Samstag, 8. Oktober 2011

Sonnenkönig am Pfaffenhut

Unser Ziel von diesem Freitag (dem 23. September) war, uns möglichst komplett zu plätten, so dass wir die drohende Familienfeier am Samstag total relaxt angehen können. Und da der "Sonnenkönig" an den Wenden schon länger auf Corinas Wunschliste stand, steht das Ziel eigentlich schon fest. Gleichzeitig sollte es auch meine erste 'richtige' Wendentour werden, die ich vollständig im Vorstieg klettere - mit Marcel hatte ich bis jetzt ja immer eine gute Fallback-Option, falls ich irgendwo nicht hochkam.
Zuerst müssen allerdings die fast 900 Höhenmeter bis an den Wandfuss bewältigt werden. Es liegt teilweise noch ein bisschen Schnee, was in den steilen Grasflanken im oberen Teil etwas lästig ist. Endlich erreichen wir das Rucksackdepot und seilen an. Eine erste Seillänge im 2. Grad führt bis an den Einstieg.
Die erste Seillänge, 6a+, wartet grad zuunterst mit einer netten Platte auf, später dann folgt schöne Wandkletterei. Der Stand ist etwas uneindeutig an einem Bh und einer (älteren) Sanduhr. 
Die folgende 6a wartet ebenfalls mit einer ordentlich schwierigen Einzelstelle auf, die 5c hingegen ist leichtverdaulich und führt über schönes Wasserrillengelände. Dann folgt die Schlüssellänge, 6c. Mit etwas flauem Gefühl starte ich - 6c in den Wenden, geht das? Bald weicht die Angst der Begeisterung, henklige Kletterei in perfektem, leicht überhängendem Fels, dazu gute Absicherung - was will man mehr. Die Schlüsselstelle besteht allerdings aus einem wendenuntypischen, leicht abgelutschten Riss, die mir den Onsight verwehrt - schade.
Jetzt folgen zuerst eine wunderschöne, steile 5c+, dann eine hübsche 6b, eher auf der leichtverdaulichen Seite, und sehr kurz. Schlussendlich führt eine technische 6a+ in bestem Fels auf das hier kaum ausgebildete Felsband im oberen Teil des Pfaffenhuts.
Corina steigt die Seillänge super nach. Die 4a-Traverse ist luftig und teilweise etwas brüchig, lässt sich aber problemlos überwinden. Jetzt kommen die letzten drei Seillängen, eine wiederum steile, grossgriffige 6a+, gefolgt von einer technischen 6b und einer 6a+, wobei die Schwierigkeiten nur kurz sind. Hier Corina in der 6b, wobei es weitaus steiler ist als es aussieht!
Die Abseilerei folgt dann einer eigens eingerichteten Abseilpiste. Wir beobachten eine Steinbockfamilie, die, als wir einstiegen, noch am Wandfuss herumstanden. Mittlerweile sind sie bereits in der 4. Seillänge! Unglaublich, was diese Tiere klettern können.
Diese super Unternehmung begiessen wir wiederum traditionell in Restaurant 'Bahnhof' in Meiringen, wo es auch eine Extraportion Spaghetti setzt.


Facts:
Pfaffenhut, "Sonnenkönig", 6c, 11 SL.
Schöne Klettertour, gemessen an den anderen Wendentouren gut abgesichert. Dennoch darf auch über den Haken gestiegen werden!
Material: 12 Exen, kleines Set Klemmkeile und Friends.

