Montag, 31. März 2014

NW-Gully an den Pointes Frebouzes

Pointes Frébouzes? Noch nie gehört? Ich auch nicht - bis vor zwei Wochen ein Bild vom bekannten Bergphotograph Jonathan Griffith auf Facebook die Runde machte. Er hat diese stille Ecke, hoch über dem Glacier Leschaux in unmittelbarer Nähe der Grandes Jorasses gelegen, besucht, und vermochte von guten Bedingungen zu berichten. Und da es leider einmal mehr ein schlechter Gully-Jahrgang ist und sich dementsprechend alles was zwei Beine hat auf die wenigen guten Gullies mit Eis bewirft, ist der Plan schnell gemacht. Dazu kommt noch, dass ich vor zwei Jahren praktisch an derselben Wand bereits im Sommer die schöne Klettertour Anouk geklettert habe und es reizvoll ist, diesen Ort auch mal in der kalten Jahreszeit zu besuchen. 
Und so kommt es, dass ich am Freitagabend einmal mehr mit Sophie den langen Weg ins gelobte Land auf mich nehme. Der Plan sieht vor, am Samstag in die Leschaux-Hütte zu gehen, und dann am Sonntag den Gully zu klettern. Weil aber zwei Gullies besser als ein Gully sind, nehmen wir am Samstag noch den Lafaille am Tacul 'mit'. Dieser ist eine der wenigen leichteren Touren am Tacul die ich noch nicht kenne. Wobei 'leicht' natürlich relativ ist, mit Wi4 und einer (unerwarteten) M5 wird doch auch einiges geboten. 
Mit der zweiten Bahn (ich frage mich ernsthaft ob man für die erste Bahn eigentlich auf dem Parkplatz biwakieren müsste) hoch zur Midi, dann Abfahrt bis unter die Ostwand des Taculs, anfellen, und hoch. 
Mit Erstaunen stellen wir fest dass wir die ersten sind in der Lafaille. Umso besser! Auch sonst ist erstaunlich wenig los in diesem Sektor - ganz im Gegensatz zur Gabarrou/Modica, wo sich über ein Dutzend Leute tummeln. 
Der Bergschrund ist zwar steil, aber in gutem, griffigen Schnee und grossen Tritten. So gelangen wir ohne nennenswerte Probleme an den Einstieg. Und ohne Probleme geht es auch weiter. Eine erste Seillänge Wi4 bietet ausgehacktes Gully-Eis vom Feinsten, und auch die beiden nächsten Seillängen (2x etwa Wi3, Erstere 65m lang) sind gutmütig.
Toller Tief- respektive Ausblick über das obere Vallée Blanche.
Nach drei Seillängen taucht etwas unerwartet ein Felsriegel vor uns auf. Davon stand aber nichts im Führer! Sophie schickt sich an den weiteren Verlauf zu erkunden:
Sieht allerdings eindrücklicher aus als es ist, nämlich eine schmale, aber gut begehbare Eisspur. Tolles Ambiente! Allerdings steilt sich der Felsriegel dann auf. Eine gut sichtbare, rote Schlinge deutet an, wie es weitergehen könnte: Entlang von einem Riss-System hoch in das Schneefeld. Die Risse sind teilweise eisgefüllt, teilweise aber auch trocken. Insofern ist die Kletterei - geschätzt etwa M5 - spannend und für mich wirklich anspruchsvoll, zumal mit Keilen und Friends selber abgesichert werden muss. Nach dieser Crux ist die Sache aber noch nicht gegessen, es folgen weitere 30 Meter wacklige Kletterei in schneebedecktem Fels. Hier wäre es wohl deutlich einfacher, wenn der Schnee besser wäre. 
Das Abseilen geht dann problemlos, wobei man allerdings darauf achten sollte, kein Stand auszulassen - die Stände sind nämlich immer etwa 35-40 Meter auseinander!

Facts:
Mont Blanc du Tacul, "Lafaille"
Schwierigkeit II, Wi4, M5 (5SL)

Hübsches Gully, welches bis auf die letzte Seillänge gutmütige Kletterei bietet. Für die letzte Seillänge lohnt sich die Mitnahme eines Sets Keile und Friends. 

Nach getaner Arbeit fahren wir mit den Skis bis auf den Glacier de Leschaux ab, um dann in einer halben Stunde bis unter die Hütte zu laufen. Diese ist mit sechs Leuten schon gut gefüllt, dazu kommen noch drei Tourengänger nach uns. Die meisten sind Skitüreler, blöderweise hat es aber doch noch eine andere Seilschaft, die just das gleiche Ziel haben wie wir. 

