Abseilen tiptop. Beim Rückweg gibt es noch ein paar Bonus-Höhenmeter: Ein Versuch, direkt vom Einstieg auf den Leschaux-Gletscher abzusteigen, wird in einer üblen 45° steilen Riesenmoräne aufgegeben. Von oben gesehen am rechten Rand hingegen wäre es gegangen - wie wir später vom Couvercle-Hüttenweg aus sehen!

Facts:
Aiguille Pierre Joseph, "Trotte Marmotte", 6c, 6b oblig, 5 SL.
Anspruchsvolle Klettertour, tricky Plattenstellen abwechselnd mit schwierigen cleanen Rissen. Solide Vorsteigerpsyche notwendig, da die schwierigen Züge oft über den Bohrhaken resp. Klemmmaterial gemacht werden müssen. Bis etwa halb eins im Schatten. 
Material: Volles Set Friends bis Nr. 2, zudem volles Set Keile (vor allem für L4). 

Andere Routen an der Aiguille Pierre Joseph:


Freitag, 20. Juli 2012

Cordier-Pfeiler

Vielleicht hat man sich schon gefragt, ob dieser Blog ins Nirvana gegangen sei... dem sei versichert, nein! Aber eine Kombination aus viel Arbeit und fast permanent schlechten Wetters hat schlussendlich zu der dreimonatigen Pause geführt. 
Nun ja, am Montag fahren Peter und ich hochmotiviert nach Chamonix mit dem Ziel, ein Abenteuer zu erleben. Nachdem allerdings eine Kaltfront etwas mehr Schnee als erwartet gebracht hat, wurden die Ziele kurzfristig noch etwas redimensioniert. Wir einigen uns schlussendlich auf den Cordier-Pfeiler am Grand Charmoz. Versprochen wird klassische Kletterei und alpines Ambiente - dies natürlich im besten Chamonix-Granit. 

Am Dienstag geht es zur Akklimatisation und zum 'Anpsychen' an den Pilier Rouge de Blaitière. Wir peilen die Route "L'eau rance d'Arabie" an, die bei etwa 6b eincheckt. Die interessanten Wolkenstrukturen in der Höhe deuten an, dass die Wahl einer etwas niedriger gelegenen Wand durchaus richtig ist.
Da der Pfeiler nach Westen exponiert ist, gibt es erst ab etwa 12:30 Sonne. Die ersten vier Seillängen werden im Schatten und mit entsprechend kalten Fingern absolviert. Wobei die erste Seillänge mit 6b auch gleich die Schlüsselstelle ist. Ein etwas schmieriger Fingerriss in einer glatten Platte, immerhin mit Bohrhaken!!! gut abgesichert. Weiter oben wird es etwas leichter verdaulich, wobei auch hier gelegentlich mal eine Prüfung in Form eines schwierigen Zuges, abgesichert durch ein mobiles Klemmgerät, auf den Kletterer wartet.
Wirklich begeisternd sind dann die beiden letzten Seillängen in rotem, gut strukturierten Granit. Bei der 7. Länge kann ein 4er Camalot gute Dienste leisten. Zum Ausklettern gibt sich Peter noch einen 6c-Riss als Baseclimb im rechten Teil der Wand.

Facts:
Pilier Rouge de Blaitière, "L'eau rance d'Arabie", 6b, eine Stelle A0.
Schöne Risskletterei, Bohrhaken dort wo nicht selber gelegt werden kann, gebohrte Stände. 
Material: Vollständiges Set Friends, evtl. 4er Cam für die 7. Länge.

Nur geht es schwer bepackt zum Biwak auf der Moräne des Nantillons-Gletschers. Von hier aus wollen wir am Mittwoch früh zum eigentlichen Ziel des Trips starten, dem Cordier-Pfeiler. Beim Biwak, welches direkt am Zustiegsweg liegt und Platz für drei Leute bietet, hat es leider kein Wasser, so müssen wir halt Schnee schmelzen. Im Hintergrund der Grand Charmoz mit dem mittigen Cordier-Pfeiler.
In der Nacht bereue ich es ein bisschen, dass wir nicht im Refuge Plan d'Aiguille übernachtet haben. Allerdings darf man ja durchaus etwas Commitment erwarten bei einer solchen Unternehmung. Es muss allerdings gesagt werden, dass sich das Biwak schlussendlich kaum lohnt. 
Anyway, um 5 Tagwache, etwa um 6 gehts los, und um viertel vor sieben erreichen wir den Einstieg. Der Schrund lässt sich problemlos überwinden. 
Ich kämpfe wieder einmal mit meiner morgendlichen Motivationsschwäche. Die erste Seillänge über einen leichten Riss geht allerdings problemlos, ausser dass ich in der Hektik mein Abseilgerät in den Schrund fallen lasse. Peter zieht hier das schwerere Los und muss in der zweite Länge mit einer ekligen Rissverschneidung kämpfen. Cotation Chamoniard V+, fühlt sich eher an wie 6a+. Nach einer etwas besseren 5er Länge (nicht zu früh nach links über die sandige Platte, sondern rechts den Rissen nach) erreicht man leichteres Gelände und gelangt an den Fuss eines imposanten Steilaufschwunges. Dieser wird in einer tollen 6a-Länge mit steilen Rissverschneidungen überwunden. Der Weg ist allerdings dank vielen Normalhaken vorgegeben und lässt sich problemlos noch zusätzlich absichern.
Es folgt wieder leichteres Gelände, die V-/A0 Stelle im Topoguide haben wir nicht gefunden, hingegen einen kurzen 'Überwindungszug' in eben dieser Seillänge. Etwas deftigeren Stoff bietet dann die erste 'berühmte' Stelle, der S-Riss nach links. Mit flauem Gefühl im Magen starte ich ins Ungewisse. Wobei, schlussendlich geht es gäbig und lässt sich auch wirklich problemlos mit kleinen Friends absichern.
Es folgen mehrere Seillängen immer entlang einer mehr oder weniger markanten Verschneidung. Die im Topoguide mit 6a bewertete Länge fand ich im Vorstieg eher leichter, zudem hat sie wirklich sehr viele Normalhaken. 