Samstag, 17. September 2011

Schweizerpfeiler an der Drusenfluh

Eigentlich wäre an diesem Wochenende wieder ein Ausflug ins nahe Ausland geplant gewesen. Aber dafür war der Wetterbericht dann doch ein Tick zu schlecht... immerhin hat es sich angeboten, am Freitag wenigstens einen guten Eintäger in der Nähe zu machen. Nachdem sich im vergangenen Frühling die versprochene Abenteuertour am Zuestoll als klettergartenmässig eingebohrt herausgestellt hat, stellte sich natürlich die Frage, ob es sie überhaupt noch gibt, die nicht allzu extremen Klassiker, wo auch selber gelegt werden darf. 
Und ja, wir haben ihn gefunden - an der Drusenfluh, genauer am Schweizerpfeiler. Schon die Zufahrt ins Grüscher Älpli ist ein Testpiece, zum Glück müssen wir das Mobility-Auto danach nicht noch reinigen... Von dort geht es in anderthalb Stunden an den Wandfuss. Zuerst muss der Vorbau  durchklettert werden, geht gut in Trekkingschuhen ohne Seil.
Nach etwa 20 Minuten erreichen wir den Einstieg, der mit einem Muniring 'markiert' ist. Thomas gibt sich die erste Seillänge, immerhin ein Vierer, ordentlich schöne Plattenkletterei.
Auch an diesem Stand befindet sich ein neuer Muniring, daneben ist aber immer auch noch das alte Standmaterial belassen; so bekommt man einen Eindruck vom Engagement, welches vor der Sanierung nötig war. Die zweite Seillänge wartet gleich mit der ersten Schlüsselstelle auf, laut Topo 6a. Zuerst kommt ein Bohrhaken, danach hat es nur noch geschlagenes Material, allerdings derart dicht (etwa alle 1-2 Meter ein Normalhaken), das mir bald die Expresse ausgehen. Die Schlüsselstelle ist ein Rätikon-typischer Aufsteher an abschüssigen Tritten und leicht angespeckten Griffen. Aber eben, man hat zwei ordentlich gute Normalhaken auf Augenhöhe.
Allerdings sei schon an dieser Stelle gewarnt: So dicht wie in dieser Seillänge sind die Normalhaken nirgendwo sonst gesät! Die dritte Seillänge ist eine steile Verschneidung in nicht ganz zuverlässigem Fels, grundsätzlich aber gutmütig. Auch die vierte Länge, mit 5a bewertet, geht problemlos. Wir erreichen die grosse schuttige Rinne, welche bis an ihr oberes Ende verfolgt wird. Und hier beginnt dann auch der abenteuerlichere Teil der Kletterei. Der Auftakt ist eine gruselige, leicht überhängende Verschneidung, der Fels ist halt alpin, es lohnt sich jedenfalls, jeden Griff zu testen. Es stecken zwei Bohrhaken auf 30 Meter, dazwischen hat es ab und zu mal einen Normalhaken, aber bereits hier lohnt sich der Einsatz von Klemmkeilen.
Sehr empfehlenswert ist die Halbseiltechnik, nicht nur um den Seilzug zu reduzieren, sondern auch die Belastung auf die Haken... Ich fand die Kletterei jedenfalls ziemlich anspruchsvoll für einen 5a.
Weiter geht es mit einer etwas leichter zugänglichen 5c+, wobei hier die Schwierigkeit auf eine Einzelstelle kurz vor dem Stand konzentriert ist, welche zudem mit einem Bohrhaken entschärft ist. Als nächstes steht ein Kamin an, mit 5+ bewertet. Hier müssten eigentlich die Alarmglocken läuten. Zuerst versucht sich Thomas am Kamin, versucht sich durchzuzwängen, was aber mit dem Rucksack nicht geht. Besser geht es dann aussen durch, wobei man dann schon etwa 1 Meter über dem Bohrhaken steht an der schwierigsten Stelle. Oben dann wird es geringfügig leichter, dafür aber ohne jegliche vorhandene Absicherung. Ist allerdings perfektes Keilgelände. Nach dieser Seillänge wird man mit einer grossartigen Aussicht belohnt.
