Sonntag, 25. September 2016

Herb-Alpine Grenzerfahrung

Viel zu lange war es ruhig gewesen auf meinem Blog. Es war zwar für mich ein ereignisreicher Sommer, der allerdings primär am Wickeltisch oder im Büro stattfand. Welcome to reality! Jedenfalls war bei mir die Freude riesig, als es doch noch Ende September für ein Wochenende mit Peter geklappt hat. Dass es bei einer Tour mit Peter nicht im Plaisir-Bereich bleiben würde, war per se klar. Im Gegenteil, so richtig abenteuerlich sollte es werden. Und zwar mit einem Gruselklassiker der 1. Liga - der Seth Abderhalden Gedenkführe an der Drusenfluh. Zu Recht relativ unbekannt - auf dem Internet findet man nur ganz wenige Infos, der denkwürdige Blog auf rocksports.de lässt sich leider nicht mehr finden. Klar ist allerdings, dass es hier schon deutlich ernsthafter abgeht als zum Beispiel an den Niedermann-Routen am Furka.
Anfahrt am Freitagabend, dann Übernachten im gemütlichen Kletterhüttli auf dem Grüscher Älpli. Der Wecker wird auf fünf Uhr gestellt, schliesslich ist es bei einem derartigen Unternehmen von Vorteil, etwas 'spatzig' zu haben. Nach guten anderthalb Stunden Zustieg stehen wir unter der eindrücklichen Riesenwand des grossen Drusenturms. Die Linie ist klar gegeben: Eine Serie von Kaminen zieht sich wie mit dem Lineal gezogen durch die Wand. Über ein Geröllkegel und eine kurze Steilstufe geht es zum Einstieg, der durch ein paar halb verweste Seilstücke 'markiert' ist. 
Mit etwas flauem Magen steige ich kurz nach halb acht in die erste Seillänge ein. Die ist mit IV+ bewertet und grundsätzlich gutmütig, wie immer im Rätikon gilt auch hier sauber auf die sloprigen Tritte zu stehen. Der Stand (wie auch fast sämtliche anderen Stände) bestehen aus drei Schlaghaken - von Beat Kammerlander und Gefährten vorbildlich 'restauriert'. Die zweite Seillänge checkt bei III ein und ist auch nicht wirklich schwerer. Interessant wird es dann ab der 3. Länge: Zuerst ein ausgewaschenes Couloir hoch, dann rechts über leichte Felsen hoch bis auf eine Schulter. Es folgt eine recht giftige Wandstelle mit rostigem Normalhaken, wo nur saubere Fussarbeit weiterhilft und die wenig mit V- zu tun hat: So spielt hier die Musik. Ich verwende übrigens in diesem Blog die alte UIAA-Skala, um zu betonen, dass hier nicht mit modernen Sportkletter-Massstäben gerechnet wird. Die 4. Länge ist mit V+ bewertet - die erste Wandstelle ist allerdings ein knallharter Boulder an kleinen Griffchen, eigentlich tolle, moderne Kletterei, unsereins würde wohl eher 6a veranschlagen, nur eben, wir sind hier im klassischen Gelände.
Es folgt eine zur Abwechslung mal mit VI eher gutmütig bewertete Länge, die ich vorsteige: Über schöne Platten, garniert mit etwas Gras, geht es in schöner Kletterei bis unter die sich eindrücklich aufsteilende Wand. 
Und schon erspäht das Auge den markanten 'Moosbalkon', eine der gruseligsten Kletterstellen vielleicht im ganzen Rätikon. Peter die Vorsteigermaschine nimmt die Länge in Angriff. Zuerst kommt eine kurze, giftige Verschneidung in bereits nur noch 'mässigen' Fels. Dann wechselt Peter in den grossen Kamin, der mit Moos und Gras 'garniert' ist. Als Peter nach über einer Stunde das erlösende 'Stand' ruft, ist mir klar, dass hier Vollgas gefordert wird.
Und ja, es ist wirklich ein wilder Ritt, bei dem mir selbst im Nachstieg angst und bange wird. Senkrechte Kaminkletterei an flechtigem Fels, dann irgendwann ein guter Henkel, der zudem auch noch fest ist. Von hier aus dann der berühmte Griff ins feuchte Moos - ob das wohl hält? Wenn nicht, dann vielleicht einen der teils älteren, teils neueren Normalhaken? Man möchte es lieber nicht testen. Ich wälze mich auf den Grasbalkon. Es folgt dann ein weiterer Stemmkamin, nochmals steil, nochmals anspruchsvoll. Am Stand dann endlich die langersehnte Sonne. Die Bewertung VI aus dem Führer ist natürlich ein Witz, frei geklettert wäre es wohl so im Bereich 6b, wobei es allerdings auch wirklich gar nichts mit einer Sportkletter-6b zu tun hat.
Ich kann mich glücklich wähnen, denn 'meine' Seillänge, mit V+ bewertet, ist wiederum deutlich gäbiger zu klettern. Ein toller Schrubber-Kamin, recht gut mobil absicherbar, gefolgt von einem etwas botanischen Riss: Halt das übliche Menü, was uns Seth Abderhalden und Gefährten hier servieren.
So richtig, richtig bösartig wird es dann auf der nächsten Seillänge: Mit VI+ bewertet nicht nur rein nominell die Schlüssellänge, sondern auch gefühlt. Das liegt allerdings weniger an der reinen Kletterschwierigkeit, sondern an der Tatsache, dass der Fels hier ausserordentlich brüchig ist. Es ist schon im Nachstieg total psycho, sich im senkrechten, ausgesetzten Gelände an kleine Griffe zu klammern, von denen jeder zweite bei der ersten Berührung den Weg nach unten nimmt. Mein riesengrosser Respekt vor Peters Vorstieg! Hier im Bild die Seillänge, man erahnt nur die Steilheit des Gemäuers.
Eine kurze, mit III bewertete Seillänge führt schon gleich an den nächsten Prüfstein: Ein überhängender Schulterriss, gefolgt von einem wilden, senkrechten Kamin. 
Zum Glück ist hier der Fels wieder recht gut, und die traditionelle Kletterei macht wirklich Spass. Stemmen, drücken, schrubben, den Rucksack ziehe ich an einer Schlinge nach. Am Ausstieg kann übrigens ein 6er-Friend gute Dienste leisten, auch wenn hier die Kletterei nicht mehr schwer ist.
Laut Topo folgen jetzt zwei Längen im II. und III. Grad. Etwas entspannen, Kräfte aufbauen - weit gefehlt! Die erste Länge geht durch ein unendlich brüchiges Couloir, wo die Schwierigkeit darin besteht, den am Stand sichernden Partner nicht zu erschlagen. Stand in einer Höhle an grossen Friends. Jetzt wird auch klar, warum das Topo hier vorschlägt, dass der Vorsteiger oben rum, der Nachsteiger unten rum gehen soll. Der Weg oben rum geht über schmierigen und unendlich brüchigen Fels, man klettert praktisch am Sturzlimit. Immerhin kann man gleich zu Beginn der schwersten Stelle einen Friend setzen, danach gibts aber keine Sicherungsmöglichkeit mehr. Der Nachstieg hier wäre deshalb harakiri. Unten rum führt der Weg über eine brüchige und völlig von Moos bewachsten Wandstufe. Zwar nur ein IIIer, aber man kann das Ding praktisch kaum frei klettern (geschweige denn im Vorstieg), derart glitschig ist der Fels. Mit etwas Seilzug von oben geht es dann doch. Am nächsten Stand befindet sich ein Wandbuch, daraus wird ersichtlich, dass die Route in den letzten Jahren doch 2-3 Begehungen pro Jahr verbuchen durfte.
Die nächste Länge geht wiederum an mich: Zuerst ein steiler Riss, mit VI bewertet und sicher nicht einfacher, aber immerhin in ordentlichem Fels. Danach folgt eine kurze Plattenstelle, zuletzt eine wirklich schöne, relativ leichte Rissverschneidung, wo man die ganz grossen Friends einsetzen darf.
Nochmals etwas schärfer, wenn auch 'nur' mit V+ bewertet, geht es auf der zweitletzten Länge zu: Eine senkrechte Rissverschneidung, wo nochmals das gesamte Repertoire an traditionellen Techniken angewendet werden darf, und das für uns Hallenbabies gefühlt eher bei 6a+ liegt. 
Jetzt rückt das Ende in Reichweite! Still one to go. Und was für eine Länge! Das ganz grosse Kino wird hier aufgefahren. Man betritt ein Höhlensystem, durch das man sich unter Anwendungen von Stemmtechniken hochschrubbt. Ein kalter Wind weht einem um die Ohren, und der nasskalte Fels lässt einem die Hände kalt werden. Nichtsdestrotrotz, irgendwie geniesse ich es, einfach weil ich so etwas noch nie erlebt habe.
Dann der Ausstieg in die Sonne, was für eine Erlösung! Als wir uns die Hände schütteln, das Rätikon zu Füssen, können wir es noch nicht ganz fassen, was wir soeben erlebt haben. Es ist mittlerweile vier Uhr, wir haben etwas über acht Stunden für die Route gebraucht. 
Beim Abstieg und der langen Wanderung zurück zum Kletterhüttli haben wir genug Zeit, die Tour nochmals Revue passieren zu lassen. Es war ein grossartiges Erlebnis, ein richtiges Abenteuer, auch wenn die Kletterei kaum den Geschmack der Massen treffen dürfte.


