Montag, 11. Mai 2015

Baxter-Jones am Maudit

Wenn die Frage lautet, wo man Mitte Mai noch steiles Eis findet, dann lautet die Antwort wie so oft: Chamonix! Da allerdings Ende Saison bereits viele Bahnen ihren Betrieb eingestellt haben, die Schneegrenze sich über die Baumgrenze hochgezogen hat und zudem die sehr intensiven Niederschläge vor einer knappen Woche zu einer unklaren Lawinensituation geführt haben, ist die Auswahl etwas eingeschränkt. Schlussendlich glauben Thomas und ich allerdings in der Roger-Baxter-Jones am Mont Maudit das ideale Projekt gefunden zu haben. Diese Eistour ist ausserordentlich hoch gelegen, der Einstieg etwa auf 3600m, der Ausstieg auf etwa 4100m - eine ideale Tour für warme Tage! 
Da allerdings das Gully-Suchtpotential derart gross ist, können wir der Versuchung natürlich nicht widerstehen und greifen bereits am Samstagmittag an. Mit dem ersten Zug nach Cham, hoch zur Midi und dann mit Skis an den Fuss der Pointes Lachenal. Hier habe ich noch eine Rechnung offen, und zwar mit der "M6 Solar" - einer modernen Mixed-Route in der felsigen Südostwand der Pointes Lachenal. Südostwand? Mitte Mai? Ist da nicht eher Felsklettern angesagt? 
Weit gefehlt! Die starken und sehr warmen Niederschläge vom ersten Mai haben dazu geführt, dass die Wände in dieser Höhe von einem für mich noch nie gesehenen Eispanzer überzogen sind! Die M6 Solar, normalerweise eine Felsverschneidung mit dünnen Eisspuren, ist nicht wiederzuerkennen: Ein dicker Schnee-Eispanzer überzieht die felsigen Verschneidungen! Hier Thomas vor der ersten Seillänge.
Die Kehrseite allerdings ist, dass der Klebschnee zumindest an den sonnenexponierten Stellen schon ziemlich aufgeweicht ist und die Pickel nicht mehr wirklich greifen. Zudem rinnt pausenlos eine Wasser-Schnee-Mischung von oben runter. So ist die erste Seillänge, etwa M5-, ein ziemlicher Krampf. Auch die zweite Länge ist von den Verhältnissen her nicht viel besser, aber immerhin mit etwa M3+ etwas leichter. 
Völlig neu werden die Karten in der dritten Länge, der Crux der Tour, gemischt. Hier war ich vor drei Jahren mit Sophie umgekehrt, weil mir die glatte Felsverschneidung ohne Sicherungsmöglichkeiten zu psycho war (siehe hier). Diese Verschneidung ist heute nicht wiederzuerkennen: Ein etwa 15cm dicker Eispanzer überzieht den Fels vollständig, was normalerweise ein knackiger M5+ ist, lässt sich in einer coolen Wi4-Seillänge klettern. Hier erreicht die Sonne das Eis nicht, deshalb ist es auch noch nicht aufgeweicht, sondern lässt sich mit 13er Schrauben perfekt sichern.

Schlüsselstelle heute
Dieselbe Stelle vor drei Jahren - hier sind wir damals umgekehrt
Einen Stand finde ich nicht, ich behelfe mir mit einem 2er und einem 1er-Cam hinter einer grossen Schuppe. Auch die nächste Seillänge ist genial: Unten nochmals dicke 'Placages', oben dann etwas delikatere Mixed-Kratzerei, nochmals etwa M5-. 
Die letzte Länge führt über einen steilen Schneehang auf den Grat der Pointes Lachenal. Da es aber oben keine Abseilmöglichkeiten mehr gibt, lassen wir die aus, und erreichen in zweimaligem Abseilen (60m und 45m) problemlos den Einstieg und die Skis. Und eine knappe Stunde später geniessen wir bereits das Bier auf der Cosmiques-Hütte. 

