Dienstag, 27. März 2012

Fil a plomb

Es ist eine vertrackte Eis-Saison in Chamonix. Viele Routen haben zuwenig Eis, und die wenigen guten Sachen sind hoffnungslos überlaufen. Und dass es mit einigen Risiken verbunden ist, eine 'unbekannte' Route anzuteasen, mussten wir an der Droites schmerzhaft erleben. Und so haben Sophie und ich uns diesmal auf die defensive Strategie geeinigt, eine der grossen, bekanntermassen guten Klassiker anzugreifen und uns halt mit den Dutzenden von anderen Seilschaften zu arrangieren. Die Wahl fällt auf die "Fil a plomb" am Rognon du Plan, einer Serie von Eisfällen in der Nordwand der Aiguille du Midi. Als Vorbereitung wollen wir am Sonntag eine kürzere Mixed-Route am Tacul klettern und dann das Vallée Blanche abfahren. Am Samstagnachmittag gemütliche Fahrt nach Chamonix, dort Hotelsuche (was noch ziemlich tricky ist), und am Sonntagmorgen mit der ersten Bahn auf die Midi. Schon bald stehen wir am Einstieg der "M6 Solar" an  der Pointe Lachenal , welche mit fünf Seillängen bis M5+ viel Spass verspricht.
Sophie steigt mal bis an den Fels.
Schon die erste Seillänge geht allerdings ordentlich zur Sache: Verdammt steil, ungünstig geschichtete Schuppen müssen gepackt werden. Ich entledige mich der Handschuhe, so kann ich gut mit der einen Hand im Fels blockieren und mit der anderen mit den Eisgerät hantieren. Ungewöhnlich und ziemlich schwer. Die Schlüsselstelle der ersten Seillänge ist eine kurze Verschneidung, mit einem Normalhaken gesichert, wo man zuoberst ins Eis hacken kann und sich dann auf wackligen Tritten hochziehen muss. Sieht von oben natürlich nicht annähernd so spektakulär aus wie es sich angefühlt hat.
Die zweite Seillänge ist dann etwas gemütlicher, über eine vereiste Rinne geht es über kurze Aufschwünge hoch. Spassige Kletterei.
Leider ist dann Schluss für uns: Eine glatte, steile Verschneidung mit nicht mehr als einem Hauch von Eis, ohne Absicherungsmöglichkeiten, ist mir definitiv zu haarig. Schade, denn hätte die Verschneidung nur ein bisschen mehr Eis, wäre es wohl grad gut möglich gewesen für mich.  So müssen wir zum Rückzug blasen und gelangen in zweimal Abseilen an den Einstieg zurück. Von einem Misserfolg zu sprechen wäre aber falsch, immerhin gelangen uns zwei anspruchsvolle Mixed-Längen der ungewöhnlichen Art. Und als Zückerchen die Abfahrt durchs Vallée Blanche, auch nicht schlecht.
Zur Zeit kann man immer noch nach Chamonix abfahren, wobei allerdings eine Portage von etwa zwanzig Minuten plus mehrere kürzere Laufstrecken investiert werden müssen.

Eigentlich hat der Plan jetzt vorgesehen, mit der letzten Bahn zur Plan d'Aiguille hochzufahren und dort im Winterraum des Refuge Plan d'Aiguille zu übernachten. Als wir kurz nach 16 Uhr bei der Midi Bahn aufkreuzen, sind allerdings die Kassen schon zu. Da nützt es dann auch nichts, dass die Bahn noch fährt! Kein Billet, keine Fahrt! Riesenärger! Alles Bittibätti nützt nichts. Immerhin kommen wir so zu einer zweiten Hotelnacht. Allerdings schlägt mir die Nervosität etwas auf den Magen - reichen die acht Stunden zwischen erster und letzter Bahn für die Tour, welche ja nicht gerade einfach ist? Wir müssen es einfach versuchen! 