Facts
Grossen Drusenturm, Seth Abderhalden Gedenkführe, VI+ (A2), 15 SL

Eine ganz grosse Felsführe, vollständig traditionell abgesichert (keine Bohrhaken), ausserordentlich wilde Stellen, teils unglaublich brüchig, teils aber auch guter Fels. Keine Route für Jedermann - im Gegenteil, geschätze 99 von 100 Kletterer würden die Route vom ersten Meter an hassen! Laut Topo ist die Route maximal 6a, gefühlt allerdings eher so im Bereich 6b. Es lohnt sich, eine grosse klettertechnische Reserve zu haben und insbesondere eine solide Riss- und Kamintechnik im Repertoire zu haben. Die Schlüsselstellen sind der Moosüberhang in der 6. und der brüchige Riss in der 8. Länge. Das Topo auf raetikon.ch (inklusive textueller Beschreibung) ist empfehlenswert, das aus dem neuen Bündnerführer ist als Backup ebenfalls ok. Auch gut ist das Topo aus dem alten Rätikonführer vom SAC. 
Die Route wurde von Voralberger Kletterer um Beat Kammerlander restauriert, sprich, die Stände mit neuen Schlaghaken ausgerüstet und teils alte Schlaghaken durch neue ersetzt. Mit anderen Worten: Es ist eine richtige Trad-Route! Das muss unbedingt auch so bleiben, denn solches Abenteuergelände gibt es leider viel zu wenig.

Material: Ein vollständiges Set Friends und Keile, bei den Friends unbedingt bis Bd Cams bis zum 4er, mittlere vielleicht sogar doppelt. Der 5er und den 6er brauchts nicht zwingend, vor allem nicht bei einem routinierten Vorsteiger (und der ist sowieso zwingend!) - schaden kann zumindest einer der beiden aber auch nicht. Hammer und Haken hatten wir nicht dabei, könnte aber auch nicht schaden, vor allem wenn man den Moosbalkon techen will. Wir hatten 60er Halbseile dabei, das nächste Mal würden wir aber eher die 50er nehmen. 

Am nächsten Tag gab's dann noch die Via Andres an der 7. Kirchlispitze. Ebenfalls praktisch trad, ebenfalls anspruchsvoll und empfehlenswert, wenn auch vom Charakter her völlig anders. Für den Moment spare ich mir die genauere Beschreibung, vielleicht habe ich mal noch Zeit dafür in den nächsten Tagen.

Montag, 9. Mai 2016

Dirruhorn - der unlohnendste 4000er?