Jetzt haben wir den steilen Gipfelaufschwung erreicht. Dieser wartet mit teilweise ordentlich brüchigem, ungünstig geschichteten Gestein auf. Die erste der vier Abschlusslängen ist mit 5c+ bewertet, eine seichte Verschneidung, Absicherung vorwiegend an alten Haken. Es lohnt sich, wirklich nur die speckigen Griffe zu nehmen, denn das sind oft die einzigen zuverlässigen...
Weiter geht es mit einer weiteren 5c+. Hier wird es sogar noch ein Tick anspruchsvoller. 
Ein Riss, recht spärlich mit Normalhaken abgesichert. Das Problem ist weniger die klettertechnische Schwierigkeit, sondern mehr die Brüchigkeit. Obschon die Schwierigkeit moderat ist, können Stürze wegen des Gesteins nicht völlig ausgeschlossen werden, deshalb lohnt es sich, ab und zu etwas zu legen. Nach etwa 15 Meter folgt der einzige Bohrhaken, weiter geht es mit einer delikaten Querung und einem kleinen Überhang. Luftig und psychisch anspruchsvoll - und ideal, wieder mal die Halbseiltechnik zu üben.
Jetzt folgt der laut Führer "klettertechnische Höhepunkt": Der Abschlussüberhang, mit 5c bewertet. 
Nach einer kurzen, kniffligen Traverse (siehe oben) kommt zuerst ein Riss, anfangs noch leicht, dann sukzessive schwerer werdend. Auch hier wurde bei der Sanierung das Prinzip angewendet, dass das alte Material belassen wird. Blöderweise besteht hier das 'alte Material' nicht aus mässig zuverlässigen Normalhaken, sondern aus total vermoderten Holzkeilen! Diese halten wohl kaum das Eigengewicht der Expresse. Das heisst, dieser Riss, immerhin im unteren 6. Grad, will vollständig selber abgesichert werden. Und hier sind auch die Tritte total abschüssig, das heisst, man steht ziemlich unentspannt, während man mit den Keilen herumfummelt - etwa 15 Meter über dem Stand, notabene ohne Bohrhaken bis hierher. Intensiv und abenteuerlich, wie wir es uns gewünscht haben! Hier der Blick auf den Riss, wobei man sagen muss, dass man im Riss vorzüglich selber legen kann (und muss).
Nach dem Riss kommt dann tatsächlich ein Bohrhaken, bevor es ins Dach geht. Dieses ist im Vergleich zum Riss dann eher einfach, Riesenhenkel, gute Tritte, gute Absicherung. Aber schon sehr ausgesetzt. Nach dem Dach folgen noch etwa 8 leichte Meter bis zum Stand. Die letzte Seillänge, ein Vierer-Riss, will nochmals selber abgesichert werden. Schliesslich erreichen wir den Ausstieg, nach guten sechs Stunden Kletterzeit. Ein schöner Ausblick auf die Sulzfluh eröffnet sich uns.
Der Abstieg allerdings zieht sich dann ziemlich... zuerst über die schuttige Ostflanke, dann einem Stahlseil entlang ins Sporatobel, schliesslich auf einem guten Pfad zum Drusator. Bis hierhin dauert es schon mal fast anderthalb Stunden, allerdings muss man dann nochmals mit anderthalb Stunde rechnen bis zum Grüscher Älpli, welches wir grad vor dem Eindunkeln erreichen. Wahrscheinlich wäre man mit Abseilen fast schneller gewesen.


