Montag, 27. Oktober 2014

Psycho vertikal

Die Rébuffat-Terray, ursprünglich als Felsroute eröffnet, gilt mittlerweile als eine Art Prüfstein für Mixed- und Gully-Aspiranten. Etwa 500 Meter oder um die 14 Seillängen teils delikate Eis- und Mixedkletterei müssen gemeistert werden, um den an und für sich unbedeutenden Col des Pèlerins zu erreichen. Natürlich geisterte diese gewaltige Tour schon seit längerer Zeit in meinem Kopf herum, aber schlussendlich habe ich mich doch nie an dieses Abenteuer gewagt. Bis zum vergangenen Wochenende, als endlich wieder mal eine Tour mit Peter geplant war. Mit ihm als starken Partner sollte zumindest mal einen Versuch gestartet werden.
Nach einer kurzen, aber gemütlichen Nacht im Refuge Plan d'Aiguille geht es am Samstag Morgen früh los. Der Zustieg über das mit etwa 20cm Pulver bedeckte grobblockige Geröll ist wie erwartet mühsam und kräfteraubend, aber dennoch stehen wir im ersten Morgengrauen am Einstieg der gewaltigen Nordwand der Pèlerins. Das Wetter hält ebenfalls eine negative Überraschung bereit, statt des erhofften 'Grand beau' ist es stark bedeckt und beginnt sogar leicht zu schneien! Und schon bereits wenige Minuten nach Einsetzen des Schneefalls rauschen bereits die ersten Spindrifts die Wand herunter. Immerhin, der Niederschlagsradar verspricht Besserung, und so stechen wir im ersten Tageslicht los. Da der Direkteinstieg zumindest im Dunkeln ziemlich bold ausschaut, wählen wir den 'traditionellen' Einstieg, der etwas dem Eisschlag ausgesetzt ist. Allerdings ist das Gelände wirklich einfach, so im Bereich 45-50°, wir können seilfrei gehen und sind so binnen wenigen Minuten aus der Gefahrenzone draussen.
Bald wird das Gelände aber steiler und felsiger, wir seilen an. Eine erste Seillänge führt nach rechts an einen Stand. Die zweite Seillänge geht dann bereits ordentlich zur Sache: Etwa 65 Meter, bis zu 80° bester Styroporschnee, etwas lästig sind die Spindrifts, die mich im Vorstieg ordentlich einpudern. 
Die dritte Seillänge ist etwas gemütlicher und führt in einen wilden Kessel. Irgendwie kann man sich kaum vorstellen, dass es von hier eine durchgehende Eislinie nach oben gibt...
Weiter geht es zuerst etwa 20 Meter nach oben, von wo ein etwas weniger steiles Schneeband eine Traverse nach rechts erlaubt. Eine Schraube in gutes Eis gesetzt, dann wieder etwa 5 Meter abgestiegen, um so über eine kurze Steilstufe den Stand zu erreichen. Jetzt ist es mal Zeit das Topo zu studieren, welches etwas von sechs Seillängen versprochen hat. Wir haben ja bereits vier Seillängen geklettert - sind wir schon fast oben? Nein, weit gefehlt! Ernüchterung macht sich breit, als wir realisieren, dass dies erst der Zustieg war. Na toll - was erwarten uns da noch? 
Zuerst erwartet uns eine weitere Styroporschnee-Länge, cool zu klettern, insgesamt auch eher gutmütig. Spektakulär ist die nächste Seillänge, die in einem archetypischen Gully beginnt: Eine tief eingeschnittene, kaum ein Meter breite Eisrinne, gut mit Friends an Rissen absicherbar. Vom Geilsten! Nach etwa 20 Meter quere ich nach links, um über einen kurzen Aufschwung an 'Placages' (d.h. Klebschnee) den Stand zu erreichen. Grosses Ambiente!
Zu erwähnen ist noch, dass beide Seillängen deutlich über 40 Meter lang waren - und dennoch, laut Topo haben wir gerade mal die 'erste' der sechs Seillängen bewältigt. Peter startet jetzt in die 'zweite' Länge, laut Topo der Crux. Tatsächlich aber ist die Crux bei den aktuellen Verhältnissen eher gutmütiger als gedacht: Von einer wirklich guten Zwischensicherung (die auch als Stand gebraucht werden könnte) muss man etwa vier Meter an 80° Placages hochhooken, um dann eine akzeptable Zwischensicherung zu finden. Peter jedenfalls steigt souverän an den Stand, ich geniesse die geniale Kletterei im Nachstieg. Dann ist es aber wieder an mir zu übernehmen: Zuerst eine mit Cams ok abzusichernde Styropor-Verschneidung hoch. Das Gelände wird jetzt zwar ein Tick einfacher, aber mit jedem Meter, den ich über die letzte Zwischensicherung steige, steigt auch meine Nervosität. Wo führt das hin? Zurückklettern ist irgendwie keine Option mehr. Nach etwa 10 Meter Eiertanz finde ich eine etwas dicker gewachsene Stelle, wo ich eine 10er Schraube versenken kann. Jetzt steige ich wieder kurz ab, um dann nach rechts über zugeeiste Platten hochzusteigen - notabene ohne Sicherungsmöglichkeit! Phuh... psycho, psycho... Nach etwa 10 Meter ohne Zwischensicherung erreiche ich wiederum eine etwas flachere Stelle, wo sich ein guter Stand an einer 16er Schraube basteln lässt. Hier kreuzt übrigens die 'Beyond good and evil' unsere Route, ich finde aber keinen fest installierten Stand. Im Abstieg werden wir hier einen Abalakov fädeln müssen.
So richtig, richtig bösartig wird es dann aber erst in der nächsten Seillänge, die sich wiederum Peter gibt. Eine Verschneidung, etwa 15 Meter lang, bis zu 90° steil, vorwiegend an 'Placages' zu klettern. Zwischensicherung? Nun ja, ein paar halbbatzige Schüppchen erlauben Cams zu legen, nur stürzen möchte man nicht unbedingt. Peter flucht und eiert, behält aber zum Glück die Nerven. Ein paar lange Minuten und für ihn untypisch kleine Abstände später der erlösende Schrei 'Stand!'. 
Die folgende Länge gebe ich mir wiederum, sie führt über einen zwar ähnlich steilen, aber kürzeren und deutlich besser absicherbaren Fels-/Eisriegel hoch. Als nach bereits etwa 15 Meter einen Stand auftaucht, nehme ich ihn gerne. 
Mittlerweile hat uns dichter Nebel eingeholt, der für die nötige atmosphärische Untermalung der letzten Monsterlänge sorgt. Nach etwa 20 Meter relaxtem Styroporgehacke kommt die erste Prüfung in Form einer Fels-Verschneidung aus dünnem Eis, die aber immer einigermassen gut an Cams links ausen absicherbar ist. Peter lässt den Zwischenstand aus und macht eine delikate Plattentraverse nach links, um wiederum eine vereiste Verschneidung zu erreichen. Diese in recht schöner, eher wieder ein Tick gutmütigeren Eiskletterei hoch zum Stand. Und ja, wir haben ihn erreicht, den berühmten Col. Oder, um es in den Worten von Jon Griffith auszudrücken, "another Cumbrèche reached!". Mitterweile ist es schon halb vier, wir haben also doch gute siebeneinhalb Stunden bis hierher gebraucht. 
Die Abseilerei geht danach plus minus reibungslos, gestaltet sich aber ziemlich endlos... schlussendlich brauchen wir zwei Stunden bis zurück an den Einstieg. Im letzten Tageslicht erreichen wir schlussendlich das Refuge, wo die langersehnte warme Dusche auf uns wartet!