Achtung, fertig, los! Am zwanzig nach Acht stürmen wir zusammen mit sieben anderen aus der Bahn und rennen los. Die Spur ist gut, wir kommen gut vorwärts. 
Um viertel vor zehn sind wir bereits am Bergschrund, der sich ohne Probleme überschreiten lässt. Vor dem ersten Steilaufschwung ist dann erst mal Pause angesagt, denn wir müssen warten bis die vorangehenden Seilschaften durch sind.
Man steigt durch einen hübschen Schneegully hoch, kann gut Stand an einer Schuppe machen. Die zweite Länge ist dann Mixed, mit etwa M4- nicht ganz trivial, aber natürlich Pippifatz im Vergleich zu gestern. Zudem lässt sich die Kratzerei gut absichern. Danach eröffnet sich der Blick auf die Schlüssel-Seillänge.
Sieht schon noch steil aus... über Schnee und leichtes Eis gelangen wir an den Einstieg.
Ich steige direkt in der Mitte ein, zuunterst sind es etwa drei senkrechte Meter, oben dann recht anhaltend etwa 80°. Allerdings - ich habe glaub noch nie eine so krass ausgehackte Seillänge geklettert. Durch die wohl hunderten von Begehungen in den letzten Wochen sind riesige Tritte ausgehackt, über welche man wie eine Leiter hochsteigt. Man muss allerdings auch sagen, dass es ohne diese Tritte eine recht schwere Wi4+ wäre, eher schwerer als die Schlüssel-Seillänge am Supercouloir.
Als Abschluss dieser Seillänge wartet noch zwei Schritte im Mixed, wo etwas heikel gehookt werden muss. Etwas ausser Atem erreiche ich den Stand. 
Jetzt geht es gemütlicher weiter, zwei weitere, sehr schöne Eislängen erwarten uns. Blöderweise sind wir immer ziemlich gleich schnell wie die vorangehende Dreierseilschaft, und die Musse fehlt uns zu warten... 
Da die zweitletzte Länge etwas zuwenig Eis hat, muss man rechts durchklettern, was nochmals hübsche Mixedkletterei mit einigen nicht ganz trivialen Moves bietet. Und mittlerweile hat man natürlich auch Tiefblick! Einmal mehr Chamonix vom Feinsten!
Eine letzte kurze Traverse im Schnee und Fels führt uns ins grosse Firncouloir. Es folgt nochmals eine kurze, leichte Eisstelle, dann toppen wir auf den Grat aus. Das ist immer der schönste Moment an den Eistouren, wenn man die warme Sonne im Gesicht spürt und die Schwierigkeiten hinter sich weiss.
Es ist mittlerweile 14:15, wir haben noch zweidreiviertel Stunden bis zur letzten Bahn. Auch diesbezüglich also Entwarnung. Wobei, ganz oben sind wir noch nicht. Es folgt der Midi Plan-Grat, eine tolle Bergfahrt, welche Sophie und ich vor drei Jahren im Gewitter beendet haben - eine der unschönsten Bergerfahrungen! Diesmal natürlich keine Spur von Gewitter, und eine super ausgetrampelte Spur. 
In etwa zwanzig Minuten (damals, vor drei Jahren brauchten wir fast eine Stunde, weil das Gelände so heikel vereist war) erreichen wir den Col du Plan. Von hier aus sind es noch knappe 300 Höhenmeter bis zur Midi.
Eine knappe Stunde brauchen wir bis zum berühmten Stolleneingang, wo schon mancher Alpinist erleichtert sein Seil aufgeschossen hat. Es ist 16 Uhr, also noch eine Stunde spatzig. Erst hier, zwischen Japaner und Skifahrer, fällt die Anspannung weg. Den traditionellen Salade a chevre chaude haben wir uns diesmal wirklich verdient!

Facts:
Rognon du Plan, "Le fil a plomb", SS-, Wi4+, M4.
Abwechslungsreiche Eistour mit einigen Mixedstellen. Deutlich anspruchsvoller als das ähnlich schwer bewertete Gabarrou-Couloir am Tacul. Allerdings stark frequentiert und dann entsprechend ausgehackt, was die Schwierigkeiten relativiert. Wir haben für die Tour sieben Stunden gebraucht, ohne allerdings gross zu trödeln. Besser ist es wohl, auf der Plan d'Aiguille zu biwakieren.
Material: Neben dem Eismaterial lohnen sich auch Keile und Friends mitzunehmen.