Dienstag, 27. Mai 2014

Terrain inconnu am Breithorn

Terrain inconnu am Breithorn - der Titel dieses Berichtes sagt es schon. Die Nordseite des Breithorns bei Zermatt ist unbekanntes Gelände. Nur gerade drei Routen, die beiden Triftji-Grate sowohl die klassische Nordwand des Hauptgipfels werden regelmässig durchstiegen. Dabei gibt es noch so allerlei interessante Entdeckungen zu machen - insbesondere im östlichsten Teil dieses steilen Fels- und Eisriegels. Der alte! Walliser Detailsführer dokumentiert hier über ein Dutzend Eisrinnen. Berichte über Besteigungen gibt es allerdings kaum - abgesehen von ein paar Einträgen auf italienischen Foren, die aber auch schon ein paar Jahre zurückliegen. 
Dies ist für mich schon Grund genug, für einmal Chamonix links liegen zu lassen, und die deutlich kürzere und bequemere Fahrt nach Zermatt aufs Kleine Matterhorn auf mich zu nehmen. Zusammen mit Sophie gilt es, das 'Terrain inconnu' zu erforschen. 
Um 11 Uhr schnallen wir die Skis auf dem Klein Matterhorn an, und um halb 12 sind wir bereits unter dem Biwak "Rossi e Volante". Von hier aus sieht man bereits das erste potentielle Ziel, die "Ice Fresser Rinne". Allerdings sind die furchterregenden, von der Sonne zerfressenen Eisfälle nicht gerade anmächelig. So kurven wir um die Ecke des Schwarztors, um sogleich den nächsten Kandidaten zu erreichen, die "Via Perlaice". Diese liegt vollständig im Schatten und dünkt uns sicher genug für eine nachmittägliche Besteigung. Über einen harmlosen Schrund geht es sogleich ins steile Eis! Ein abwechslungsreicher Mix aus Styroporschnee, weichem Wassereis und hartem Nordwandeis. Und mit etwa 80° auch ansprechend steil!
In grossem Ambiente geht es weiter. Auf Sophie wartet hier zuerst ein moderater Gully, der sich aber zuletzt aufsteilt, um dann auf etwa 5m quasi senkrecht in den Schnee führt. Da hier am Morgen jeweils Schmelzwasser von den darüberliegenden Felsen auf das Eis tropft, findet sich hier tolles, flutschiges Softeis vom Feinsten!
Nach diesem vielversprechenden Auftakt neigt sich das Gelände eher zurück, es folgt flächeres Schneegelände, durchsetzt von kurzen Eisaufschwüngen. So erreichen wir bald eine weitere Felsstufe:
Es folgt eine der schönsten Mixed-Längen, die ich schon geklettert bin. Unten zuerst links im Eis, oben dann rechts haltend bis unter den überhängenden Schneepilz. Diesen vorsichtig abtragen, eine Schraube ins darunterliegende Eis drehen, und dann über die kurze, senkrechte Felsstufe nach links queren. Darüber folgen noch ein paar leichtere Meter bis zu einem kleinen Sattel im Grat. Die Kletterei checkt etwa bei M4+ ein und kann mit Keilen und Friends gut entschärft werden.
Hier würde die Route jetzt primär im Fels weitergehen. Leider ist die Zeit doch schon fortgeschritten (und das Gelände für uns wohl auch ein Tick zu anspruchsvoll), deshalb belassen wir es dabei und seilen an Eissanduhren über die Route ab. Der Rückweg ins Biwak ist dann reine Formsache.
Es folgt ein lustiger Abend in der kleinen, aber recht gemütlichen Biwakschachtel. Leider bleibt uns die grandiose Aussicht aufgrund des Nebels verwehrt. Zu schreiben vielleicht noch, dass es im Biwak zwar Wolldecken hat, diese aber etwas feucht sind. Ein Schlafsack mitzunehmen ist deshalb keine schlechte Idee.

Facts:
Roccia Nera, "Via Perlaice", SS, M4+ (unterer Teil), 5 SL

Sehr lohnende, abwechslungsreiche Eistour, ideal als Halbtagestour. Steht etwa einem Chèré-Couloir in nichts nach, einfach dass man hier garantiert alleine ist. Der obere Teil ist wohl deutlich anspruchsvoller. Ich komme wieder!

Material: 10 Schrauben (inklusive lange Schrauben für Eissanduhren), reduziertes Set Friends und Keile.