Facts
Col du Pèlerins, Rébuffat-Terray (aka Carrington-Rouse), AS-, Wi5, M4+, R, 500m, etwa 12 SL

Sehr anhaltende Eis- und Mixedkletterei. Obwohl insgesamt ordentlich absicherbar, müssen mehrere längere Runouts in teils eierigem Gelände gemeistert werden. Nur geniessbar, wenn man eine gewisse Reserve in dieser Art Kletterei hat!

Material: Das volle Rack, und zwar insbesondere die ganz kleinen Cams (C3 00,0,1,2) bis und mit dem gelben 2er. Dazu Keile, evtl. Schlaghaken, Zackenschlingen, und etwa 8 Schrauben, primär 10er und 13er.

Nach diesem grossen Tag brauchen wir am Sonntag natürlich etwas Leichter-Verdauliches. Und was wäre besser geeignet als einen der bekannten Gullies in der Aiguille Midi Nordwand zu probieren? Die haben ultrakurzen Zustieg und garantierten Spassfaktor. Zudem erlaubt die Zeitumstellung bersteiger-untypisches Ausschlafen! 
Etwas weniger gemütlich gestaltet sich das Aussteigen auf der Midi Bergstation, die Bahn voller Alpinisten, wir machen einen etwas nonchalanten, kurzen Sprint, um immerhin als zweite Seilschaft die Abseilstelle an der Brücke zu erreichen. Hinter uns bildet sich innert Sekunden eine ziemliche Traube an Bergsteigern. Welcome to Chamonix!
Den Einstieg der anvisierten 'Vent du dragon' erreicht man mit sechsmaligem Abseilen, im Gegensatz zu gestern nicht an halb aufgelösten Schlingen und Normalhaken, sondern an bombenfesten Bohris. 
Die die Seilschaft vor uns einen anderen Gully anvisiert, sind wir tatsächlich als Erste am Einstieg, und starten unverzüglich. Und bald wird klar, dass hier doch ein anderer Wind weht als gestern: Gut ausgehackt und perfekt an Schrauben, Schlingen und Cams absicherbar. Die ersten zwei Längen sind jedenfalls problemlos. Spektakulär ist dann die dritte Länge: Eine perfekte Eis-Verschneidung, gefolgt von einer coolen Mixed-Stelle, die von weitem trocken ausschaut, aber mit unerwarteten Glasuren aufwartet. Vom Feinsten!
Die darauf folgende Seillänge ist etwas einfacher, aber kaum weniger schön: Steile Zungen aus dünnem Eis, ein, zwei kurze Felsaufschwünge, immer super absicherbar, die reinste Freude! Einen Stand finde ich allerdings nicht, hingegen einen super Zacken in einer kleinen Grotte für einen Schlingenstand. 
Die letzte Seillänge ist nochmals unerwartet biestig, sie führt durch eine spektakuläre Rauhreif-Landschaft und zuletzt einen Stemmkamin auf den Grat.
Nun gilt es noch über den Cosmiques-Grat die Midi-Bergstation wieder zu erreichen. Einmal mehr ein super Tag in diesem schönsten Gebirge der Welt!

Facts:
Aiguille du Midi, "Le vent du dragon", SS-, M4+, 5 SL

Ein wunderschönes, modernes und sehr abwechslungsreiches Gully. Die Kletterei ist deutlich gutmütiger als in der Rébuffat-Terray! Geklettert wird hier im Verdon-Prinzip, zuerst abseilen, dann wieder hochklettern. Deshalb sollte man schon auch wirklich hochkommen...

Material: Normales Set Cams bis 2, Zackenschlingen, etwa 6 Eisschrauben (insbesondere kurze).