Auch die beiden nachfolgenden Fünfer-Längen gehen gut zur Hand. Wirklich grauslig ist dann die 3er Länge aufs Band: Ein Trümmerfeld aus abschussbereiten Blöcken, die unweigerlich auf nachfolgende Seilschaften fallen. Dafür erreichen wir endlich die Sonne! Wobei, der Faserpelz wird nicht ausgezogen, es weht ein etwas bissiger Wind.
Über leichtes, sehr schönes Gelände geht es weiter. 


Nach drei problemlosen Seillängen wird das Gelände wieder steiler. Der krönende Abschluss der Tour wartet! Es beginnt mit einer sehr langen (51m) Seillänge: Zuerst fast senkrechte Kletterei an bizarren Strukturen, dann ein steiler Handriss, gefolgt von einer Kaminverschneidung. Dies alles an rotem, mit Knobs übersätem Granit. Definitiv eine der besten Längen, die ich je im Granit geklettert bin!
Die folgende Länge ist wieder etwas leichter, wiederum ein Hand-/Faustriss, mit tollem Tiefblick auf den Gletscher. 
Die letzte schwierige Seillänge zeigt uns dann, dass wir den 4er Cam nicht vergebens hochgetragen haben. Wiederum ein Riss, wiederum herrlich luftig, steil, und natürlich clean. Wirklich atemberaubend. Die Bewertung V+ ist natürlich reines Understatement, für Unsereins ist die 6a+ aus dem Topoguide wesentlich näher an der Realität.
Nach zwei leichten Längen dann erreichen wir den Gipfelgrat des Charmoz. Ein herrliches Gefühl! Gar nicht so einfach ist dann die Querung über die bizarren Zacken zur Abseilstelle des Carrée, bestehend aus einer dicken blauen Reepschnur um einen Block. In etwa fünf Mal abseilen (lieber etwas kürzere Längen machen, um Seilverklemmer zu vermeiden) erreichen wir leichteres Gelände. Man quert nach Norden, seilt noch einmal 50m ab, und erreicht wieder die Schulter. 
Wie auf Eierschalen seilen wir über die Grusellänge ab. Dann folgt endloses Abseilen über die Route, fast immer an Normalhaken. Nicht so mega geil, aber gehört halt zum alpinen Ambiente.
Endlich, nach über drei Stunden Abstieg, erreichen wir wieder den Einstieg. Glücklich über das tolle Erlebnis, erleichtert das alles gut gegangen ist. Und umso besser schmeckt auch das Essen und das wohlverdiente Bier, welches uns im Refuge um halb 9 serviert wird!

Facts:
Grands Charmoz, Cordier-Pfeiler, SS, 6a+, 25 SL
Eine der grossen Felstouren in den Aiguilles de Chamonix. Sehr anhaltend im fünften und sechsten Grad, die Kletterei spielt sich vor allem an Rissen und Verschneidungen ab. Die Kletterei wird nach oben hin immer besser und auch anspruchsvoller. Unten relativ viele Normalhaken, ab dem Band praktisch clean. Der Abstieg vollzieht sich an teils etwas windigen Abseilständen. Allenfalls würde sich der Direktabstieg auf den Nantillons-Gletscher empfehlen. Sind andere Seilschaften oberhalb, kann es vor allem im Einstiegsbereich und in den drei Seillängen vor dem Band wohl zu Steinschlag kommen. Spontanen Steinschlag haben wir nicht gesehen, was aber nichts heisst.

Material: Friends, insbesondere die kleinen Grössen. Camalot 4 ebenfalls sinnvoll. Allenfalls Hammer und Reepschnüre, um die Abseilstände auszubessern.