Facts:
Drusenfluh, grosser Turm, Schweizerführe, 6a, 600m.
Eine grosse Felstour mit nach oben zunehmenden Gesamtschwierigkeiten. Trotz eigentlich guter Absicherung sprich Absicherbarkeit psychisch recht anspruchsvoll, was insbesondere auch am nicht immer zuverlässigen Stein liegt. Keine Anfängertour, aber dafür ein tolles eintägiges Bergabenteuer. Bei der Sanierung wurde das Prinzip angewendet, dass Bohrhaken nur gesetzt werden, um fatale (potentiell tödliche) Stürze zu vermeiden, sprich, die Bohrhaken sind nicht unbedingt an den schwierigsten Stellen gesetzt.
Material: mindestens 12 Expresse, Schlingen zum Verlängern, Set Keile, reduziertes Set Friends, Halbseile, gute Schuhe für den Abstieg. 

Montag, 22. August 2011

Innominata integral



Nach dem Schuttabenteuer mit Thömel am Rotbrättgrat wusste ich wieder, warum es sich eben doch lohnt, viereinhalb Stunden Fahrzeit nach Chamonix zu investieren und dort bergzusteigen. Genau genommen sind es diesmal sogar noch deutlich mehr, denn unser Ziel ist ein "walk on the wild side", auf der italienischen Seite des Mont Blanc Massivs. Und zwar möchten wir den Innominata-Grat auf den Mont Blanc klettern. Es ist gleichzeitig auch meine erste Besteigung des höchsten Punktes von West-Europa. Aber eben, zuerst müssen wir ins Val Veny kommen. Der Bus nach Courmayeur hat grad Anschluss in Chamonix, dort müssen wir aber noch gute dreiviertel Stunden auf den Bus ins Val Veny warten. Zum Glück sind wir in Italien!
Beim Campingplatz Miage führt dann schliesslich der Weg hoch in die Monzino-Hütte. Was für eine wilde, unberührte Landschaft! Und natürlich die atemberaubende Berggestalt der Aiguille Noire de Peuterey, die das Tal dominiert.
Der Weg zur Hütte ist klettersteigartig ausgebaut, lässt sich allerdings gut ohne Gschtältli begehen. Man gewinnt sehr schnell an Höhe, schon bald kommt die Hütte in Sicht, und wir staunen einmal mehr über diese schroffe, steile Landschaft.
Die Monzino-Hütte ist toll gelegen, für eine Hütte sehr komfortabel und - fast leer! Und dies inmitten einer Grand Beau-Phase, wie es sie in diesem Sommer noch kaum gegeben hat. Wir können es kaum glauben. Der sehr freundliche Hüttenwart kann uns auch in einer anderen Sache beruhigen: Nein, es haben sich nicht Dutzende von Tourengängern für das Eccles angemeldet, wir seien zusammen mit einer anderen Seilschaft die Einzigen morgen abend im Biwak! 
Am nächsten Morgen starten wir mit dem ersten Morgenlicht um sechs Uhr zum Südgrat der Punta Innominata. Unser Ziel ist es nämlich, den sogenannten "Innominata Integral" zu begehen, das heisst, den vollständigen Grat, der sich von der Monzino-Hütte her bis zum Gipfel des Mont Blanc zieht. 
Die Punta Innominata ist der zentrale, nicht sehr stotzige Gipfel etwas rechts der Bildmitte, mit dem Innominata-Grat rechts des Gipfels. 
Zuerst steigen wir über ein kleines, sterbendes Gletscherlein hoch, dann folgt mit Steigeisen nicht ganz unschwieriges, etwas brüchiges Felsgelände bis in den Col Innominata. Dort eröffnet sich der Blick auf die riesige Westwand der Noire, und den wilden Freney-Gletscher. Hier wird auch der Fels besser, die Kletterei kann beginnen!
Es folgen zuerst drei Seillängen im unteren vierten Grad, bevor man leichteres Gelände erreicht. Der Fels hat zwar nicht gerade Chamonix 1a-Qualität, aber das Ambiente dafür umso grossartiger.