Montag, 13. Oktober 2014

Ein Klassiker zum Entdecken

... ist die "Wohlgenannt-Gedenkführe" an der Drusenfluh, die Sophie und ich an diesem Sonntag anpeilen. Zwar 'nur' ein Plan B, aber angesichts des durchzogenen Föhnwetters eine ganz passable Idee. Ähnlich wie bei der Bodin-Afanasieff fängt auch heute das Abenteuer schon auf dem Zustieg an - respektive sogar noch vorher. Denn irgendwie schaffe ich es, das Mobility-Fahrzeug auf dem zerfurchten Strässchen kurz vor dem Parkplatz auf dem Grüscher Älpli so unglücklich auf einen Stein zu setzen, dass tatsächlich der Pneu platzt (ok, ich stehe dazu, ich bin halt ein Mobility-Fahrer). Jedenfalls befürchten wir schon das vorzeitige Ende des Klettertages, aber zum Glück hatte ich das Vergnügen, schon im Frühling eines Radwechsels beiwohnen zu können, so dass wir zumindest mal den Versuch machen, das Rad selber zu wechseln. Und siehe da, mit etwas Anleitung studieren klappt es tatsächlich, und eine gute halbe Stunde später als geplant kann es jetzt doch noch losgehen!
Bald erreichen wir den Einstieg, ein gut sichtbarer Bolt erleichtert das Finden der Route. Sophie startet in die erste Länge, mit 4b ein gutmütiger Start. Wobei, schon nach wenigen Metern wird klar dass die 'angedrohte' Sanierung der Route zurückhaltend ausgefallen ist: Auf 40 Meter gerade mal zwei Bolts. 
Die zweite Länge checkt bei 6a ein. Eigentlich ein Grad, bei dem ich nicht viel studieren müsste - weit gefehlt. Zum zweiten Bolt darf schon mal ein paar Meter über den Haken geklettert werden. Aber phuh, der Aufschwung hat es wirklich in sich! Plattiges Anstehen, Schnappen von schlechten Auflegern, halt Rätikon vom Feinsten. Mir kommts eher wie 6b vor. Danach folgen noch etwa 10 leichtere Meter bis zum Stand, ohne Bolts, so dass auch noch die Cams zu Ehren kommen.
Wirklich deftig wird es dann in der dritten Länge. Nominell 5c, eigentlich ein lösbares Problem. Nur, es ist halt eine senkrechte Rissverschneidung, bis auf eine total vermoderte Schlinge, die kaum das Eigengewicht des Express hält, vollständig clean. Zum Glück frisst der Riss die grossen Nummern wirklich gäbig, insgesamt investiere ich einen 1er, 2er und 3er Cam auf dieser Länge. Im Bild oben ist Sophie am Ausstieg vom Riss.
Es folgt eine moderatere und etwas unschöne vierte Länge, abgesichert mit ein paar mittelprächtigen Normalhaken. So richtig gut ist dann wieder die fünfte Länge: Eine plattige 5b-Traverse in traumhaften, wasserzerfressenen Fels (was eher ungewöhnlich ist fürs Rätikon). Auch hier wird vorwiegend an Normalhaken abgesichert, wem dies zu windig ist, der darf auch wieder selber legen. Hier Sophie im Vorstieg:
Die sechste Länge ist eine weitere Traverse, etwas schwieriger als die vorherige. In der Schlüsselstelle gleich zu Beginn ist man wirklich froh, den Normalhaken hängen zu können. Der nachfolgende Move ist die Crux, bei einem nicht so sicheren Nachsteiger sollte man unbedingt noch einen Cam legen, obschon das Gelände danach leichter wird, ansonsten dieser einen Giga-Pendler macht. Fertig ist der Spass noch nicht, es folgt eine mühsame, aber irgendwie auch coole und vor allem sehr ausgesetzte Traverse auf einem fast überhängenden Gras-Balkon.
Anzumerken ist noch, dass ein Rückzug von diesem Stand aus äusserst mühsam wäre, weil man doch zwei Seillängen gequert ist. Also besser nix anbrennen lassen...
Es folgt mit 5c+ A0 (6c) rein nominell die Schlüssel-Länge. Ich versuche das Monster zuerst freizuklettern, aber da gibts wirklich nichts zu holen für mich! Anhaltend super-technisch, ich kann mir kaum vorstellen wie man die Züge machen könnte. Dazu kommt, dass zwar etwa alle 1.5 Meter ein Haken steckt, über die Hälfte davon sind aber so dünne Häkchen in Bohrlöcher, die wohl wirklich nur zum Techen gedacht sind, aber sicher nicht zum Stürzen.
Nach dieser Aufregung folgt eine leichtere 3er Länge, bevor es wieder zur Sache geht. Eine grosse Piaz-Schuppe, wobei hier (leider) doch ein paar Bolts stecken, obwohl man perfekt selber legen könnte. Zu sagen noch, dass auch diese Seillänge in bestem Fels wirklich super zu klettern ist. Sodann erreichen wir das Wandbuch, und siehe da: Jahrgang 1973, also immer noch von den Erstbegehern! Mittlerweile ist es etwa zu zwei Drittel gefüllt, was einiges über die 'Popularität' der Route aussagt.
Danach folgen noch drei leichtere Längen, eine coole 4b mit interessantem Stemmkamin, eine etwas leichtere, dafür kaum absicherbare 3er-Länge, und noch eine auch eher leichte 4er Länge zum Ausstieg. Nach knappen sechs Stunden stehen wir am Ausstieg, hinter uns eine der besten Klassikern, die ich schon geklettert habe!
Wobei, der Abstieg ist auch nicht ganz geschenkt, man muss zuerst ein paar Meter abklettern (II), dann nach Westen wieder aufsteigen (ebenfalls etwa II). Hier befindet sich eine Abseilstelle, und mit 50m erreicht man ein Grasband. Jetzt steigt man über deutlich einfachere Schrofen ab, und erreicht den Parkplatz nach knappen anderthalb Stunden.