Das Dirruhorn gilt nicht gerade als der Traumberg per se. Im Gegenteil, in unmittelbarer Nähe zum höheren und schöneren Nadelhorn und Hohbärghorn fristet es ein Schattendasein. Zudem haben die Aufstiege im Sommer einen schlechten Ruf, brüchiger Fels, steinschlägige Couloirs. 
Obschon ich kein 4000er-Sammler bin, hat es mich immer etwas gewurmt, dass ich damals bei einer Begehung des Nadelgrates das Dürrenhorn ausgelassen hatte (respektive, wir sind damals direkt auf das Hohbärghorn über die N-Wand gestiegen). Und extra ein Sommer-Wochenende für diesen Bruchhaufen zu investieren war mir immer zu schade. Ich weiss nicht, weshalb ich vor einigen Tagen die spontane Eingebung hatte, das Dirruhorn im Rahmen einer Frühjahrs-Skitour zu besteigen. Jedenfalls liess sich Sophie sofort von diesem Plan begeistern, denn auch ihr 'fehlt' dieser Berg noch im Palmares. Um die Tour auch skifahrerisch noch etwas aufzuwerten, planen wir nach dem Dirruhorn noch den Balfrin zu besteigen und über dessen Nordflanke ins Saastal abzufahren. 

Unsere Tour beginnt am Mittwochmorgen, als wir mit dem Zug und Postauto das kleine, ausgestorbene Bergdorf Gasenried erreichen. Wunderschönes Wetter, aber recht kalt - ideale Verhältnisse für einen Hüttenaufstieg im Mai. Zuerst ist allerdings eine Portage von etwa einer Stunde angesagt, ab 2000m liegt dann genug Schnee für die Skis. Der Hüttenweg zieht sich noch, zudem ist der Schnee ab etwa 2400m noch nicht vollständig umgewandelt es erfordert etwas Spuraufwand.
Aber eigentlich ist es wirklich cool, es herrschen perfekte Verhältnisse und wir sind völlig alleine in diesem vergletscherten Gebirgskessel. Es ist mir bis jetzt ein Rätsel, warum nicht mehr Leute in diese Gegend gehen - uns soll es recht sein. Nach etwa viereinhalb Stunden erreichen wir die Bordier-Hütte. Einen separaten Winterraum gibt es nicht, und so feuern wir bald darauf den Hüttenofen ein. 
Den Nachmittag verbringen wir geruhsam mit Lesen und Chillen. Schliesslich steht uns ein strenger Tag bevor! Hier das Dirruhorn im letzten Abendlicht.
Am nächsten Morgen starten wir um 4 Uhr. Wir erkennen wenige hundert Meter hinter uns eine Zweierseilschaft, die offenbar eine Tagestour macht. Die Spurarbeit nimmt sie uns allerdings nicht ab - und die hat es in sich. Spätestens ab etwa 3300m wird der Schnee pulvrig und tief. Nix mit glattem Firndeckel! Der kurze Aufschwung am SW-Ausläufer des Balfrins ist nicht besonders gut eingeschneit, wir gehen am langen Seil. Danach erreichen wir das flache Gletscherplateau, das Gelände wird einfach, das Spuren bleibt streng. Sonnenaufgang am Hohbärghorn...
... und an den Bergen auf der anderen Talseite.
Jetzt sieht man auch 'unsere' geplante Linie am Dirruhorn: Wir klettern das linke Couloir hoch, dann über den langen SE-Grat auf den Gipfel. Ein interessantes Projekt scheint auch die zentrale Rinne zu sein.
Der Zustieg zur Wand ist zäh, der Schnee bleibt tief und etwas klebrig.
Schlussendlich erreichen wir nach knappen drei Stunden dann doch noch den Mini-Bergschrund. Der unterste Hang ist mit etwas unter 40° noch nicht arg steil und lässt sich dank gutem Pulverschnee sogar mit Skis begehen. Bald aber wechseln wir auf die Steigeisen. Das Couloir selber bietet ordentliche Aufstiegsverhältnisse, etwas tief, dafür nirgends aufgeweicht oder blank. Ich binde mir die Skis auf, mein Plan ist es das Couloir wenigstens teilweise zu fahren. Hier der Tiefblick am Ausstieg:
Jetzt folgt der Fussaufstieg über den SE-Grat. Und dieser hat es noch in sich: Zwar ist der Grat grösstenteils wirklich einfach, es liegt aber recht viel unverfestigter Schnee, die Spurarbeit ist einmal mehr streng. 
Die schwierigsten Stellen folgen auf den letzten Metern zum Gipfelkreuz und bewegen sich im oberen zweiten Schwierigkeitsgrad. Insgesamt brauchen wir etwas über eine Stunde für den Grat, um 9:15, also nach rund fünf Stunden, stehen wir auf dem Gipfel des Dirruhorns. Eine erstaunlich lässige Tour für einen so blöden Berg!
Der Rückweg ins Pässchen geht dann dank gemachter Spur effizient. Ich trage die Skis noch bis über die erste Engstelle im Couloir, dann beginnt die Adrenalin-Abfahrt! Ich muss zugeben, dass ich noch nicht allzuviel Erfahrung im Steilwandfahren habe, mit einer Steilheit um die 45° ist es grad etwa das Limit von dem was ich mich getraue. Die Schneeverhältnisse sind zwar gut, aber nicht ganz perfekt. Nach einem ersten Turn merke ich, dass meine Dynafit Radical Bindung hinten lottert - leider ein bekanntes Ärgernis. Beim zweiten Turn rutsche ich hinten promt raus. Dies ist mir dann etwas zu unangenehm, und ich rutsche die nächsten 50m ab (Asche auf mein Haupt). Dann neigt sich das Couloir etwas zurück, und ich getraue mich trotz lödeliger Bindung das Couli abzufahren. Hier Sophie am Powdern, man erkennt noch meine Spuren im Couli etwas rechts der Mitte.
Jetzt war eigentlich angedacht, auf einem harten Firndeckel die zwei Kilometer bis an den Südfuss des Balfrins im Schuss zu fahren. Daraus wird natürlich nix. Nach wenigen Metern fellen wir wieder an und spuren die lange Strecke zeitraubend. Der Aufstieg auf den Balfrin selber geschieht zuerst über die Südflanke, doch diese ist mit etwas unter 40° einfach ein Tick zu steil für bequemes Gehen, zudem hat es relativ viele Felsen. So queren wir auf etwa 3700m auf den Südgrat raus. Dieser ist zwar wirklich trivial, nur liegt hier sogar noch etwas mehr Schnee als am Dirruhorn. Wir versinken teilweise hüfttief, und meine Kraft und Moral sinkt ins Bodenlose. Es wird ein richtiger Krampf, völlig ausgepowert erreichen wir um 13 Uhr den Gipfel des Balfrins - er wird uns in schlechter Erinnerung bleiben!
Doch die Abfahrt wird uns für alles entschädigen! Die obersten 400hm sind noch nicht so doll, ein windbearbeiteter Hartschnee. Danach aber Powder vom Feinsten! Es kommt relativ selten vor, im Mai im Hochgebirge Pulver anzutreffen, das hier ist wohl eine meiner besten Abfahrten überhaupt. Das Gelände ist bis auf etwa 2900m recht anhaltend steil und teilweise verschrundet, bei schlechter Sicht wäre es ziemlich heikel. Nach der Querung auf die Westseite wird der Schnee sulzig und erlaubt wiederum schöne Schwünge.
Entgegen meinen Befürchtungen reicht der Schnee noch bis auf etwa 1900m runter. Leider verpassen wir den besten Moment, auf den Wanderweg rüberzuwechseln, was uns ein letzter Kampf mit den Elementen beschert (in diesem Falle mit den Erlenbüschen). Immerhin, der Fussmarsch nach Schweibu ist mit knappen 30 Minuten völlig im Rahmen, und bald schweben wir mit dem Bähnchen zurück in die Zivilisation. Und da sage noch wer, dass das Dirruhorn eine blöde Tour sei!