 Im oberen Teil wird der Fels eher noch ein Tick schlechter (allerdings immer noch bombastisch im Vergleich zum Rottbrättbruch). Meistens ist der Grat Gehgelände, dazwischen kommen aber immer wieder kurze Aufschwünge im 2. und 3. Schwierigkeitsgrad.
Nach vier Stunden, etwa um 10 Uhr, erreichen wir den Vorgipfel der Punta Innominata. Es folgt der letzte Aufschwung, der nochmals mit etwas plattigem Gelände im oberen 3. Grad aufwartet. 
Vom Gipfel sieht man direkt in die riesige Südflanke des Mont Blanc. Brouillardpfeiler, Freneypfeiler... ein tolles Gefühl, endlich mal alle diese magischen Plätze, die ich bis jetzt nur aus Bergbüchern kannte, in Live zu sehen.
Natürlich sieht man auch den Innominata-Grat, der im oberen Teil kein eigentlicher Grat mehr ist, sondern mehr eine komplexe Linie durch die Südwand des Mont Blancs. 
Sieht schon irrsinnig eindrücklich aus, und ich mache mir schier in die Hose - da soll man durch? Andererseits hat mir meine Erfahrung gezeigt, dass, was aus Distanz unlösbar aussieht, aus der Nähe eigentlich trotzdem immer geht. Bergsteigen ist eben, ähnlich dem Sportklettern, auch eine Kopfsache.
Mit dreimal 25 Meter abseilen gelangen wir auf den scharfen Firngrat, welcher die Punta Innominata mit der Punta Eccles verbindet. 
Mittlerweile ist es Mittag, die Sonne brennt erbarmungslos, und der Schnee ist weich. Das Hochstapfen ist mühsam - zum Glück haben wir nicht den Direktaufstieg über den Gletscher ins Biwak gemacht!
Endlich erreichen wir die kleine Biwakschachtel - atemberaubend auf einem kleinen Felsvorsprung gelegen! Die "Hüttenterrasse" ist einen knappen Meter breit, darunter und darüber ist steiles schneedurchsetztes Felsgelände. 
Das Biwak ist etwas verdreckt, aber nicht ganz so vergammelt, wie es italienische und französische Biwaks mitunter sind. Und da wir alleine sind, können wir uns natürlich die besten Betten aussuchen. Matrazen, Wolldecken, Pfannen - alles da!
Den Nachmittag verbringen wir mit Wasserkochen, ausruhen - und über drei Polen lachen: Die drei kurligen Typen tauchten irgenwann im Laufe des Nachmittags auf, kamen kaum über die Felsen ins Biwak - und möchten am nächsten Tag den Freney-Pfeiler klettern! Sie hätten sich in einer Bar im Chamonix kennengelernt, seien zum dritten Mal in Chamonix, das passe schon. Wir wünschen den dreien viel Spass und fragen noch nach, ob sie die Notfallnummer der Bergrettung kennen. Wir haben sie am nächsten Tag absteigen sehen - eine gute Entscheidung! Später stöbere ich noch etwas im Hüttenbuch: Der Innominata wird zwischen fünf und zehn mal pro Jahr begangen, ähnlich oft der Brouillard-Grat, ebenfalls regelmässig begangen werden der Broillard- und der Freney-Pfeiler. Die Eisgullies hingegen finden kaum Wiederholer.
Leider setzt bei mir im Laufe des Abends Kopfweh ein, auch Thomas kämpft mit der Höhe - wir sind beide nicht besonders höhenresistent. Die Nacht wird kurz und unruhig. Als um halb vier der Wecker läutet, fühle ich mich wirklich beschissen, bringe kaum ein Bissen runter. Um vier Uhr starten wir, seilen 25 Meter auf den Gletscher ab, ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Mir kommen Zweifel, ob das was wird heute. Zum Glück schlägt Thomas den in Peru erfolgreich angewandten '6000er-Schritt' an. Im Mondlicht steigen wir über den Gletscher bis an den Bergschrund hoch. Das Monsterteil lässt dann allerdings die Müdigkeit verschwinden. Etwas rechts der Schwachstelle muss Thomas zuerst in Wühlschnee hochsteigen, dann auf einem Band unter dem überhängenden Bergschrund kriechend nach links traversieren. Dies erlaubt uns, über eine kurze Steilstufe in die Schneehänge über dem Schrund zu gelangen. Geht zwar, hat aber nichts mit der 'L'-Bewertung aus dem Führer zu tun. Und es geht gleich weiter im selben Takt: Nix Firn, sondern hartes Eis erwartet uns im Aufstieg zum Col Eccles. Zum Glück haben wir ein zweites Eisgerät mitgenommen! Wir gehen am langen Seil und schrauben Zwischensicherungen, erreichen aber trotzdem um halb sechs den Col Eccles. Hier wird das Gelände angenehmer, und ich habe auch meine Startkrise überwunden, der Motor läuft. Es folgt ein Firngrätchen, danach leichtes Mixedgelände im oberen 2. Grad, gut absicherbar. Bald kommt die Schlüsselstelle der Tour in Sicht, der 5b-Risskamin. 
Der Fels ist begeisternd - roter, eisenharter Granit, übersät mit Griffen und Tritten. Der 'Pas en 5b' ist ein praktisch senkrechtes Wändchen mit schlechten Tritten, und wirft mich zuerst ab - wir sind eben am Mont Blanc auf 4000 Meter, und nicht im Gasi auf 400 Meter. Im zweiten Go geht es aber prima, und die Bewertung 5b ist auch wirklich fair und geht gut mit den schweren Schuhen.
Jetzt ist gerade Sonnenaufgang - diese magische Stimmung, die süchtig macht und uns bereitwillig den 'Figg' auf uns nehmen lässt.