Facts:
Drusenfluh, "Wohlgenannt-Gedenkführe", 6a A0 (12 SL)

Ein selten begangener Klassiker, der sehr zurückhaltend saniert wurde und jetzt eine tolle Klettertour in bestem Fels darstellt, bei der die Cams nicht nur fürs Foto an den Gurt gehängt werden dürfen! 

Material: 12 Exen, vollständiges Set Cams 0.5-3, vollständiges Set Keile.

Dienstag, 9. September 2014

A walk on the wild side

Der grosse Kessel auf der Nordwestseite des Mont Blanc beheimatet eine der wildesten Gletscherszenerien der Alpen. Im Juni konnte ich anlässlich der Skitour auf den Mont Blanc diese Ecke des Massivs kennenlernen. Was nur Wenige wissen, ist, dass es ebenfalls ein Gully zu entdecken gibt, der quasi auf Tuchfühlung mit den gigantischen Serac-Strömen geht. Es zieht sich durch die vom Tal aus gut sichtbare NW-Wand des Tacul, und wurde von der namensgebenden Seilschaft Bodin-Afanasieff erstbegangen. Obschon gut sichtbar auf dem Titelbild des Buches "Snow, Ice & Mixed II" platziert, gilt das Gully als Geheimtipp: Zwar technisch nicht sonderlich schwierig, ist es, wenn man den Zustieg einrechnet, eine recht komplexe und anspruchsvolle Hochtour, nicht zu vergleichen mit den 'Sportkletter-Gullies' auf der Ostseite. 
Nach dem kalten und feuchten Sommer vermuten wir gute Verhältnisse, und so wagen Thomas und ich uns zu einer eher untypischen Jahreszeit ins eisige Gefilde. Um den besten Output aus dem Wochenende zu bekommen, fahren wir am Samstag mit dem ersten Zug nach Cham und gleich hoch zur Midi. Ziel für den Samstag ist die Rébuffat in der Midi Südwand, ein Über-Klassiker mit entsprechendem Auflauf. Als wir um halb zwei Uhr Nachmittags einsteigen, brauchen wir aber keine Minute zu warten. Glücklich wähnt, wer die letzte Bahn nicht erwischen muss!
Eine genaue Beschreibung der Route spare ich mir, es gibt Dutzende von guten Berichten, unter anderem der von meinem Bergkollegen Marcel. Jedenfalls geht uns beiden die wirklich wunderschöne Kletterei gut von der Hand, nach etwas über drei Stunden haben wir den Gipfel bereits erreicht.
Da wir ja in die Cosmiques-Hütte wollen, seilen wir über die Route respektive über eine Linie rechts davon ab. Geht grundsätzlich ok, wobei ein etwas mühsamer Pendler notwendig ist, um die Einstiegsterrasse zu erreichen. Wäre wohl besser, bereits im oberen Teil über die am weitesten rechts liegende Route (Contamine?) abzuseilen. 

Pünktlich aufs Abendessen erreichen wir die Cosmiques-Hütte. Beim Einchecken folgt dann die kalte Dusche: Auf Nachfrage meint die Hüttenwartin, dass die Verhältnisse im anvisierten Gully wohl schlecht seien, "c'est sec". Was tun? Ich hätte wahrscheinlich den Schwanz eingezogen und eine Felstour anvisiert, Thomas hingegen favorisiert weiterhin das Gully. Schlussendlich überredet er mich, und mit dem sehr selten begangenen NW-Grat auf den Tacul wäre ja auch eine gute Fallback-Option vorhanden. Hier der Tacul im Mondlicht abends um neun Uhr:
Nach etwas unruhiger Nacht geht es um viertel vor sechs los, gerade genug spät, dass wir in der Tacul-Traverse bereits Tageslicht hätten. Im Nachhinein wären wir aber noch besser eine Stunde früher losgegangen. Jedenfalls steigen wir bis auf etwa 3800m hoch (also deutlich über den Bergschrund im oberen Bild), um dann nach rechts zu queren. Der Schnee ist hart, das Gelände erlaubt keine Fehler, und die Querung entsprechend unangenehm. Jetzt wird auch klar, warum das Gully so selten gemacht wird: Herrscht auch nur ein bisschen Lawinengefahr, ist das definitiv kein Ort zum Sein!
Der heikelste Teil dabei ist, von der mittleren 'Terrasse' aus zum Pässchen zu gelangen. Dabei hat man die Wahl, entweder einen unbekannten und beliebig unangenehmen Bergschrund im Abstieg zu überwinden, oder in 50° steilem Gelände etwa 100 Meter ganz rechts entlang vom NW-Grat abzusteigen. Wir wählen die zweite Option - geht zwar soweit ok, erfordert aber weiterhin höchste Konzentration. Schlussendlich stehen wir in besagtem Pässchen und können zum ersten Mal einen Blick auf das Gully erhaschen. Gross ist die Erleichterung, als sich da tatsächlich eine weisse Linie hochzieht!
Über schuttiges, steiles Gelände steigen wir ab, seilen zuletzt noch 20 Meter bis auf das Firnfeld ab. Das Ambiente ist wild: Gigantische Seracs, wohin das Auge blickt. Man wähnt sich am Ende der Welt, und ein Rückzug wäre zwar nicht unmöglich, aber auf alle Fälle eine nicht-triviale Hochtour!
Hier erreicht Thomas den Einstieg, unmittelbar am Bergschrund unter der brüchigen Einstiegswand. Es ist mittlerweile neun Uhr, wir haben also über drei Stunden gebraucht bis hierher. Denke, bei guten Schneeverhältnissen (weicher Schnee) könnte man eine gute halbe Stunde sparen, aber es zieht sich wirklich!
Cams und Keile sortiert, Seile eingebunden, los gehts! Nach wenigen Metern aber stelle ich mit Schrecken fest, dass mir den Monozack im Geröllabstieg abgebrochen ist. So ein Shit! Nun ja, dann muss halt Thomas den Vorstieg in den schwierigen Längen übernehmen, im Nachstieg traue ich es mir zu, quasi nur 'mit einem Fuss' zu klettern. 
Die im Führer erwähnte M3-Länge ist jetzt, im Spätsommer, einfach ein 'gewöhnlicher' alpiner 3er und bereitet keine Kopfzerbrechen. Bald stehen wir in der Eisrinne, die hier zuunterst mit hartem Firn gefüllt ist, und nur kurze Aufschwünge in weichem Eis bietet. Wir gehen parallel am langen Seil und kommen so gut voran. Nach einer Stunde erreichen wir bereits den Sockel der Aiguille Sassure. 
Hier wird das Gelände minim steiler, zudem wird es deutlich eisiger. Deshalb, und auch weil die Kletterei mit nur einem Monozack doch etwas wackliger ist, sichern wir hier von Stand zu Stand, was uns doch etwas bremst.
Bald erreichen wir die Crux des Gullies, bestehend aus zwei Aufschwüngen mit je etwa 80° steilem Eis. Das Eis ist aber gut strukturiert, und lässt sich auch mit 'reduziertem Material' gut klettern.
Hier Thomas im zweiten Aufschwung, schöne Eiskletterei - und das im Spätsommer!
Danach legt sich das Gelände deutlich zurück und wir gehen wiederum parallel. Ein paar kurze eisige Passagen, und wenig später erreichen wir die Firnschulter des Taculs. Mittlerweile ist die Zeit doch schon fortgeschritten, halb drei zeigt die Uhr. Wir haben somit fünfeinhalb Stunden für das Gully gebraucht, sicher keine neue Rekordzeit, aber angesichts der leicht erschwerten Umständen verständlich.
Da die normale Abstiegsspur vom Tacul dieses Jahr ganz oben am Gipfel verläuft, müssten wir jetzt nochmals etwa 100 Höhenmeter über die Schulter hochlaufen. Da wir aber etwas unter Druck stehen, die letzte Bahn zu erwischen, queren wir horizontal in die N-Flanke raus. Es ist nochmals steil, so um die 45°, aber der Schnee ist hier oben weicher. 
Nach dieser letzten 'Nerven-Passage' erreichen wir aber bald flächeres Gelände, und können horizontal unter der obersten Serac-Passage in die normale Abstiegsspur rüberqueren. Und dann ist es reine Form- respektive Kopfsache, vom Tacul runter und zur Midi hochzulaufen.