Facts:
Pointes Lachenal, "M6 Solar", II, M5+ (5 SL)
L1: 25m M5-, L2: 30m M3+, L3: 25m Wi4 (normalerweise M5+), L4: 35m M5-

Kurze, aber interessante Mixed-Route, wobei die Schwierigkeiten hier extrem von den Verhältnissen abhängen. Von heiklen, schwer abzusichernden Dry-Moves bis zu genüsslichem Softeis-Gehacke ist alles möglich - einfach eine Frage des Timings!

Material: Vollständige Fels-Ausrüstung mit BD Cams 0.2-2, dazu Keile und (bei schlechten Verhältnissen) ein paar Felshaken.


Etwas erschreckt waren wir natürlich schon von den etwas durchzogenen Verhältnissen. Was, wenn es morgen ebenfalls dieses aufgeweichte, inkonsistente Schnee-Eis-Gemisch hat? Gut, mal schauen gehen kostet ja nichts. Um drei Uhr Frühstück (keine Stirnlampen in der Tacul-Flanke gesichtet), kurz vor vier gehen wir los, und um halb sechs sind wir bereits am Bergschrund in der hintersten Combe Maudit. Kurz vor sechs Uhr gehts los:
Anhand des obigen Bildes wird übrigens bereits die Problematik dieser komplexen Wandflucht sichtbar: Es ist nicht so einfach herauszufinden, wo genau die Route durchgeht. In der Annahme, wir seien auf der Baxter-Jones, queren wir nämlich in den schmalen Gully, der von Thomas rechts oben wegzieht (der korrekte Weg wäre, links im Schnee-Couloir zu bleiben). Spielt allerdings keine Rolle, das Gelände ist nicht allzu schwer, die Kletterei interessant und abwechslungsreich, mit einer coolen M3+-Länge:
Nach etwa 100 Meter erreichen wir wieder die Baxter-Jones. Als nächstes folgt eine kurze, steilere Stufe (Wi3+), gefolgt von einem Schneefeld. Wir befinden und jetzt in einem eindrücklichen Kessel, wo sich die Route verzweigt: Links hoch führt die "A l'est, rien de nouveaux", der breite Eisfall rechts ist die Baxter-Jones. 
In einer langen Seillänge (80m, parallel gehen) erreicht Thomas das untere Ende des Eisfalles. Tja, und dieses Teil selber sieht wirklich verschärft aus: Etwa 15 Meter hoch und auf mehrere Meter senkrecht. Es ist schon ein Witz mit diesen Bewertungen in Chamonix: Eine Colton-Brooks an den Droites ist mit Wi5 bewertet, obwohl es kaum einen senkrechten Meter gibt, und hier klettert man über 10 Meter im senkrechten Eis, und die Bewertung ist mit Wi4 angegeben. Nun ja, das Eis ist weich, lässt sich gut pickeln und absichern. Einzig die dünne Luft, hier auf 4000m...
Ich mache gleich oberhalb des Eisfalles Stand, um ein paar coole Fotos von Thomas machen zu können. Grosses Panorama mit Tacul und Grandes Jorasses im Hintergrund!
Das Gully legt sich jetzt wieder zurück, es folgt eine schöne Seillänge so im Bereich Wi2, das Ambiente bleibt aber grossartig. Etwas lästig sind einzig die Eisstücke, die - von der Sonne aufgetaut - fast pausenlos von den Wänden runterbröckeln. 
Hier teilt sich nun die Route: Geradeaus weiter würde die "Blaireaux"-Variante kommen, mit Wi4+ etwas verschärft. Allerdings ist die Fels-Verschneidung von der Sonne schon aufgeweicht und wohl nicht vernünftig kletterbar. 
Wir halten uns an den linken Gully, der mit bestem, etwa 75° steilem Eis aufwartet. Ein weiteres Highlight!
Hier legt sich das Gelände zurück, es folgen aber noch weitere zweieinhalb Seillängen im Bereich Wi3 / M3, die wir teilweise parallel klettern. Interessant übrigens, dass es hier sogar fest installierte Stände hat, im Gegensatz zum Rest der Route. Schlussendlich erreichen wir den Ausstieg, etwas unspektakulär in einer Schneemulde, die erlaubt, nach rechts in die NW-Flanke vom Maudit auszusteigen. 
Nun folgt die 'moralische Schlüsselstelle' der Tour: Wir müssen die Abseilpiste über die Route "Fil d'Ariane" suchen. Finden wir sie nicht, haben wir ein grösseres Problem, weil der Abstieg über die Tacul N-Flanke respektive das Chèré-Couloir aus logistischen Gründen kaum möglich wäre. 
Zuerst seilen wir 1x60m über die NW-Flanke an einem fest installierten Stand ab, steigen die letzten paar Meter noch seilfrei ab. Die Abseilpiste zu finden ist dann zu unserer grossen Erleichterung überhaupt kein Problem: Sie befindet sich in der grossen (etwa 30m breiten) Schneemulde, welche man, vom Maudit absteigend, als erste erreicht (es ist NICHT der kleine Schneesattel etwa 50m höher, wo es auch eine Art Pseudo-Abseilstelle hat). Das heisst, wir steigen in der Mulde etwa 20hm ab bis zur Abbruchkante, und hier befindet sich - gut sichtbar auf der linken Seite am Fels - der erste Abseilstand. Chamonix-untypisch übrigens keine rostigen Normalhaken, sondern nagelneue Bolts!
Die Abseilerei gestaltet sich fast aussergewöhnlich problemlos: Es hat wirklich etwa alle 35-40m (nicht 60m!) einen neuen Bh-Stand. Während dem Abseilen nehme ich noch einen Augenschein in der "Fil d'Ariane", sieht schon noch verschärft aus, ist aber definitiv ein Projekt für kältere Tage - der Schnee und das Eis sind in der sonnigen Verschneidung schon völlig aufgeweicht. Nach acht-maligem Abseilen stehen wir bereits wieder am Wandfuss und ein paar Minuten später bei den Skis.
Als Schlussbouquet folgt die Vallée Blanche Skiabfahrt, im oberen Teil ok, im mittleren Teil (zwischen der Pt. Adolphe Rey und der Réquin-Hütte) sogar richtig gut. Weiter unten dann ein Krampf im mühsamen Klebschnee. Auf den letzten etwa zwei Kilometer hats dann kein Schnee mehr, aber der blanke, geröllfreie Gletscher erlaubt ein vorsichtiges Abfahren mit den Skis. Zuletzt 30 Minuten Portage, und schon sind wir auf der Gondelbahn hoch nach Montenvers. Der Burger mit Salat und viel Bier im Elevation 1905 ist nach so einer Tour natürlich Pflichtprogramm!

