Mittwoch, 9. Februar 2011

Black Nova (Zwei Tage Kandersteg)

Der jährliche zweitägige Ausflug nach Kandersteg mit Peter ist eine gute Tradition, auf die man ungerne verzichtet. Auch wenn dieses Jahr die Vorzeichen nicht ideal sind - einerseits mein lädierter Kiefer (no comment), andererseits die viel zu warmen Temperaturen. Ob da wohl was geht?
Jedenfalls wollen wir es trotz allem versuchen, und so stehen wir am Montag kurz nach 12 Uhr unter der Öschiwand. Unsere Rechnung, auszuschlafen und erst am Mittag einzusteigen, scheint insofern aufzugehen, als dass es tatsächlich kaum mehr Leute hatte im Eis (für Kandersteger Verhältnisse). Allerdings haben wir den warmen Wind nicht so direkt eingeplant, der die Temperaturen am Eis auf schweisstreibende +8° aufheizte. Kann ja heiter werden... 
Trotzdem steigen wir guten Mutes in den Pingu Wi5+ ein. Ich steige die erste Seillänge nach, im Nacken zwei Polen, die sich offensichtlich gerne mit Eis bewerfen lassen. Plötzlich rumpelt es, und in hohem Bogen schiessen ein paar Steine und Eisbrocken über den Fall. Offensichtlich schwitzen die Zapfen über uns...


Peter übernimmt dann die dritte SL
Als ich im Nachstieg am Stand angekommen bin und einen Blick in die wasserüberströmten, riesigen Blumenkohle über mir werfe, beschliessen wir beide, es für dieses Mal sein zu lassen.


Dreimal abseilen, dann sind wir zurück am Einstieg. Was jetzt? Bier oder doch nochmals Eis? Gut, geben wir noch einen Go in der "Namenlosen", ein "Genussklassiker". Kann ja nichts schief gehen. Die erste SL, laut Topo die schwierigste Länge, ist total zerhackt, aber immerhin trocken. Zur Sache geht es dann in der dritten Seillänge. Laut Topo 80°, gefühlte 90°, mit lustigen, überhängenden Blumenkohlen, dann ein paar Meter Grümschelieis, halt alles was so Laune macht. 
Jedenfalls gabs dann doch noch einen erfüllten Klettertag. Hier noch die gefühlte Schlüssel-Seillänge beim Abseilen:




Der Plan für die morgige Tour war insofern klar, das wir nicht noch einmal einen Abschiffer in einer Öschiwald-Route machen wollten. Von der in einer Schlucht gelegenen Black Nova erhoffen wir uns kältere Temperaturen, denn die steilen Felswände sollten eigentlich den Wind abhalten.
Um viertel nach 7 laufen wir in Eggerschwand los. Bange analysieren wir die Fussspuren auf dem Weg vor uns, stellen erleichtert fest, dass die einzigen wirklich frischen Spuren sowohl auf- als auch abwärts gehen, das also keine anderen Pickler vor uns sind. Nach einer halben Stunde sieht man zum ersten Mal so richtig schön in die Wand. 