Facts:
Mont Blanc du Tacul, "Bodin-Afanasieff"-Gully, S+, IV, 80°

Abgelegene Eisrinne in einer wilden Ecke des Massivs. Das Gully selber ist zwar technisch einfach, aber zusammen mit dem wirklich komplizierten und oftmals heiklen Zustiegs ein nicht zu unterschätzendes Unternehmen - kaum zu vergleichen mit den Gullies auf der Ostseite!

Material: 8 Schrauben, Zackenschlingen, Set Cams und Keile. Theoretisch reicht ein Einfachseil, da man oben aussteigt. Ein Rückzug wäre schwierig, könnte aber entlang vom NW-Grat bewerkstelligt werden (ZS-Tour).

Montag, 25. August 2014

Schlechter Sommer gleich Firnsommer

Auch an diesem Wochenende stellt sich die Frage: Was kann man bei den herrschenden Verhältnissen eigentlich schlau machen? Zum Felsklettern lädt das feuchtkalte Wetter auf der Alpennordseite nicht ein. Andererseits hat der Migot-Sporn letztes Wochenende gezeigt, dass die Schneebedingungen dank dem regenreichen Sommer weit überdurchschnittlich sind. Für ein handfestes Gully oder noch härterem Stoff fehlen mir die Ideen respektive der Biss. Hingegen habe ich immer noch gute Erinnerungen an die klassischen Firnwände wie Lenzspitze oder Roseg, welche ich vor einigen Jahren begangen habe. Ein Revival dieser alpinen Spielart wäre durchaus reizvoll. 
Eine Wand, die mir bis jetzt gefehlt hat, ist die Obergabelhorn Nordwand. Sie ist vielleicht ein Tick kürzer als ihre Verwandten, dafür auch ein Tick steiler. Und zumindest optisch stellt sie Lenzspitze und Co in den Schatten: Für ein perfekteres Dreieck muss man wohl in die Anden reisen! 
Die Firnwand muss man sich allerdings hart verdienen. Es beginnt mit einem der subjektiv härtesten Hüttenanstiege, derjenige in die Mountet-Hütte. Endloses Traversieren, zermürbendes Auf- und Ab. Immerhin, die Temperaturen sind tief und das Gehen angenehm. Die Hütte selber ist gut geführt und vom alten Schlage - nix von Duschen und sonstigem unnötigen Ballast, dafür ein kompetenter Hüttenwart und gemütliche Betten. Leider verhindert der Nebel ein Blick auf das morgige Unternehmen.