Facts:
Dirruhorn als Skitour, SS (45°), Fussaufstieg WS.

Warum macht niemand das Dirruhorn im Frühling? Eine tolle, grosse Skihochtour mit gutem Skigelände und einem moderat langen Fussaufstieg. Die Kombination mit dem Balfrin ergibt eine strenge und lange Tour mit einer super Abfahrt.

Material: Skihochtourenmaterial inklusive Pickel, Steigeisen und Seil. Das Gebiet ist oftmals nicht gut eingeschneit, und es hat doch einige Spalten.

Samstag, 23. April 2016

Charlet-Couturier am Mont Dolent

Nur zwei Jahre nach der Erstbegehung des Couturier-Couloirs an der Verte (s. mein letzter Blog-Eintrag) hat dieselbe Seilschaft, Armand Charlet und Marcel Couturier, das markante NW-Couloir am Mont Dolent erstbegangen. Dieser mittelschwere Gully erlaubt eine bergsteigerisch interessante Überschreitung des Mont Dolent im Dreiländereck Schweiz-Italien-Frankreich. Diese Tour ist denn auch das Ziel dieses Chamonix-Ausfluges von Thomas und mir. 
Wir fahren am Mittwochmorgen mit der ersten Zugverbindung nach Argentière, dann hoch mit der Seilbahn nach Grands Montets. Von Frühling ist hier noch nicht viel zu spüren, es hat recht viel Skifahrer-Volk. Skis anschnallen und kurze Abfahrt bis zum Einstieg der Pépite. Dieser kurze Gully eignet sich ideal zum Angewöhnen und als Halbtagestour vor einem nachmittäglichen Hüttenaufstieg. Wir wechseln von den Skis auf die Steigeisen - los gehts! Dank einer guten Spur (selber spuren wäre im tiefen Schnee recht mühsam gewesen) gelangen wir in wenigen Minuten an den Beginn des eigentlichen Gullies - einem anregenden Gemisch aus hartem Schnee, etwas Eis und Felszacken. Die erste Länge ist schon recht cool, die Kletterei wirklich mixed - oftmals kratzt man im Fels und steht im Styroporschnee, oder umgekehrt. Die Schwierigkeiten sind überschaubar und bewegen sich so im Bereich M4. 
Deutlich verschärfter ist die zweite Länge, welche durch die markante Verschneidung hochführt. An mehreren Stellen steht geschrieben, dass die Verschneidung dry ist. Dies kann ich nicht bestätigen, ein etwa 15cm breiter Streifen aus Eis bedeckt den Grund der Verschneidung, und erlaubt eine interessante, recht technische Mixedkletterei. 
Photo tk
Der Crux-Move, ein hoher Antreter in der glatten Verschneidung, die Pickel an wackligen Hooks im dünnen Eis, getraue ich mich erst zu machen, als ich etwas vom Eis abräume und darunter einen Cam versenken kann. Von der Schwierigkeit her bewegt man sich hier wohl im Bereich eines unteren M5. Danach erreicht man ein Schneeband und die Kletterei wird deutlich einfacher. 
Es folgt eine weitere interessante, aber etwas leichtere Länge entlang von Schneestreifen und über kurze Felsstufen, so im Bereich M3. Die letzte Seillänge, die wir parallel klettern, führt über leichten Schnee auf den Grat. Vom Ausstieg stapfen wir in wenigen Minuten zurück zum Col de Montets und der Piste entlang zum Skidepot. Und von hier folgt eine coole Abfahrt auf den Argentière-Gletscher, und weiter hoch zum Refuge Argentière. Beim Wechsel auf die Felle haben wir noch Zeit, das morgendliche Ziel zu begutachten. Die Vorfreude wächst!


Facts:
Petite Aiguille Verte, "Pépite", M5-, 4 SL

Schöner, kurzer Gully in relativ harmloser Umgebung, der interessante Mixed-Kletterei bietet. Eine ideale Angewöhnungstour für grössere Sachen.

Material: Reduziertes Set Cams und Keile, insbesondere die mittleren Cams sind hilfreich. Dazu vielleicht 1-2 kurze Schrauben. Die Route ist nicht zum Abseilen eingerichtet.