Schon ein wildes Teil. Was für ein Kontrast zur netten Wand im Öschiwald! Dort sieht man quasi direkt in die Kaffeetasse in der Beiz, hier hat man kaum Handyempfang. Nach einer Stunde erreichen wir den Einstieg. 
Erste Erleichterung: Wir sind tatsächlich alleine! Zweite Erleichterung: Tatsächlich kaum Wind in der Schlucht, und angenehme gefühlte 0°. Aber irgendwie schlägt das düstere Ambiente auf die Psyche. Kurzer Panikschub, als so ein idiotischer Militärjet seine Runden über dem Tal dreht, in der Schlucht dröhnt es, als ob die Kaskade über uns kollabiert sei. Ich bin froh, dass Peter die Ouvertüre macht - eine anhaltend steile, unstrukturierte Wand mit etwa 80°.
Mann, schraubt der heute grosse Abstände, denke ich im Nachstieg. Kann ja heiter werden. Die zweite SL ist Nasenwasser im Vergleich, ein toller Goulotte in bester Chamonix-Tradition, kaum ein Meter breit, etwa 60° steil. Einfach dass hier im ausgewaschenen, plattigen Fels gar nichts gehen würde, wenn es kein Eis hätte.
Dann endlich sieht man die riesige Kaskade, versteckt hinter gigantischen Felswänden. Wirklich, wirklich scary... fast ehrwürdig schreiten wir wie zwei Opferlämmer zum Altar.
Als nächste Prüfung wartet eine hauchdünne Eisglasur auf Peter. Im Bild im Führer sah es eher nach einem fett gewachsenen Flachstück aus. Wie dem auch sei, stürzen sollte man hier sowieso nicht, da spielt es auch keine Rolle dass man auf den ersten zehn Meter höchstens eine 2cm-Schraube reindrehen könnte. Weiter oben kann man immerhin die 10er-Schraube etwa zwei Drittel reindrehen. Ansonsten ist es aber super Kletterei in perfektem Softeis.
Laut Topo geht es bis unter den Felsüberhang (im Bild oben über der linkesten Säule). Peter krepiert allerdings schier ob des Seilzuges, und macht drum schon an der Säulenbasis Stand. Ich führe dann die etwa 15 Meter bis an den eigentlichen Stand (3 Bh). 
Tja, und jetzt ist es eben an mir, die eigentliche Säule zu meistern. Immerhin habe ich nach dem Kaltstart mittlerweise meinen Rhythmus wieder gefunden. Vorsichtig traversiere ich nach rechts, um mir mal einen Überblick zu verschaffen - und meine Nackenhaare sträuben sich. Scheinbar unendlich hoch türmen sich riesige Blumenkohle über mir auf. Nix von Kompakteis, wo man einfach nach dem Links-Rechts-Beine hoch-Schema arbeiten kann. Vorsichtig den Kobra in ein Blumenkohl geschlagen (wobei man dann leicht überhängend steht), eindrehen, Körperspannung, hoch stehen, und schon ist das Teil gemeistert. Passt doch super! Das mulmige Gefühl schlägt in Euphorie um. Ein zweiter Balkon, dann ein dritter, anhaltend 90°! Immer wieder bouldrige Züge, dazwischen enspanntes Ausruhen und Schrauben auf den teilweise bis zu 50cm ausladenden Balkonen. Und die Pickel greifen genial im weichen Eis. Allerdings sehe ich nirgendwo den Stand, der nach 25 Metern kommen sollte. Na wie dem auch sei, als sich der Fall nach etwa 40 Meter etwas zurücklehnt und das Eis kompakter und glatter wird, mache ich einen Schraubenstand und sichere Peter nach. 
Auf den nächsten 25 Meter folgt nochmals etwas weniger geschmeidiges Grümschelieis, mit dem sich Peter herumschlagen muss. Ich kann am Stand relaxen. 
Oben dann folgen nochmals ein paar Meter Schnee und eine kurze Steilstufe von 75°, die aber im Topo nicht mehr vermerkt sind. Als ich mir den Pickel etwas unglücklich im Gesicht platziere, ist Zeit zum Umkehren. Der Hüttenkafi in der Balmhornhütte kann man sich auch ein anderes Mal genehmigen (laut Insiderinformationen läuft übrigens das Hüttenklo direkt in besagte Schlucht...).
Das Abseilen (oben Sanduhrschlingen, unten Bohrhakenstände) verläuft reibungslos, bis auf ein eingefrorenes Seil beim Abziehen. Was zeigt, dass die Temperatur in der Schlucht auch am Nachmittag kaum über Null Grad gestiegen ist. Super!
Dann noch ein Märschli zurück nach Eggerschwand, ideal, um auszuspannen und den Adrenalinspiegel wieder auf einen gesellschaftstauglichen Wert zu senken.




Facts:
"Black Nova", Wi5+ (im neuen Führer Wi5), etwa 35 Meter 90°, danach nochmals 50 Meter 80-90°. 
Material: Übliches Eiskletterzeugs. 
Zeit: Wir haben etwa viereinhalb Stunden reine Kletterzeit gebraucht. Zusammen mit dem Zustieg, Abstieg und relaxtem Heimfahren im Zug schon ein ausgefüllter Tag.