Facts:
Mont Maudit, "Roger-Baxter-Jones Directissime", III, Wi4 (500m)

Sehr schöne Eistour mit einer für den Grad sehr steilen, anhaltenden Schlüssel-Länge. Landschaftlich wunderschön, mit viel Sonne. Bei zu warmem Wetter besteht wohl moderate Eisschlag-Gefahr. Der Abstieg über die Fil d'Ariane geht problemlos, ist man zu Fuss unterwegs, steigt man aber besser über den Tacul ab. Achtung: Es lohnt sich, das Topo der Tour (im neige, glace & mixte leider etwas unübersichtlich) genau zu studieren, die Orientierung in der Wand ist nicht so einfach und es gibt recht viele verschiedene Varianten.

Material: Normale Eisausrüstung, inklusive kleinem Set Friends und Klemmkeile.

Mittwoch, 6. Mai 2015

Das Ende von Langtang

Mit grosser Betroffenheit habe ich dieser Tage erfahren, dass beim grossen Erdbeben in Nepal nicht nur ganze Städte in sich zusammengefallen sind, sondern eine gigantische Eis-Geröll-Lawine das Dorf Langtang und auch praktisch sämtliche der etwa 450 Einwohner unter sich begraben hat. 
Wir haben vor fünf Jahren einen Treck in der Langtang-Region gemacht und in Langtang selber bei einer Familie privat übernachtet. Wahrscheinlich wurden auch die anderen Ortschaften im Langtang-Tal vom Erdbeben stark betroffen, das Epizentrum des Bebens lag übrigens nur wenige Kilometer weiter hinten im Langtang-Tal.

Nachfolgend einige Bilder von damals und von heute.



Heute:
After: Nepal's Langtang Valley
Photo: Facebook: Mal Haskins