Sonntag, 23. Februar 2014

Crack Baby - Fotofinish einer verknorksten Saison

Mehr als einmal habe ich diese Saison mit dem Gedanken gespielt, die Eisgeräte auf Ricardo zu verhökern. Nichts, aber auch gar nichts wollte gelingen. Tiefpunkt war die ominöse 'Letztbegehung' des Throns, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen möchte. Bis vor einer Woche schien es völlig undenkbar, dass es überhaupt noch Eis unter die Steigeisen geben würde. Und dann kommt doch tatsächlich Peter mit dem Vorschlag, die Crack Baby zu versuchen! Der schlechte Groove ist wie weggeblasen, die Motivation und das Kribbeln im Bauch sind zurück!

Nun gut, zuerst einmal muss ein sorgfältiger Zeitplan erstellt werden. Am Abend Anfahrt, vor Ort übernachten, dann früh los, um als erste am Einstieg zu sein. Der erste Punkt klappt, der zweite nicht. Denn obwohl wir getimt haben, eine halbe Stunde vor Tagesanbruch am Einstieg zu sein, hören wir bereits um halb vier die ersten Seilschaften an unserem Zelt vorbeischnaufen. Unglaublich! Als wir um sechs Uhr, immer noch stockdunkel, am Einstieg ankommen, ist bereits die erste Seilschaft am Werk, und die zweiten machen sich bereit. 
Da wir jetzt eh nicht die Ersten sind, können wir zuerst mal in aller Ruhe frühstücken und unser Zeugs richten. Ohne eine Minute warten zu müssen, steigen wir dann um sieben Uhr ein. Es beginnt gemächlich, gut ausgehackte 75°. Da wir aber bereits auf die vorangehende Seilschaft auflaufen, schlägt Peter vor, die zweite Länge etwas links zu legen. Eine mittelprächtige Idee, denn abseits der ausgehackten Tritte ist das Eis recht mürbe. Entsprechend muss ich im geschätzten Wi4-Gelände bereits ordentlich ran.
Peter versucht dann, auch die dritte Länge links durch zu legen, scheitert aber in miserablem, mürben und röhrigen Eis. Im brüchigen Eis ist auch Eisschlag kaum zu verhindern, und da sich am Einstieg bereits die nächste Seilschaft bereit macht, zeigen wir uns sozial und queren auf die normale, ausgehackte Linie zurück. Ist allerdings eine total coole, steile Seillänge, die Appetit auf das noch Kommende macht!
Zurück auf der Originallinie, beginnt jetzt das eigentliche Spektakel. Der Auftakt bietet ein riesiger, überhängender Eisbalkon, der sich aber dank des natürlichen Eiswachstums erstaunlich einfach überwinden lässt. 
Zuerst einer senkrechten Kerze entlang hoch, dann etwas akrobatisch auf ein Balkönchen. Ein überhängender Boulderzug leitet schlussendlich in flacheres Gelände. Auch der Tiefblick kann sich hier schon sehen lassen. Und das ist erst der Beginn!
Als nächster Programmpunkt steht die nominelle Schlüsselstelle an. In schlechteren Jahren ist hier eine dünne Säule, oftmals sogar nur ein Zapfen vorhanden. Dann muss die Stelle äusserst schwierig im Fels gemeistert werden. Heuer aber steht eine riesige Kerze, mehrere Meter dick. Infolgedessen ist die Kletterei zwar steil und athletisch, aber keinesfalls heikel. 
Nach einigen senkrechten Metern folgt sogar eine kurze überhängende Passage, bevor sich der Fall wieder etwas zurücklehnt. Dazu die saugende Tiefe! Definitiv eine der besten Längen, die ich schon geklettert bin.
In der nächsten Seillänge bin ich wieder am 'scharfen Ende'. Allerdings ist sie eher wieder ein Tick gemütlicher, nicht ganz zu höllisch exponiert, aber immer noch steil. Etwas zickzacken um Eisbalkone, zweimal über einen Blumenkohl bouldern, dann ist sie gegessen. 
Jetzt folgt das fulminante Finish: Die letzte Seillänge verspricht nochmals fast 60 Meter senkrechte Kletterei, dazu super-exponiert - ausgehackte Eisschollen fallen hier hundert Meter in die Tiefe ohne aufzuschlagen! Peter legt einen super Vorstieg hin, wobei er allerdings von einer Eisscholle 'geküsst' wird und die Länge leicht angeschlagen beendet.
Nach knappen sechs Stunden Kletterzeit (dazu kommt noch etwa dreiviertel Stunden Wartezeit) dann ein Händedruck, und das gute Gefühl, den unumstritten besten Eisfall der Schweiz geklettert zu haben. Nach sechsmaligem Abseilen stehen wir zurück am Einstieg, und beobachten das Treiben im Fall. Unter anderem ist eine holländische Spitzenklettererin eingestiegen, die die steilen Längen in Rekordtempo abspult (im Bild unten ist sie grad im Ausstieg aus der Schlüssellänge).
Dann noch ein Bild von einem weiteren Prunkstück der Breitwangflue:

Facts:
Breitwangflue, "Crack Baby", Wi6, 250m
Für mich ein langgehegter Traum: Der beste Eisfall der Schweiz. Lang, steil, anhaltend und unendlich exponiert. Besser kann Eisklettern eigentlich kaum sein. 

Die Schwierigkeiten der Seillängen zur Zeit sind in etwa:
Wi3+, Wi4 (linke Variante), Wi5, Wi5-, Wi6-, Wi5-, Wi6-. 

Bemerkungen:
Vom Material her eine reine Eistour. Für den Zustieg braucht es keine Schneeschuhe, es ist alles gut gespurt. 
Das grosse Thema im Crack Baby ist natürlich der unglaubliche Auflauf an Leuten. Wenn man wirklich als Erste am Einstieg sein will, dann muss man so richtig, richtig früh aufstehen und bereit sein, die Hälfte des Falles mit der Stirnlampe zu klettern. Oder aber man steigt erst am späteren Nachmittag ein, um dann den oberen Teil des Falles mit der Stirnlampe zu klettern. Oder man wählt einen Tag mit grosser Lawinengefahr, oder grosser Eisschlaggefahr. Oder man wartet, bis das Crack Baby wieder schlechte Bedingungen hat. Alles keine Option? Dann muss man sich wohl oder übel damit abfinden, ab und zu mal ein Eissplitter auf den Helm zu erhalten. Aber dadurch dass der Fall total ausgehackt ist, ist das Risiko von grösseren Eisschollen schon eher klein. Zudem ist der untere Teil des Falles nicht in der Falllinie des oberen Teiles, und der obere Teil ist oft so steil, dass man kaum touchiert wird.