Am nächsten Morgen geht es um halb fünf los - zwar etwas spät für eine solche Tour, aber bei angesagten Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt sicher nicht zu spät. Der Weg zum Coeur, dem mächtigen Felssporn, der vom Coeurgrat herunterkommt, gestaltet sich soweit problemlos. Über eine kurze Firnflanke erreichen wir das im Führer erwähnte Felsband. Dieses besteht aus einem zwar relativ einfach zu begehenden, aber eher mühsamen Geröll-Sand-Gemisch. Am besten geht man alles mit den Steigeisen, die halten im teilweise gefrorenen Geröll recht gut. Bei einem Steinmann erreicht man dann einfach die etwa 45° steile Eisflanke, welche den Zugang zur Nordwand erlaubt.
Eigentlich hatten wir damit gerechnet, hier Trittfirn anzutreffen. Aber nein - drei Zentimeter Pulver, darunter total sprödes, hartes Gletschereis. Da man hier bereits etwa 300hm über dem Wandfuss ist, wäre ein Ausrutscher absolut tödlich. Das heisst, wir beissen in den sauren Apfel und sichern uns die Flanke hoch. Immerhin, nach etwa 100 Meter erlaubt eine schneegefüllte Spalte etwas wadenschonenderes Steigen. Später legt sich die Flanke etwas zurück, und endlich erreichen wir auch besseren Trittfirn.
Durch das eher ineffiziente Gehen im Eis haben wir natürlich etwas Zeit verloren. Wir erreichen den Wandfuss erst etwa um halb neun, also gute vier Stunden nach Abmarsch in der Hütte. Die andere Seilschaft, welche etwas vor uns die Hütte verlassen hat, ist bereits an der Arbeit. Sie sind rechts aussen eingestiegen und sichern sich von Stand zu Stand. 
Wir hingegen möchten möglichst nahe der Ideallinie hochsteigen, um so die Wand voll 'auszukosten'. Wir haben uns ja nicht für Nichts hier hochgearbeitet :)
Der Bergschrund ist nicht ganz ohne und erfordert einen grossen Schritt, etwas Balance, und viel Fingerspitzengefühl. Aber bald stehen wir auf der gewaltigen Firn-Rutschbahn. 
Und - was für eine freudige Überraschung - uns begrüsst der perfekteste Trittfirn, den ich jemals in einer Firnwand erlebt habe! Einsinktiefe der Schuhe etwa 8cm, gerade so dass es die Waden nicht belastet, aber auch keinen Spuraufwand erfordert. Die Pickel greifen perfekt - es kann losgehen!
Jetzt gilt es, den Rhythmus zu finden und den Kopf abzuschalten. Zwei, dreimal halten wir inne, geniessen die Ruhe und die Ausblicke. Nach etwa einer Stunde sind wir nur noch wenige Meter vom Ausstieg, etwa 50 Meter unter dem Gipfel, entfernt. Leider wird hier der Schnee plötzlich doch noch schlecht: Ein Griess, von einem etwa 5cm dicken Deckel bedeckt. So setzen wir eine Schraube ins Eis, und sichern die letzten Meter auf den Grat. Auf dem Grat selber finde ich kein Eis und behelfe mir mit einem T-Schlitz - ein zwar oft geübte, aber bis jetzt noch praktisch nie angewendete Firn-Sicherungstechnik. Klappt tiptop, bald stehen wir beide sicher auf dem Grat. Ein eiskalter, starker Wind empfängt uns. Nach wenigen Minuten erreichen wir das Top des Obergabelhorns. Ziehen Daunenjacke an, Gipfelfoto, ein Schluck Tee. Dann machen wir uns auf den Abstieg.
Ursprünglich wollten wir eigentlich über den Coeur-Grat absteigen, aber der Blankeisteil lässt uns umplanen. Da der Normalweg via Wellenkuppe eine gute Spur aufweist, ist der Plan B schnell gemacht. Der Abstieg via NE-Grat gestaltet sich dank guter Spur problemlos, und nach knappen zwei Stunden stehen wir auf der Wellenkuppe, und blicken zurück auf 'unsere' Wand:
Von der Wellenkuppe ist es dann nochmals fast anderthalb Stunden, bis man endlich das Coci und den vielleicht besten Aprikosenkuchen des Wallis auf der Rothornhütte geniessen kann - und sich psychisch auf den 1600hm-Abstieg nach Zermatt vorbereiten kann...

Facts:
Obergabelhorn, N-Wand, S, 55°

Klassische, formschöne Firnwand mit etwas kompliziertem Zustieg. Der Abstieg vom Obergabelhorn darf auf keinen Fall unterschätzt werden - eine komplette ZS-Tour wartet dann noch auf einem!

Material: 6 Schrauben für den Fall der Fälle, Zackenschlingen und allenfalls 1-2 Cams für den Abstieg.

Migot-Sporn an der Chardonnet

Mittlerweile ist es schon über eine Woche her, seit ich zusammen mit Corina am Migot-Sporn an der Chardonnet war. Aber eine sehr arbeitsreiche Woche hat sowohl die Fotoauswertung als auch das Bloggen bis jetzt verhindert. 
Mache ich es also kurz: Am Samstag Fahrt mit dem Zug nach Montroc, von dort zu Fuss nach La Tour (allerdings gäbe es auch einen Bus, wie wir nach wenigen Gehminuten feststellen mussten). Gondelfahrt zum Col de Balme, dann gemütliche Wanderung ins Refuge Albert 1er. Das Refuge wurde im Frühling renoviert und um ein Stockwert erhöht, und ist jetzt (im Gegensatz zu früher) eine sehr gut geführte, saubere und geräumige Hütte, wo man im bequemen 5-Bett Zimmer nächtigt. Empfehlenswert!
Morgens kurz vor vier Uhr brechen wir auf. Ausser uns planen noch etwa fünf andere Seilschaften dasselbe Ziel. Einige sind schon früher los. Hier beim Anseilen auf dem Gletscher.
Wir erreichen den Migot-Sporn gute zwei Stunden später, nachdem wir einige doch recht grosse Spalten überspringen mussten. Aber immerhin, dank kalter, klarer Nacht ist der Schnee wirklich tiptop gefroren. 
Am Einstieg müssen wir etwas warten, die vorangehenden Seilschaften sind ziemlich langsam. Aber irgendwann kommen wir dran, über einen zwar grossen, aber gut zu passierenden Bergschrund und leichtes Mixedgelände erreichen wir den Spornrücken und damit die Sonne.
Auf diesem Bild überblickt man eigentlich schon fast die ganze Route, zumindest den unteren Teil. Zuerst etwa 45° steiles Schneegelände, dann die Crux-Sektion, welches eine hübsche Gully-Seillänge, etwa 65° steil ist. Hier sind wir grad kurz vor dem Gully:
Nach dem Gully folgt ein leichteres Schneecouloir, etwa 45° und rund 80 Meter lang, welches auf den Gratrücken führt. Jetzt steht uns noch die Gipfelflanke bevor, die nochmals etwa 50° steiles Firnsteigen verspricht. Die Verhältnisse hier sind sehr gut, fast perfekter Trittfirn. Einzig zuoberst ist die Schneeauflage etwas dünner, und wir setzen zur Sicherheit ein paar Schrauben und gehen am langen Seil.
Vom Ausstieg sind es dann noch wenige Meter bis auf den Gipfel der Chardonnet. Der kalte Wind lässt uns aber zügig den Abstieg beginnen. Dieser ist dank hervorragenden Bedingungen recht einfach: Zuerst ein kurzer Firn/Felsgrat, dann ein Firncouloir. Zuunterst dann noch zweimal etwa 20 Meter abseilen, um so den Gletscher zu erreichen. Insgesamt eine runde, hübsche Sache!