Der Wecker läutet um 3 Uhr, und um viertel vor 4 brechen wir auf. Kurz vor sechs Uhr - gerade rechtzeitig zum Tagesanbruch - erreichen wir den Bergschrund unter der mächtigen NW-Wand des Mont Dolents. Dieses Mal dürfen die Skis nicht am Bergschrund bleiben, sondern müssen an den Rucksack! Schliesslich ist ja der Plan, vom Mont Dolent nach Osten abzufahren. 
Der Bergschrund ist nicht ganz ohne, eine fragil aussehende Brücke, gefolgt von etwas Zuckerschnee-Gewühle. Aber schliesslich ist diese erste Prüfung gemeistert, und Thomas greift die erste Eis-Länge an. Wir wählen hier den linken Arm der Route, in gewissen Führern als 'Gully Variations' bezeichnet. Es scheint uns die logische Linie zu sein.
Wir sind beide positiv überrascht, wie gut die Verhältnisse hier im Gully sind. Es hat praktisch überall genug Eis zum Schrauben, das Eis ist weich und ideal zu pickeln. 
Insgesamt sind etwa vier Seillängen im Gully zu klettern, wobei die Steilheit meistens im Bereich 65° ist, mit kürzeren Abschnitten bis 80°. 
Photo tk
Danach legt sich der Gully etwas zurück, es folgt ein Gemisch aus Schneefeldern und kürzeren Eispassagen. Bald einmal erreichen wir das markante Schneeband, welches ein Ausqueren in die Nordflanke des Mont Dolents erlauben würde. Allerdings liegt viel Triebschnee in den steilen Hängen und die Traverse über den Felsbändern scheint uns mühsam und heikel. So bleiben wir im Couloir. Allerdings verschlechtern sich hier die Verhältnisse dramatisch: Wie schon erwähnt liegt viel Schnee in den Hängen, dieser ist aber pulvrig weich und liegt auf brüchigen Felsplatten. Ich eiere über ein kurzer Felsriegel (etwa M4), um so eine längere Tiefschneetraverse zu vermeiden. Stände sind keine mehr zu sehen (respektive sie sind nicht erreichbar), also behelfe ich mir mit Klemmkeilen.
Es folgt eine noch unangenehmere Länge, zwar technisch nicht schwer, aber ein äusserst mühsames Gegurke über schneebedeckte Platten, die Hooks können unter dem Schnee nur 'gefühlt' werden, und Zwischensicherungen sind praktisch inexistent. Endlich finde ich einen alten Schlaghaken rechts unter einer markanten Felsbastion. Bei guten Verhältnissen würde man wohl in wenigen Minuten hochsteigen, wir brauchen weit über zwei Stunden für diese etwa drei Seillängen. 
Eigentlich war der Plan, dass wir jetzt durch ein Schneecouloir links hochsteigen, welches direkt auf den Gipfel des Dolent führen würde. Aber wir sind nervlich bereits ziemlich angekratzt, und die Spur unserer Vorgänger geht nach rechts zurück ins ursprüngliche Charlet-Couturier-Couloir. Und so wählen wir den 'sicheren' Weg und folgen der Spur. Das Couloir selber ist blank respektive nur mit einer dünnen Pulverschneeschicht bedeckt, bald brennen die Waden - aber immerhin bieten hier die Eisschrauben wieder eine solide Lebensversicherung! Die letzten paar Meter in die Scharte sind nochmals im Schnee, der hier zum Glück ein Tick kompakter ist und deshalb bequemeres Vorwärtskommen erlaubt. Ziemlich genau um 12 Uhr, nach knappen sechs Stunden, toppen wir in die Scharte aus - erleichtert, dass die technischen Schwierigkeiten jetzt hinter uns liegen.
Wie geht es jetzt weiter? Der Master-Plan, nämlich weiter über den Grat auf den Gipfel des Mont Dolents zu gelangen, geben wir beim Anblick der steilen, brüchigen und von viel weichen Schnee bedeckten Felsen ohne grosse Diskussion auf. 
Die übliche Variante ist, dass man über die etwa 50° steile Südflanke auf den Pré de Bard-Gletscher absteigen. Die Südflanke ist etwa 150m lang und lässt sich problemlos rückwärts absteigen. Dann können wir endlich zurück auf die Skis wechseln. Tolles Ambiente in dieser einsamen Ecke hoch über dem Nebel, der das Aostatal bedeckt.
Die Abfahrt geht zumindest im oberen Teil plus minus problemlos, wobei der Schnee ein Tick zu weich ist für unsere kurzen Leichtskis. Mühsam wird es, als wir in die Nebeldecke stechen. White-out, null Orientierungsmöglichkeit. Wir folgen einer alten Skispur, die wir aber kurz vor dem Petit Col Ferret verlieren. Wir sind etwa 50 Meter zu tief - Felle an, GPS, Kompass hervor - halt das ganze Programm. Nach einer langen Tour, gedanklich bereits in der Beiz, ist dies ein moralisch nicht ganz einfacher Moment. Zum Glück aber erreichen wir den Pass schon nach wenigen Minuten Aufstieg, und bald sind wir zurück in der Sonne auf der Walliser Seite. In zuletzt recht hübsch fahrbahrem Sulz erreichen wir La Fouly und das wohlverdiente Bier. Eine weitere grosse Eistour im Sack, wenn auch mit dem kleinen Wermutstropfen, dass wir den Gipfel nicht erreicht haben.

Facts:
Mont Dolent, "Charlet-Couturier", SS-, III, Wi4, M2, 600m.