Am nächsten Tag steht der Hauptgrund unseres zweitägigen Ausfluges an: Eine Begehung der "Primorska smer" am Breithornzwilling. Dieses von der Schwarztorabfahrt gut sichtbare Couloir soll eine der besten Linien im Gebiet sein. Angedacht ist, die Skis im Biwak zu lassen und zu Fuss an den Einstieg zu stapfen. Über die Südseite soll es dann zurück ins Biwak gehen. Leider kam es dann ein bisschen anders...
Aber der Reihe nach. Die Traverse unter der Nordwand durch im Licht der Taschenlampen geht soweit problemlos, wenn auch anstrengend.
Bald stehen wir unter dem Einstieg. Blöderweise wissen wir das nicht, weil man nämlich aus der Froschperspektive den Gully gar nicht sieht. So verlieren wir fast eine Stunde mit Suchen. Schlussendlich ist es sechs Uhr, als wir einsteigen. Auch wenn es nicht so aussieht, aber der Gully zieht sich rechts vom charakteristischen, schattigen Felszahn hoch:
Die erste Seillänge ist ein klassischer Kaltstart! Mürbes Eis auf brüchigem Fels, kaum vernünftig abzusichern. Ein nervenaufreibender Ritt, immerhin halten sich die Schwierigkeiten mit etwa M3+ noch in Grenzen. 
Danach wird es vorerst mal deutlich einfacher. Ein Schneecouloir, 180m lang und gute 50° steil, perfekter Trittfirn. Sophie cruist dem Eis entgegen:
Jetzt folgt der deutlich steilere Eisschlauch. Und ich muss sagen - vom Geilsten! Fast perfektes Eis, bis zu 90° steil, super an Schrauben abzusichern, und dazu genüsslich in der Sonne. Unglaublich, dass hier nicht öfters geklettert wird! 
Es folgt eine weitere perfekte Eislänge, etwas leichter als die vorangehende, aber immer noch spannend.
Nun bieten sich zwei Optionen an: Entweder in steilem, mürben Eis direkt hoch, oder über den Schnee nach rechts. Ich wähle die leichtere Option und gelange so in ein grosses Amphitheater, von senkrechten Wänden begrenzt. Der Gully verliert sich hier in einer senkrechten Verschneidung, gefüllt mit Pulverschnee. Der Führer schreibt hier von "drei Seillängen IV und V". Mit mulmigem Gefühl und dem vollen Rack steige ich in die senkrechte Verschneidung ein. Hacke Eis und Pulverschnee aus den Rissen. Versuche, mit Friends zu operieren. Vergeblich! Es ist einfach zu anspruchsvoll, zu psycho, zu bold für mich. Umzukehren fällt mir nicht leicht, aber ich muss eingestehen, dies ist eine Nummer zu gross für mich. Die geschätzte Schwierigkeit liegt übrigens wohl bei weitem über einem Fünfer, ich würde hier eher auf M6 bis M7 tippen. 
Hier der Blick auf die Stelle. Die obere Kante des markanten Blockes liegt etwa 20 Meter über dem Schneecouloir, es wären etwa 10 Meter in der Verschneidung zu klettern. Bei ganz gutem Schneeverhältnissen könnte man allenfalls über ein (auf dem Foto nicht sichtbaren) abschüssigen Band nach rechts traversieren. Dies geht aber nur, wenn der Schnee hart und mit dem Fels gut verbunden ist, ansonsten äusserst gefährlich.
Nun gut, also abseilen. Dies geht problemlos mit Eissanduhren und Felszacken im unteren Teil. Zurück am Einstieg gilt es, wieder mühsam zu Fuss ins Biwak und dann mit den Skis zum Kleinen Matterhorn zurückzustapfen. 
Rückblickend aber war es trotzdem ein absolut toller Tag, und immer noch eine der besseren Gullies, die ich schon geklettert war.

Facts:
Breithornzwilling, "Primorska Smer", SS, Wi4+, M3+X (unterer Teil).

Wunderschönes Couloir-Gully mit interessanter Eiskletterei. Der Felsteil hingegen ist sehr anspruchsvoll und heikel abzusichern.

Material: Für den unteren Teil reichen ein paar Eisschrauben. Für den oberen Teil wohl das volle Rack bis BD 3, Schlaghaken, allenfalls Trittleiter und was es halt sonst braucht für diese Art Kletterei. Ach ja - mit den Kletterfinken wäre der Fels wohl auch deutlich gäbiger zu klettern.