Nach dem Riss folgt ein kurzes Bändchen, dann ein Felsloch, auf dessen Rückseite man zu einer kleinen Plattform kommt.
Der nachfolgende Riss ist etwa ein Vierer, aber auch gutmütig zu klettern. Bald gelangt man in leichteres Gelände, welches in weiterhin sehr gutem Fels bis auf den Grat führt. 
Auf dem Grätchen angekommen, öffnet sich der Blick auf den weiteren Teil der Route - das berüchtigte Couloir und die Felsrippen dazwischen. Für die Kletterei bis hierhin haben wir knappe anderthalb Stunden gebraucht, es ist etwa sieben Uhr. Es ist noch alles ruhig.
Bei viel Schnee kann das Firngrätchen ein ernstes Problem sein, jetzt aber geht es problemlos und ist fotogen!
In weniger schönem Bruchgelände steigen wir vorsichtig auf bis zum Schneecouloir. Hier muss man auf Steinschlag achten. Tatsächlich fliegt in diesem Moment ein etwa faustgrosses Geschoss das Couloir runter. Uns kann nichts passieren, wir befinden uns immer noch im Schutze der rechten Felswand. Wir steigen hoch, bis sich die Felswand verliert - und dann traversieren wir schnell horizontal nach links. Mit dieser Strategie befindet man sich wohl kaum eine Minute in der heiklen Zone. Wir traversieren die erste Rippe und gelangen über ein Schneefeld zur zweiten Rippe, bereits wieder im Schutze der linken Felswand. Insgesamt würde ich das Couloir zwar als heikel, aber sicher nicht als sehr gefährlich einstufen. Stellen wie diese hat man auf vielen Hochtouren (ich erinnere mich z.B. an das Zinalrothorn-Couloir). Hier der Blick zurück auf das Couloir:
Nach der Rippe eröffnet sich der Blick auf das Firnband, welches den Zugang zum Brouillard-Sporn erlaubt. Es ist etwa 45° steil, der Schnee leider jetzt, um halb neun, schon aufgeweicht.
Nach etwa 100 Meter erreichen wir den Sporn. Jetzt folgen weitere wunderschöne Klettermeter in meist leichtem Gelände und bestem Granit. Hier habe ich gerade eine etwas schwierigere Stelle im unteren 3. Grad überwunden.
Und dann natürlich immer diese tollen Ausblicke auf die schon recht klein aussehenden umliegenden Gipfel.
Hier sieht man den oberen Teil des Brouillard-Sporns, nicht sehr schwierig, aber doch anhaltend, und mit ziemlich viel Tiefblick.
Das Gelände neigt sich dann eher etwas zurück und geht langsam in Schnee über. Da wir zügig unterwegs sind, ist der Schnee auf den abgeschatteten Stellen immer noch gut gefroren. An ein, zwei Stellen kommt allerdings bereits das Eis hervor, es lohnt sich also, immer eine Schraube am Gurt zu haben und ab und zu mal eine Zackenschlinge um die hervorschauenden Felsen zu legen. Ein abgestumpfter, etwa 35° steiler Firngrat führt dann auf den Brouillard-Grat auf 4600 Meter. Das Spuren im weichen Schnee ist hart! 
Jetzt endlich leichtet sich das Gelände markant. Der hier fast horizontale Brouillard-Grat bietet klassisches Hochtourengelände im WS+ Bereich. Ich bin ziemlich froh, dass es nicht mehr so steil hochgeht, weil ich die Höhe doch ziemlich spüre.
Wir brauchen etwa 45 Minuten für den Grat, danach queren wir in etwa 30° steilem Gelände unter dem Mont Blanc de Courmayeur hindurch. Diese Querung ist zwar gut gespurt, aber im Hartschnee nicht ganz unheikel. 
Schliesslich erreichen wir - wiederum im Zeitlupentempo - den höchsten Punkt der Alpen. Die Touristen, welche ich gebeten habe das Foto zu schiessen, hat offensichtlich auch die Höhe gespürt, so schrägt wie sie den Fotoapparat gehalten hat.
Jetzt die Frage: Aiguille du Midi oder Gouter? Ich habe den 300 Meter Aufstieg zur Midi-Bahn sicher schon gegen zehn mal gemacht und irgendwie überhaupt keine Lust darauf. Deshalb wählen wir den Bosses-Grat. Hat sich aber im Nachhinein gesehen eher als Fehler herausgestellt. Klar, im oberen Teil ist es wirklich angenehm leicht, ein richtiger 'No-Brainer'. Man sieht einige traurige Gestalten, die sich am Nachmittag mühsam hochquälen. Nach der Gouter-Hütte allerdings folgt ein ätzender Steilschutt-Abstieg durchs Grand Couloir, hier die steinschlägige Querung.
Wir kreuzen ganze Horden von Mont Blanc Aspiranten, viele mit turmhohen Rucksäcken. Ich möchte mal wissen, was die so alles hochtragen. Um uns eine Nacht in Chamonix zu ersparen, müssen wir die Bahn um 16:40 erwischen - geht auch, aber nur mit langen Schritten. Die im Eberlein-Führer veranschlagten 4-5 Stunden vom Gipfel bis Nid d'Aigle sind nämlich schon realistisch. Im überfüllten Bähnchen fahren wir nach Le Fayet, dort - man glaubt es kaum - will uns keine Beiz etwas zu Essen servieren. Weil es 'erst' 18 Uhr ist. Frankreich vom Mühsamsten.   Die Heimreise via Chamonix, Martigny und Lausanne nimmt dann volle fünfeinhalb Stunden in Anspruch. Und endlich, im Speisewagen von Lausanne nach Zürich kriegen wir was zwischen die Rippen!