Bei guten Verhältnissen wohl eine problemlose Eistour, die eine elegante Überschreitung des Mont Dolent erlaubt. Bei den aktuellen Verhältnissen ist der obere Teil heikel und zeitraubend. Was mir im Voraus nicht bewusst war, ist, dass der Gipfel eigentlich nur erreichbar ist, wenn man nach links in die Nordflanke ausquert und über diese auf den Gipfel steigt (grüne Linie, Blog siehe hier). Diese Variante erfordert aber sehr sichere Schneeverhältnisse. Die zweite Variante (lila), nämlich dem linken Couloir folgend auf den Gipfel, wird wohl selten gemacht und erfordert ebenfalls gute Schneeverhältnisse (Trittfirn). Die dritte Variante (rot), nämlich dem rechten Couloir folgend in die Scharte, ist der am meisten gewählte Weg. Allerdings ist der Gipfel von der Scharte aus wohl kaum mit vernünftigem Aufwand erreichbar (allenfalls könnte man etwa 50hm absteigen und dann über ein sehr steiles SW-exponiertes Couloir auf den Gipfel steigen). Bei den aktuell herrschenden Verhältnissen haben wir wohl die einzige vernünftige Variante gewählt. 

Material: Eisschrauben (13er und 16er), ein reduziertes Set Keile und Friends (insbesondere kleine Nummern), allenfalls Schlaghaken und Hammer. Die Stände sind auf 60m optimiert, mit kürzeren Seilen kann man nicht abseilen. Macht man die Überschreitung, reicht eigentlich ein 50m Einfachseil. 


Montag, 21. März 2016

Couturier-Couloir

Das Couturier-Couloir an der Verte - eine der bekanntesten Firn- respektive Eistouren der Alpen auf einen der charaktervollsten Viertausender der Alpen. Bei dieser Tour ist es weniger die Schwierigkeit der Kletterstellen, sondern vielmehr die Linie als Ganzes, welche begeistert: Ein gleichmässig geneigtes, etwa 900m langes und etwa 100m breites Schneecouloir, welches sich ohne Unterbruch direkt auf den Gipfel der Verte zieht. Eine Tour, die man einfach mal gemacht haben muss. Leider ist bei dieser Unternehmung das richtige Timing eher noch schwieriger als bei vergleichbaren Touren: Die beste Jahreszeit für Firnwände in den Alpen wäre der Mai oder Juni, allerdings ist der Abstieg über den Whymper im Frühsommer bereits mit grösseren Risiken verbunden. Im Spätwinter hingegen ist das Couturier oftmals blank und deshalb kaum genussvoll kletterbar. Das erklärt wiederum, warum ich und Sophie fast fünf Jahre lang auf den richtigen Moment gewartet haben. Dieses Wochenende aber hat das Warten ein Ende.
Da die Argentière-Hütte bereits voll ist (was zu erwarten war in der Skitouren-Hochsaison), peilen wir das Couturier als Tagestour von der Bahn aus an. Für mich nicht gerade die optimale Wahl, ich hätte ein 'traditioneller' Ansatz mit Hüttenübernachtung bevorzugt. Wobei, es hat natürlich auch was für sich, in einem gemütlichen Hotelbett zu nächtigen und dann ausgeschlafen in die Tour einzusteigen. Eine Stunde vor der ersten Bahn sind wir bereits vor Ort - keine Minute zu früh, es hat schon ordentlich Tourengänger in der Warteschlange. Oben angekommen queren wir mit den Skis unter der Nordwand des Grands-Montets-Grat durch und gelangen so ohne gross zu Stöckeln bis aufs Gletscherplateau unter dem Nordsporn der Verte. Die Querung ist objektiv nicht ganz ungefährlich, aus dem riesigen Serac beim Cordier-Couloir brechen regelmässig grosse Blöcke ab. Von hier sieht man endlich auch das Couturier-Couloir direkt ein - eindrücklich!
Zuerst laufen wir mit den Skis etwa 100m hoch, danach wechseln wir auf die Steigeisen und binden die Skis auf. Den zur Zeit problemlosen Bergschrund queren wir rechts auf einer perfekten Spur. Hier die deutsche Dreierseilschaft, die uns bald überholen werden und die Tour +- seilfrei gehen (zu sagen ist, das ich persönlich nie unangeseilt über einen Bergschrund gehen würde, zu oft hatte ich in der Vergangenheit schon unangenehme Erfahrungen mit kollabierenden Bergschründen). 
Jetzt befinden wir uns in der Wand, es gilt den richtigen Rhythmus zu finden und gleichmässig zu steigen. Die Verhältnisse sind perfekt: Eine angenehme Spur mit tiefen Tritten, man steigt wie auf einer Treppe hoch. Im Bild unten sieht man die Schlüsselstelle der Tour: Unter dem Felsriegel quert man nach links, um dann etwa 30 Meter in etwa 65° steilem Styroporschnee und Blankeis dem Felsriegel entlang hochzuklettern.
Nervenstarke Bergsteiger klettern diese Stelle wohl seilfrei, wir sind hingegen froh um die sechs Schrauben, mit denen wir die Stelle parallel kletternd absichern. Nach dieser Engstelle neigt sich die Wand eher wieder etwas zurück und wir sind zurück im Schnee. Jetzt läufts wie am Schnürchen: Meter um Meter stapfen wir hoch, der Tiefblick wird immer grossartiger. Schon bald erreichen wir den unteren Rand der Kalotte. Wir steigen links der Kalotte hoch und kommen so zu einer zweiten kurzen Blankeisstelle, die wir wiederum an Schrauben gesichert parallel klettern. Die Steilheit hier so um die 50°, also verglichen mit anderen Wänden eher moderat.
Weiter oben folgt dann nochmals eine kurze Blankeisstelle, die sich wiederum gut schrauben lässt. Die Spur zieht sich bis fast unter die Gipfelfelsen, um dann nach links auf den Grat rauszuqueren. In der Querung ist der Schnee hart, wir versichern die Passage nochmals mit Schrauben, um dann endlich auf den Grat in die Sonne auszusteigen. Was für ein emotionaler Moment! Von hier aus erreichen wir in wenigen Minuten den Gipfel der Verte, es ist mittlerweile 13:45, wir haben also knappe vier Stunden für die Wand gebraucht.
Wir geniessen die Ruhe und die Wärme nach den Stunden in der schattigen, kalten Wand, bevor wir uns an den Abstieg machen. Der Whymper ist ja berüchtigt, nicht nur wegen den Steinschlages, sondern auch wegen den unzähligen Abseilern, die manchen Seilschaften schon viel Nerven gekostet haben. So werden auf den Portalen Zeiten bis zu über vier Stunden für das Abseilen herumgereicht. Wir rollen das zweite 60er-Halbseil aus und beginnen die Abseilfahrt. 
Es geht buchstäblich wie am Schnürchen - die Abseilstellen sind dank der guten Spur trivial zu finden, und es hat auch wirklich viele Abseilstellen (wahrscheinlich könnte man problemlos mit zwei 40er-Seilen abseilen). Und so stehen wir gerade mal zwei Stunden und rund 16 Abseiler später bereits am Bergschrund des Whympers (der letzte Abseiler recht eindrücklich über eine etwa 6 Meter hohe Schneelippe). Kurze Pause, dann schnallen wir unsere Skis an. Leider ist die Abfahrt wenig erfreulich: Ein extrem mühsamer Bruchharst, mit meinen Leichtskis kaum fahrbar. Aber irgendwie kommen wir runter zur Couvercle und weiter bis auf den Gletscher.
Von hier dann auf einer pistenähnlichen Spur in wenigen Minuten bis nach Montenvers. Hochstapfen nach Mottets, und auf dem Waldweg runter bis nach Chamonix, wobei wir die Skis insgesamt noch etwa 15 Minuten tragen müssen. Die Verte als Tagestour in zehn Stunden: Irgendwie frech!

