Montag, 21. März 2016

Couturier-Couloir

Das Couturier-Couloir an der Verte - eine der bekanntesten Firn- respektive Eistouren der Alpen auf einen der charaktervollsten Viertausender der Alpen. Bei dieser Tour ist es weniger die Schwierigkeit der Kletterstellen, sondern vielmehr die Linie als Ganzes, welche begeistert: Ein gleichmässig geneigtes, etwa 900m langes und etwa 100m breites Schneecouloir, welches sich ohne Unterbruch direkt auf den Gipfel der Verte zieht. Eine Tour, die man einfach mal gemacht haben muss. Leider ist bei dieser Unternehmung das richtige Timing eher noch schwieriger als bei vergleichbaren Touren: Die beste Jahreszeit für Firnwände in den Alpen wäre der Mai oder Juni, allerdings ist der Abstieg über den Whymper im Frühsommer bereits mit grösseren Risiken verbunden. Im Spätwinter hingegen ist das Couturier oftmals blank und deshalb kaum genussvoll kletterbar. Das erklärt wiederum, warum ich und Sophie fast fünf Jahre lang auf den richtigen Moment gewartet haben. Dieses Wochenende aber hat das Warten ein Ende.
Da die Argentière-Hütte bereits voll ist (was zu erwarten war in der Skitouren-Hochsaison), peilen wir das Couturier als Tagestour von der Bahn aus an. Für mich nicht gerade die optimale Wahl, ich hätte ein 'traditioneller' Ansatz mit Hüttenübernachtung bevorzugt. Wobei, es hat natürlich auch was für sich, in einem gemütlichen Hotelbett zu nächtigen und dann ausgeschlafen in die Tour einzusteigen. Eine Stunde vor der ersten Bahn sind wir bereits vor Ort - keine Minute zu früh, es hat schon ordentlich Tourengänger in der Warteschlange. Oben angekommen queren wir mit den Skis unter der Nordwand des Grands-Montets-Grat durch und gelangen so ohne gross zu Stöckeln bis aufs Gletscherplateau unter dem Nordsporn der Verte. Die Querung ist objektiv nicht ganz ungefährlich, aus dem riesigen Serac beim Cordier-Couloir brechen regelmässig grosse Blöcke ab. Von hier sieht man endlich auch das Couturier-Couloir direkt ein - eindrücklich!
Zuerst laufen wir mit den Skis etwa 100m hoch, danach wechseln wir auf die Steigeisen und binden die Skis auf. Den zur Zeit problemlosen Bergschrund queren wir rechts auf einer perfekten Spur. Hier die deutsche Dreierseilschaft, die uns bald überholen werden und die Tour +- seilfrei gehen (zu sagen ist, das ich persönlich nie unangeseilt über einen Bergschrund gehen würde, zu oft hatte ich in der Vergangenheit schon unangenehme Erfahrungen mit kollabierenden Bergschründen). 
Jetzt befinden wir uns in der Wand, es gilt den richtigen Rhythmus zu finden und gleichmässig zu steigen. Die Verhältnisse sind perfekt: Eine angenehme Spur mit tiefen Tritten, man steigt wie auf einer Treppe hoch. Im Bild unten sieht man die Schlüsselstelle der Tour: Unter dem Felsriegel quert man nach links, um dann etwa 30 Meter in etwa 65° steilem Styroporschnee und Blankeis dem Felsriegel entlang hochzuklettern.
Nervenstarke Bergsteiger klettern diese Stelle wohl seilfrei, wir sind hingegen froh um die sechs Schrauben, mit denen wir die Stelle parallel kletternd absichern. Nach dieser Engstelle neigt sich die Wand eher wieder etwas zurück und wir sind zurück im Schnee. Jetzt läufts wie am Schnürchen: Meter um Meter stapfen wir hoch, der Tiefblick wird immer grossartiger. Schon bald erreichen wir den unteren Rand der Kalotte. Wir steigen links der Kalotte hoch und kommen so zu einer zweiten kurzen Blankeisstelle, die wir wiederum an Schrauben gesichert parallel klettern. Die Steilheit hier so um die 50°, also verglichen mit anderen Wänden eher moderat.
Weiter oben folgt dann nochmals eine kurze Blankeisstelle, die sich wiederum gut schrauben lässt. Die Spur zieht sich bis fast unter die Gipfelfelsen, um dann nach links auf den Grat rauszuqueren. In der Querung ist der Schnee hart, wir versichern die Passage nochmals mit Schrauben, um dann endlich auf den Grat in die Sonne auszusteigen. Was für ein emotionaler Moment! Von hier aus erreichen wir in wenigen Minuten den Gipfel der Verte, es ist mittlerweile 13:45, wir haben also knappe vier Stunden für die Wand gebraucht.
Wir geniessen die Ruhe und die Wärme nach den Stunden in der schattigen, kalten Wand, bevor wir uns an den Abstieg machen. Der Whymper ist ja berüchtigt, nicht nur wegen den Steinschlages, sondern auch wegen den unzähligen Abseilern, die manchen Seilschaften schon viel Nerven gekostet haben. So werden auf den Portalen Zeiten bis zu über vier Stunden für das Abseilen herumgereicht. Wir rollen das zweite 60er-Halbseil aus und beginnen die Abseilfahrt. 
Es geht buchstäblich wie am Schnürchen - die Abseilstellen sind dank der guten Spur trivial zu finden, und es hat auch wirklich viele Abseilstellen (wahrscheinlich könnte man problemlos mit zwei 40er-Seilen abseilen). Und so stehen wir gerade mal zwei Stunden und rund 16 Abseiler später bereits am Bergschrund des Whympers (der letzte Abseiler recht eindrücklich über eine etwa 6 Meter hohe Schneelippe). Kurze Pause, dann schnallen wir unsere Skis an. Leider ist die Abfahrt wenig erfreulich: Ein extrem mühsamer Bruchharst, mit meinen Leichtskis kaum fahrbar. Aber irgendwie kommen wir runter zur Couvercle und weiter bis auf den Gletscher.
Von hier dann auf einer pistenähnlichen Spur in wenigen Minuten bis nach Montenvers. Hochstapfen nach Mottets, und auf dem Waldweg runter bis nach Chamonix, wobei wir die Skis insgesamt noch etwa 15 Minuten tragen müssen. Die Verte als Tagestour in zehn Stunden: Irgendwie frech!

Mit dieser Tour habe ich übrigens die Argentiere Nordwand Trilogie (Courtes, Droites, Verte) abgeschlossen.

Facts:
Aiguille Verte, Couturier-Couloir, S-, 65° (meistens 45°-50°), 900m.

Eindrückliche Eistour in gewohnt grandioser Umgebung. Unbedingt gute Verhältnisse abwarten, bei längeren Blankeispassagen wird die Tour wohl sehr anstrengend und mühsam.

Material: Doppelseil 60m (zum Abseilen), zwei Eisgeräte, etwa 6 Schrauben, Leichtskis.