Facts:
Mont Blanc, Innominata (integral), S, 5b, 50°. 
Grosszügige, zwingend mit Biwak auszuführende Hochtour auf den höchsten Gipfel der Alpen. Sehr anhaltend in Fels und Schnee, aber nie ganz grosse Schwierigkeiten. Bis auf die Querung des Couloirs sehr sichere Aufstiegslinie. 
Material: Zwei bis drei Friends, Keile, genug Zackenschlingen, Eismaterial (inklusive zwei Eisgeräte, bei günstigen Firnverhältnissen würde auch ein Pickel reichen). Für das Biwak Kocher und Gas, Decken, Pfannen und Besteck hat es vor Ort. Wir haben zusätzlich noch die Daunenjacke als Back-Up bei überfülltem Biwak mitgenommen, was zum Glück nicht eingetroffen war.
Route im Überblick:

Sonntag, 14. August 2011

Rotbrättgrat auf die Jungfrau

Die meisten Touren, die ich bisher gemacht habe, würde ich ohne zu zögern noch einmal machen - dies gilt insbesondere für die Touren in meinem Blog. Aber dies gilt ganz sicher nicht für den Rotbrättgrat. Im Gegenteil, diese Unternehmung fällt eher in die Kategorie "zum Glück ist nichts passiert". 
Tatsache ist, dass man über den Rotbrättgrat, den NW-Grat auf die Jungfrau, sozusagen keine wertenden Infos findet. Und da ich grundsätzlich ein Faible habe für wilde, wenig begangene Unternehmungen, lag es nahe, dass ich da mal einsteigen möchte. Zuerst aber muss man sich die 1700hm in die Silberhornhütte 'verdienen'. Hier Thömel in ansprechendem T5 Gelände. Die Geissen sind übrigens total geil auf Salz und schlecken einem die Beine ab beim Wandern.
Kurz vor der Hütte betritt man die "Strählblatti", riesige Kalkplattenschüsse. Was uns jetzt staunen lässt, kann sich bei Neuschnee schnell in einen Alptraum verwandeln.
Nach etwa viereinhalb Stunden erreichen wir die Hütte. Die Landschaft ist wirklich sehr urtümlich und wild, und man fühlt sich fast etwas alleine auf diese Welt - in welcher anderen Hütte kommt das noch vor?
Wir nutzen die Zeit noch für eine kurze Reko-Tour. Zudem quere ich noch unter dem Rotbrätt durch, um einen Augenschein in der Sportkletterroute "Fätze und Bitze" zu nehmen. Sieht schon recht geil aus, sehr steil, die erste Seillänge scheint auch ordentlich abgesichert zu sein. Aber wer nimmt schon 1700hm Zustieg für 11 Seillängen auf sich... eigentlich schade. Laut Hüttenbuch wurde die Route in den letzten vier Jahren immerhin einmal begangen.
Den Abend verbringen wir jassend mit den beiden anderen Türelern, die sich den Silberhorn NW-Grat für morgen vorgenommen haben.