Mit dieser Tour habe ich übrigens die Argentiere Nordwand Trilogie (Courtes, Droites, Verte) abgeschlossen.

Facts:
Aiguille Verte, Couturier-Couloir, S-, 65° (meistens 45°-50°), 900m.

Eindrückliche Eistour in gewohnt grandioser Umgebung. Unbedingt gute Verhältnisse abwarten, bei längeren Blankeispassagen wird die Tour wohl sehr anstrengend und mühsam.

Material: Doppelseil 60m (zum Abseilen), zwei Eisgeräte, etwa 6 Schrauben, Leichtskis.

Sonntag, 24. Januar 2016

Cogne 16

Das Highlight des Januars ist jeweils die Eiskletterwoche mit den Freunden vom SAC Albis. Viele potentielle Ziele wurden diskutiert, aber schlussendlich fällt der Entscheid fast einstimmig einmal mehr auf Cogne, dem italienischen Eisklettermekka. Bekanntermassen sind die Eis-Verhältnisse im ganzen Alpenraum äusserst bescheiden, und in Cogne hat man neben einer perfekten Infrastruktur und unkomplizierten Anfahrten respektive Zustiegen auch eine genug grosse Auswahl an Eisfällen, um eine Woche lang pickeln zu können. Arbeitsbedingt war für mich die Anfahrt erst am Montag, und deshalb die Woche leider etwas verkürzt. Am Anreisetag selber reichte Zeit gerade gut aus für eine Seillänge an der Cascade de Lillaz, respektive an der künstlich bewässerten Felswand linkerhand. Die Verhältnisse an der Cascade sind recht gut, an der Felswand linkerhand höchstens mässig, viele Routen lassen sich höchstens im Toprope vernünftig klettern.

Am Dienstag dann für mich der erste 'richtige' Eisklettertag der Saison - für mich ein ungewohnt später Einstieg in die schönste Nebensache der Welt, hat es schliesslich weder für einen herbstlichen Gully noch für eine Frühwinter-Eistour gereicht. Zusammen mit Thomas geht es ins hinterste Valnontey. Dort locken die zwei schöne Wi4-Routen "Fallo di Plutone" und "Coupe Money", die sehr selten geklettert werden und deshalb Einsamkeit garantieren. Um halb 10 - etwas spät, zugegebenermassen - laufen wir in Valnontey los. Dank einer guten Zustiegsspur erreichen wir mit den Tourenskis gute zwei Stunden später den Einstieg des linken Falles, des "Fallo di Plutone". 
Der Nachteil am Eisklettern ist, dass die 'Zwischensaison' jeweils gegen neun Monate dauert, und man deshalb das Vertrauen in die Eisgeräte und die Frontzacken jeweils neu gewinnen muss. Die erste Länge am "Plutone" verlangt mir deshalb gleich einiges ab, obschon kaum 90° steil. Das Eis ist pickelhart, die Cogne-üblichen Hooklöcher nicht vorhanden. Als ich, endlich im flachen Gelände angekommen, die Pickel ins Eis wuchte, da knallt es laut, über mir bricht ein breiter Riss auf, aus dem sich ein Schwall Wasser ergiesst. Es gelingt mir grad noch zur Seite zu springen. Nach einigen Minuten versiegt das Wasser wieder und Thomas kann mit dem Nachstieg beginnen. Die zweite Länge ist deutlich leichter, die dritte Länge über einen dicken Vorhang dafür nochmals etwas schwerer. Allerdings ist hier das Eis besser gestuft, und ich auch bereits etwas besser eingeklettert. Mit 3x abseilen erreichen wir wieder den Einstieg.

Facts:
"Fallo di Plutone", Wi4, 3SL

Abgelegener Eisfall mit zwei steilen und einer flacheren Länge. Abseilstände gebohrt.

Die Uhr zeigt halb drei, die Motivation nach wie vor ungebrochen, deshalb queren wir nach rechts zum Einstieg der "Coupe Money". Dieser Fall ist ebenfalls schön gewachsen und von der Schwierigkeit her ähnlich wie sein linker Bruder. Eine erste SL steigt Thomas bis unter den Vorhang vor, Stand an Schrauben. Es wäre auch möglich, gleich den Vorhang anzuhängen, allerdings hat man dann potentiell Seilzug und gewinnt eigentlich nichts.
Der Vorhang selber ist zwar nicht übertrieben lang (auf etwa 5 Meter 90°), allerdings ist das Eis recht röhrig und glasig. Deshalb bin ich doch ziemlich gefordert, und als mir ein Frontzacken ausbricht gibts sogar fast noch einen Abflug. Schon ziemlich ausgepowert erreiche ich das Flachstück, wo ich einen Schraubenstand einrichte. Die dritte Länge führt über schönes, recht anhaltendes Wi3+ Gelände an einen eingerichteten Stand rechts am Fels. Von hier aus erreichen wir mit zweimaligem Abseilen (in der Mitte an einer Eis-Sanduhr) den Einstieg. Es ist mittlerweile nach fünf, höchste Zeit also für den Abstieg. Dank den Skis (ja, die nutzen hier tatsächlich) erreichen wir im letzten Tageslicht Valnontey.