Facts:
Aiguille Chardonnet, Migot-Sporn, S, 65° (eine SL)

Sehr schöne, abwechslungsreiche Nordwandroute mit eindrücklichen Tiefblicken. Im Sommer sehr früh in der Sonne, was schöne Bilder gibt!

Material: Zwei Eisgeräte, 6 Schrauben, reduziertes Set Friends und Keile (insbesondere die kleinen Nummern), Zackenschlingen. Wir gingen mit dem 40m-Seil, ein 50m-Seil wäre aber insgesamt praktischer, da die technischen Stellen oft etwa 50m lang sind.

Sonntag, 20. Juli 2014

Im Reich der Tafonis

In diesem Beitrag stelle ich ein mediterranes Kletterziel vor, welches eher ein Schattendasein fristet: die wunderbaren Granit-Mehrseiltouren auf Korsika. Eigentlich wollten wir ursprünglich die Dolomiten erkunden, doch die Aussicht auf eine Woche Dauerregen haben uns dazu bewogen, kürzestfristig umzuplanen. Nun bietet sich der Hochsommer beileibe nicht an, im Mittelmeerraum klettern zu gehen. So werden neben dem Klettermaterial auch noch das Badezeugs eingepackt. Die Frage allerdings bleibt: Kann man im Juli sinnvoll klettern auf Korsika?

Und ob man kann! Zuerst gibt es zwei 'Einstimmungstage' an der Nordwestküste. Dabei entdecken wir mehr zufällig den Strand von Lumio, welcher ein kleines Bouldergebiet zu bieten hat. 

Boulder-Aficinados werden die kleine Auswahl an Problemen bemängeln, doch für uns reichte es aus für einen schönen ausgefüllten Nachmittag inklusive Schnorcheln im Meer. Das Absprunggelände besteht aus einer Felsplatte, darum lohnt sich wohl die Mitnahme einer Bouldermatte.

Korsika hat zwei Kletter-Hotspots, die Gegend um Corte mit dem Restonicatal und dem Tavignanotal, und der Bavellapass. Wir beginnen unsere Kletterreise in Corte, einer wunderbaren Kleinstadt in den Bergen. Als Erstes greifen wir am Monte Leonardo an. Dieser Felszacken liegt unmittelbar neben der Strasse im Restonicatal, und bietet zwei westexponierte Mehrseiltouren. Wir versuchen uns an der 'Amandulina' 6c. Der Auftakt ist schon mal vielversprechend, eine rötliche, leicht überhängende Granitmauer mit Riesenhenkeln, dazu perfekt abgesichert. Auch die dritte und vierte Seillänge sind wirklich erstklassig, steile, supergriffige Kletterei. Leider allerdings nimmt der Wind stetig zu und erreicht bald Sturmstärke. Deshalb müssen wir wehmütig auf die nun folgende Tafoni-Länge verzichten und seilen ab.
Tafoni-Henkel par excellence


Facts:
Monte Leonardo, "Amandulina", 6c, 7 SL

Bis zur 4. Seillänge eine absolute Fünf-Sterne Tour, perfekter, steiler und ausserordentlich griffiger Granit, der wie gemacht zum Klettern ist. Dazu ein für korsische Verhältnisse superkurzer Zustieg. Plaisirmässig ausgerüstet, Friends und Keile nicht notwendig.


Da auch für den nächsten Tag starken Wind prognostiziert ist, machen wir als nächstes eine hübsche Wanderung zum Melo-, Capitello- und Goria-See. Dabei wandert man unter eindrücklichen Granittürmen, die Lust auf weitere Korsika-Reisen machen.

Ein weiterer Klettertag führt uns ins parallel zum Restonicatal liegende Tavignanotal. Im Gegensatz zu ersterem Tal führt hier keine Strasse hoch, so dass zuerst ein fast zweistündiger, schweisstreibender Aufstieg bewerkstelligt werden muss, bis die Perlen am Rossolino geerntet werden können. Zuerst allerdings locken die Gumpen im Fluss mit badetauglichen Temperaturen. Und so ist es mittlerweile vier Uhr Nachmittags, als wir in die 'Tafonissimo' einsteigen. Die Tour befindet sich an einem der vielen Türme des Rossolino-Massivs, und lässt sich dank einem Foto im Topoguide-Führer problemlos lokalisieren. Die erste Seillänge (5b) beginnt plattig, um dann mit einer steilen Tafoni-Stelle fulminant endet. Das Highlight ist die zweite Seillänge (4c), ein eindrücklicher Tafoni-Genuss.
Ich überklettere den zweiten Stein, und hänge gleich noch die dritte Seillänge an, die etwas weniger schön ist. Auch die vierte Seillänge vermag nicht ganz den hohen Erwartungen zu genügen. Hingegen ist die letzte Seillänge nochmals richtig schön. Leider wird das gigantische Dach des Turms nicht direkt geklettert, sondern etwas rechts umgangen. Etwas problematisch ist das Abseilen. Es gäbe wohl eine Abseilpiste über die Westwand, aber die ist im Führer nicht beschrieben. So seilen wir über die Route ab, was angesichts der vielen Büsche und des Grat-Charakters der Route ein mühsames Unterfangen ist.
Im Ausstieg der 'Tafonissimo'