Am nächsten Morgen starten wir um 4:40. Unserer Berechnung zufolge haben wir ab etwa halb sechs Uhr Tageslicht, und dann sollten wir auch den Beginn der Kletterei erreicht haben. Im Schein der Taschenlampe kraxeln wir über die "dachziegelartigen Felsen" (sagt schon alles...) und gelangen ans erste Schneefeld. Das Geröllfeld ist extrem ätzend, wir traversieren im Schnee und gelangen so an die Felsen. Hier wird das Gelände steiler, man kraxelt über mässig stabile, schuttbedeckte Blöcke. Bald sehen wir ein Steinmännli und gelangen auch schon zur ersten kritischen Abzweigung, einem Felscouloir. Hier nicht nach links gehen, auch wenn es verlockend aussieht! Vielmehr quert man über nasse Felsen das Couloir und gelangt so in leichtes Schuttgelände mit mehr Steinmännchen. Jetzt geht es ziemlich gerade hoch, teilweise hat es kurze Kletterpassagen im zweiten Grad, nie schwierig, nie fest, nie absicherbar, immer etwas heikel. Irgendwann erreichen wir dann das zweite Schneefeld und steigen an dessem rechten Rand hoch. Auch wenn man es kaum glaubt, aber das Gelände wird eher noch blöder: Hier ist der Schutt teilweise gefroren, auch sind einige Tritte vereist, man muss wirklich pausenlos verdammt gut aufpassen. Und endlich kommt sie in Sicht, die Kette! 
Bei einem genaueren Augenschein läuft es mir aber kalt den Rücken runter: Mehrere Verankerungen der Kette sind ausgerissen! Und daran soll man sich hochziehen? Ich gebe meine Freikletterambitionen allerdings schnell aus, brüchiger, teils eisüberzogener Fels...
Zudem ist es auch erstaunlich steil, ich denke mal die Kletterei würde im trockenen Zustand durchaus bei einem Fünfer einchecken. 
Nach der Kette folgt nochmals eine kurze, etwas heikle Stufe, dann erreichen wir das Schuttband. Mittlerweile ist es etwa halb sieben. Das untere Bild ist repräsentativ für die 'Qualität' der Kletterei.
Das Schuttband ist nicht ganz so schlimm wie befürchtet und lässt sich problemlos leicht absteigend traversieren. Bald gelangen wir zum 'breiten Riss'. Und hier - man glaubt es kaum - kommt sogar so was wie Kletterfreude auf. Auf tiefem Niveau natürlich, aber immerhin hat hier der Fels ausnahmsweise mal nicht die Konsistenz von Lego. Die Schwierigkeit ist so im unteren dritten Grad, man kann's mit Klemmkeilen absichern.
Nach etwa 40 Meter erreiche ich den Grat und kann zum ersten Mal eine solide Zackenschlinge als Stand zum Nachsichern einsetzen!
Wenn man allerdings meint, dass jetzt ein Plaisirgrätchen kommt - weit gefehlt. Der Fels bleibt ungünstig geschichtet und - natürlich - brüchig bis zum Geht-nicht-mehr.
Komischerweise sind die beiden Sicherungsstangen im Bild oben just an der leichtesten und (noch) solidesten Stelle. Weiter oben folgt eine weitere heikle Passage im 2. Grad, wo Stürzen ein No-Go ist. Wobei wir vielleicht auch nicht den optimalsten Weg gefunden haben.
Oben flacht dann der Grat ab und wir gelangen zum berüchtigten 'Fellenbergflieli'. Hier mussten die Erstbegeher aufgeben. Heutzutage hängt ein dickes Tau über die etwa 6 Meter hohe Felsstufe. Ob die Kletterei auch frei geht? 
Sie geht! Und sie ist sogar noch ganz hübsch zu klettern (nach dem Riss die zweite nicht-ganz-so-brüchige Stelle). Laut Führer ein Vierer, ich hätte jetzt eher einen unteren Fünfer veranschlagt. Eigentlich schade dass hier ein Seil hängt, viel besser fände ich ein paar Bohrhaken, so dass man auch wirklich klettern muss! 
Der Grat wird jetzt etwas leichter und - ironischerweise - auch etwas fester, und geht dann in Firn über. Bin nicht unglücklich, auf die Steigeisen wechseln zu dürfen.
Die nächste Schlüsselpassage ist der Aufstieg zum Goldenhorn. Dank den super Schneeverhältnissen geht das perfekt, der Hang ist etwas über 45° steil und lässt sich perfekt gehen. Um etwa 8:30 erreichen wir das Goldenhorn und bald darauf über leichte Schneehänge das Silberhorn. Ein schöner Aussichtspunkt in einer eindrücklichen Hochgebirgslandschaft.
Jetzt ist aber die Tour noch nicht fertig, wie ein Blick auf das folgende Gneisgrätli zeigt. Es verspricht vielmehr abwechslungsreiche Kletterei im Firn und Fels.
Aber, zu unserer beider Freude ist der Fels hier fest! Was für eine Erlösung. Es liegt recht viel Schnee, wir klettern alles mit Steigeisen. 
Zuerst steigt man etwa 70 Meter zur 'Silberlücke' ab, danach folgt ein grimmig aussehender, aber links gut zu überkletternden Gendarm.
Nach etwa einer Stunde haben wir bereits das Ende des Gneisgrates erreicht und stehen auf dem Hochfirn. Ab jetzt ist der Gipfelanstieg ein 'No-brainer'. Dafür hat man etwas Musse, die tolle Aussicht auf die Nordwände im Lauterbrunnental zu geniessen und die steilen Wände nach Gullies abzusuchen.
Schlussendlich wird es dann doch noch ziemlich zäh, bis wir endlich um viertel nach elf, nach gut sechseinhalb Stunden Aufstieg, auf der Jungfrau stehen!
Der Abstieg über die Südflanke vollzieht sich ohne grössere Probleme, dafür mit einigem Staunen über Alpintechniken, zum Beispiel hier 'Seilbähnliland Schweiz'.
Vom Rottalsattel steigen wir direkt ab, was zur Zeit super geht. Allerdings hat es eine gigantische Rutschbahn eines wohl kürzlich abgebrochenen Seracs. Da gibt es doch tatsächlich Zeitgenossen, die die riesigen Eisbrocken so schön finden, dass sie inmitten dieser Blöcke einen Rast machen! 
Nach etwas mehr als anderthalb Stunden sind wir bereits im Jungfraujoch und können in der Abfahrt nochmals unsere Route bestaunen. 


Facts: Jungfrau, Rotbrättgrat, S+.
Eine wilde Bergfahrt in erschreckend brüchigem Gestein. Man muss den Hinweis im Führer bezüglich Neuschnee oder Vereisung unbedingt ernst nehmen, das Gelände ist schon im trocken Zustand heikel, die ausnahmslos abwärts geschichteten Felsen lassen sich bei Neuschnee wohl kaum klettern. Zudem ist die Steinschlaggefahr durch andere Tourengänger sehr hoch, da sich der Aufstieg meist in der Falllinie vollzieht.
Material: 40 Meter Seil ist ideal, ein paar Klemmkeile zur Absicherung (Zackenschlingen lassen sich kaum einsetzen). Allenfalls könnte ein Hammer + ein paar Schlaghaken gute Dienste leisten.


Hier noch den unteren Teil der Route im Detail:
1. Abzweigung Couloir nach rechts
2. Kette
3. Breiter Riss