Am nächsten Morgen früh laufen wir um fünf Uhr los. Zugegebenermassen etwas spät, wie es sich herausstellte. Die beiden Polen waren schon um drei Uhr aufgestanden, aber am Morgen derart getrödelt, dass wir sie bereits nach wenigen Minuten wieder eingeholt haben. Vom Skidepot bei der Leschaux-Hütte brauchen wir etwa zwei Stunden bis an den Bergschrund. Dort anseilen, über den harmlosen Schrund, und hochstapfen an den Einstieg. Die beiden Polen haben wir überholt, aber nicht wirklich abgehängt. Sprich, etwas pressieren lohnt sich, denn in diesem Gully möchten wir nicht die Hinteren sein.

Die erste Seillänge beginnt mit einer dünnen Eisspur, wird aber bald breiter. Tolles Ambiente in der schluchtähnlichen Verschneidung.
Die Schwierigkeiten sind wirklich überschaubar, so im Bereich 70°-75°. Allerdings ist das Eis eher spröde und natürlich im Gegensatz zu den Tacul-Gullies überhaupt nicht verhackt. Mit anderen Worten, es muss gepickelt werden!
Nach drei Seillängen folgt die erste Schlüsselstelle, eine dünn gewachsene Steilstufe. Mit einer kurzen Schraube (10cm) lässt sich diese Stelle dennoch vernünftig absichern, und bald flacht sich das Gelände wieder ab. Hier Sophie im Vorstieg in L5, oben sichtbar die Schlüsselstelle der Tour.
Diese besteht aus einer kaminartigen Verschneidung, wo man mit dem Rucksack nur grad so knapp reinpasst. Das Eis ist dünn, lässt sich aber wieder einigermassen vernünftig absichern, sofern man nicht den Anspruch hat, jeden Meter eine Schraube reinzudrehen. Hier ein Multistitch der Schlüsselstelle, ich musste etwas mit den Helligkeiten tricksen um die Belichtung sauber hinzukriegen.
Es folgt nochmals eine abwechslungsreiche Eislänge, bevor wir das Schneefeld im oberen Drittel erreichen. Dieses verengt sich bald wieder zu einem Schnee-/Eisschlauch, den wir auf zwei Seillängen parallel klettern. Bald aber wird es wieder steiler. Wir erreichen die 'moralische' Crux der Tour, der Mixed-Teil vor der Breche. 
Zwar ist das Gelände nicht übermässig steil, aber die plattigen, brüchigen Felsen sind oft einfach mit Pulverschnee bedeckt. Wacklig und kaum abzusichern! So brauchen wir für diese drei Seillängen doch nochmals fast anderthalb Stunden, bis wir endlich um 15 Uhr an der Sonne in der Breche stehen! Hier Sophie auf den letzten Metern:
Das Abseilen geht soweit problemlos, aber wir brauchen für die etwa 13 Längen doch nochmals fast zwei Stunden. Dann über recht gute Pulverhänge runtercruisen, das ist halt der Vorteil an den Wintertouren!
Hier der Rückblick auf die Tour, welche etwas rechts der Bildmitte in den Einschnitt links der markanten Spitze führt.
Zu erwähnen ist noch, dass die Skiabfahrt nach Chamonix zur Zeit nicht mehr wirklich lohnend ist, es hat nicht mehr viel Schnee, mehrere Male drohen Steine und die Skis müssen doch insgesamt etwa 15 Minuten getragen werden. Summa summarum, ein langer Tag!

Facts:
Petites Jorasses, NW-Gully an den Pointes Frébouzes
Schwierigkeit: III, Wi4+, M3+, 500m (13 SL)

Die einzelnen Schwierigkeiten sind in etwa:
Wi3-, Wi3, Wi3, Wi4, Wi2, Wi4+, Wi4-, 50°, 60°, 60°, M2, M3+, M3+

Langer, aber nicht allzu schwerer Gully durch eine imposante Wand. Zusammen mit dem langen Zustieg aber ein tagesfüllendes, nicht zu unterschätzendes Unternehmen! Aufgrund des spröden Eises und der Tatsache, dass es kaum Hooks hat, ist es nicht empfehlenswert einzusteigen, wenn schon andere Seilschaften drin sind.