Facts:
Rossolino, "Tafonissimo", 6a

Insgesamt sehr gutmütig und eher etwas weniger lohnend als die anderen von uns gekletterten Routen, allerdings dafür landschaftlich wunderschön. Aufgrund des sehr langen Zustiegs lohnt es sich, die Tour mit einer der diversen anderen Routen am Rossolino zu kombinieren, oder sich in den Badegumpen am Fluss zu vergnügen. Vom Material her reichen etwa 10 Expresse, Friends respektive Keile nur für ganz Vorsichtige.


Corte by night


Als nächstes Ziel wird der Spenicazzia im Restonicatal auserwählt. Er bietet einen mittellangen Zustieg und hochgelobte Kletterrouten. Wir steigen zuerst in die Aqua di Rocca 7a ein, die auf den ersten zwei Seillängen zwar absolut begeisternder Fels bietet, uns aber doch ein Tick zu scharf ist. So seilen wir ab und steigen in die moderate 'Candella di l'Oro' ein. Diese bietet fünf einfache, aber absolut spektakuläre Tafoni-Längen. Insbesondere die vierte Seillänge ist etwas vom Besten was ich je geklettert bin, eine 5b, welche auf 40 Meter über ein Meter überhängend ist, und dazu nur mit Sanduhren abgesichert ist. 
Unglaubliche Felsstruktur

Die vielleicht steilste 5b der Welt!


Facts:
Spenicazzia, "Candella di l'Oro", 5b

Eine der besten leichten Routen, die ich je geklettert bin! Der Fels ist wirklich vom ersten bis zum letzten Meter perfekt, und insbesondere die beiden letzten Seillängen sind einzigartig. Der einstündige Zustieg ist zwar steil, aber dank vielen Steinmännchen problemlos zu finden. Von der Absicherung her reichen etwa 10 Expresse, dazu ein paar Schlingen.


Nach diesen schönen Erlebnissen fahren wir weiter in den Süden der Insel, an den Col de Bavella. Die bekannten Bavella-Türme bieten unter anderem die Top-Tour 'Delicatessen' 8b, eine der schwierigsten alpinen Mehrseiltouren von Europa. Uns ist allerdings der Zustieg etwas zu lang, um das Ding zu probieren (hüstel, hüstel, gute Ausrede). Deutlich zugänglicher ist die Punta di u Chjapponu mit der 'Linea a l'Ombra'. Wie der Name schon sagt, ist die Tour NW-exponiert und deshalb ideal für die warmen Monate geeignet. Der einstündige Zustieg ist wiederum problemlos zu finden, und bald finden wir uns am Fusse eines imposanten, roten, überhängenden Gemäuers. Die erste Seillänge checkt etwa bei 6b ein und ist ein weiterer korsischer Kletter-Traum. Anspruchsvolle Moves an stumpfen, aber griffigen Rissen, dazu anhaltend senkrecht. 
Fulminant weiter geht es mit der zweiten Länge, 6a+, welche plattig startet, um dann in einem spektakulären Tafoni-Kamin an den Stand zu führen. Die folgenden Längen sind dann leichter, beinhalten aber immer noch ein paar interessante Einzelstellen.

Facts:
Punta di u Chjapponu, "Linea a l'Ombra", 6b

Sehr schöne Tour, ideal geeignet für Sommertage. Die Schlüsselstelle ist die erste Seillänge, welche anspruchsvolle Kletterei in griffigem, wenn auch etwas flechtigem Granit bietet. Diese Länge braucht wohl nach Regenfällen ein Tag zum Abtrocknen, da sie nur wenig Sonne bekommt.

Als Abschluss versuchen wir uns noch in der "U Haddad" 6c an der Punta di u Peru, die uns aber wiederum etwas zu hart ist. Immerhin reicht es für die spektakuläre dritte Seillänge, welche durch eine riesige Tafoni-Ausbuchtung führt:

Allgemeine Hinweise zu Korsika:

Führerliteratur: Wir fanden den Topoguide Korsika völlig genügend für unsere Zwecke. Die Topos sind präzise, die Zustiege gut beschrieben, und die Schwierigkeitsangaben passen +- (ich fand die Kletterei eher einfach für den Grad... in Chamonix jedenfalls muss man sich die Fünfer härter verdienen).
Unterkunft in Corte: Es gibt mehrere Campingplätze. Der im Führer empfohlenen Tuani liegt relativ weit hinten im Restonicatal, was sich nachteilig auswirkt, wenn man im Tavignano klettern will oder eines der unzähligen Restaurants in Corte testen will. Wir fanden den Campingplatz 'U sognu' perfekt, der in Fussdistanz von Corte entfernt auf einer schönen Wiese liegt. Ebenfalls empfehlenswert sind die relativ günstigen Ferienwohnungen gleich neben dem Campingplatz (im Voraus buchen).
Unterkunft am Bavellapass: Wir haben auf dem Campingplatz 'La Rivière' logiert, ein günstiger, gut geführter Campingplatz. Liegt etwa fünf Autominuten von Zonza entfernt, wo es einen kleinen Laden und mehrere Restaurants gibt. Vom Campingplatz fährt man 15 Minuten bis auf den Bavellapass.