Facts:
"Coupe Money", Wi4, 3SL
Schöner Fall, der verschieden schwere Varianten zulässt. Der einfachste Weg checkt etwa bei Wi4 ein (bei den aktuellen Verhältnissen vielleicht eher Wi4+).

Am Mittwoch geht es zusammen mit Theo und Sophie ins Valeille. Der ursprüngliche Plan war, die unbekannten Fälle im Talgrund (80 Folgarazione 89, Avazatta oder Ecknaton) auszukundschaften. Allerdings kommen wir im mühsamen, teils zuckrigen, teils harten Schnee nur langsam vorwärts. Als wir dann feststellen, dass die Avazatta überhaupt kein Eis hat, sinkt unsere Motivation, noch weiter ins lange Tal reinzulaufen. Hingegen lockt gleich über uns ein interessanter Eisschlauch, die "Pareri Contrastanti". Also nix wie los! Der Zustiegs-Hang zieht sich ziemlich, aber schliesslich erreichen wir nach etwas über zwei Stunden den Einstieg. 
Die Kletterei entpuppt sich zwar als leicht (max Wi3), aber doch recht lohnend: Die Route verläuft in einer engen Schlucht, die an einen Chamonix-Gully erinnert. Die zweite Länge ist mit 15m bis zu 80° am schwierigsten, der Rest etwas einfacher. Am coolsten ist die vierte und letzte Seillänge, ein kaum mannsbreiter Eis-Streifen. Eindrücklich!
Als wir nach viermaligem Abseilen an gebohrten Ständen zurück am Einstieg stehen, ist die Zeit doch schon fortgeschritten, deshalb gehts gleich in die Bar in Lillaz. 

Facts
"Pareri Contrastanti", Wi3, 4 SL

Nette, leichte Kletterei, landschaftlich eindrücklich, mit allerdings etwas langem Zustieg. Bei Lawinengefahr zu meiden. Zudem kanalisiert der Gully alles Eis, deshalb ungeeignet für mehrere Seilschaften.

Am Donnerstag möchten wir mal eine völlig neue Gegend auskundschaften. So fahren wir hoch ins malerisch gelegene Örtchen Gimillan. Von hier wandern wir mit den Tourenskis ins abgelegene Hochtal Grauson. Hier locken mehrere unbekannte Fälle, unter anderem die "Oceano Polare", die laut Internet gute Verhältnisse haben soll. Nach einer Stunde stehen wir in einem einsamen Kessel, der von einem eindrücklichen Eisfall dominiert wird. Zu Fuss steigen wir ein Schneecouloir hoch bis unter den Einstieg. Dieter und Marek attackieren die rechte Seite, im Führer eben "Oceano Polare" genannt. Claude und ich hingegen steigen links ein - diese Variante wird "G.C.G. '93" genannt und ist noch etwas steiler. So können wir dem Eisschlag von der jeweils anderen Seilschaft gut ausweichen. Die erste Länge steigt Claude vor, die Steilheit ist moderat, im Bereich 70°.
Links hinter dem Vorhang macht Claude Stand. Von hier aus quere ich ein paar Meter hinter dem Vorhang durch, um ein kleines Fenster im Eis zu finden. Ich investiere ein paar Minuten, um es soweit zu erweitern, dass ich mich ohne Rucksack grad knapp durchquetschen kann. Von hier aus sind es nur noch etwa vier senkrechte Meter, die ins flachere Gelände oberhalb der Steilstufe führen, wo ich Stand mache. Die dritte, kurze Länge quert nach links an einen gut sichtbaren, gebohrten Stand. Mit 1x60m abseilen stehen wir zurück am Einstieg, und beginnen den sonnigen Abstieg zurück nach Gimillan.


Facts:
"Oceano Polare" resp. "G.C.G. '93", Wi3-4, 2-3SL

Landschaftlich eindrückliche, abgelegene Tour mit toller Aussicht auf die hohen Berge. Wobei auch hier das Verhältnis zwischen Zustiegs- und Klettermeter nicht ganz optimal ist. Recht alpines und lawinengefährliches Ambiente!

Am Freitag schlussendlich steht eine Tour mit Corina an. Geplant ist der "Grand Val" im Valnontey, einer der leichten Klassiker von Cogne. Am Einstieg angekommen treffen wir eine Dreierseilschaft, die grad abseilt. Sie meinen, der Fall sei zu stark unterspült und deshalb gefährlich. Schon werden Alternativen studiert, aber zur fortgeschrittenen Zeit sind eh schon überall Leute am klettern, und hier wären wir alleine... und so steigen wir ein, nach dem Motto "Lieber selber scheitern als sich zu früh ins Bockshorn jagen zu lassen". Und tatsächlich finden wir eine problemlos kletterbare Linie. Der Fall ist wirklich cool, ein steiler Eisschlauch in einer grossen Felsverschneidung. Hier der Blick auf die dritte Länge:
Facts:
"Grand Val" (Valnontey), Wi3, 3SL

Sehr schöne Tour in einer grossen Felsverschneidung. Der Bach führt recht viel Wasser, insbesondere die zweite Länge ist deshalb oftmals heikel unterspült. Deshalb finden sich die besten Verhältnisse oftmals in trockenen Jahren wie eben im 2016.

Am Abreisetag schliesslich greifen wir noch am "Lauson" an, ein sehr gut erreichbarer, sonniger Fall. Der direkte Aufstieg checkt etwa bei Wi3+ ein, hier teste ich im Toprope noch den kühnen Zapfeneinstieg rechts - das Eis schmilzt mir allerdings regelrecht unter den Sohlen weg!