Donnerstag, 31. August 2017

Schaligrat - eine kleine Expedition

Nachdem hartnäckiges Wetterpech (nebst familiären Verpflichtungen) mich von mehrtägigen Bergtouren in diesem Jahr abgehalten haben, gibt es jetzt doch noch einen Ausflug ins Hochgebirge - gerade rechtzeitig vor dem ersten Wintereinbruch. Den Schaligrat aufs Weisshorn sollte es geben. Hier haben wir bereits den anstrengenden 1600hm-Zustieg in die Rothornhütte bewältigt und freuen uns auf die währschafte Suppe. Überhaupt war ich positiv überrascht von der Rothornhütte - eine richtige SAC-Hütte des alten Schlages, ohne Schnickschnack, dafür mit gutem Essen und freundlicher Bewartung. Einzig der Zmorgen ist für meinen Geschmack etwas zu spärlich ausgefallen.
Am Morgen um 5 Uhr wandern wir los - das Ziel des heutigen Tages ist noch nicht das Weisshorn, sondern das Schalijoch via Schalihorn. Diese Tour ist bereits eine richtige Hochtour für sich genommen. Tolle Morgenstimmung im unteren Äschijoch.
Der rote Himmel wird übrigens im Meteoschweiz-Blog erklärt.
Auf diesem Bild sieht man unsere Tour im Überblick: Leicht rechts der Mitte ist das Schalihorn mit seiner eisigen Südflanke, ganz rechts das mächtige Weisshorn mit dem Schaligrat.
Der Gletscher hoch zum Schalihorn hat zwar eine eindrückliche Passage im Steilaufschwung, lässt sich aber ohne grössere Schwierigkeiten begehen. Bald erreichen wir das Joch und über die im obersten Teil etwas unangenehm eisige Südflanke den Gipfel des Schalihorns. Insgesamt benötigten wir bis hier etwa 4.5 gemütliche Stunden, bei guter Akklimatisation wäre man wohl schneller :)
Jetzt beginnt die eigentliche Tour: Der Abstieg über den wild gezackten Nordgrat ins Schalijoch. Ehrlich gesagt bin ich positiv überrascht von der Qualität der Kletterei. Klar, der Fels hat nicht Chamonix-Qualität, ist aber an den schwierigen Stellen solide. Es hat auch immer wieder schöne und teilweise anspruchsvolle Kletterstellen. Insbesondere die 4b-Platte gleich am Beginn hat es in sich! Hier leistet ein 0.75-Cam gute Dienste.
Klettern in gutem Fels vor grosser Kulisse! Was will man mehr?
Nach knappen 4 Stunden Kraxelei erreichen wir so gegen halb zwei das Schalijoch mit der berühmten Biwakschachtel - sie gilt zurecht als die am schwierigsten zu erreichende SAC-Hütte der Alpen! 
Um fünf Uhr morgens beginnt dann die eigentliche Gipfeltour dieser Mini-Expedition. Die erste Stunde im Dunkeln, aber zum Glück haben wir ja den ersten Teil des Grates bereits am Vortag erkundet. Hier sind wir bereits in der Schlüsselstelle, eines Steilaufschwunges im vierten Grad. Etwas Riss-Klemmtechnik ist durchaus von Vorteil!
Ein weiterer prächtiger Tagesanbruch erwartet uns!
Hier der Blick von oben auf die Schlüssel-Länge. Grandiose Kletterei, grandioses Ambiente!
Es folgen jetzt viele Türme, viele werden direkt überklettert, andere meist auf der Ostseite umgangen. Der Fels ist fast überall wirklich gut, die Kletterei spannend, aber nie wirklich bösartig.
Eine der Hauptschwierigkeiten stellt die Orientierung dar. Hier etwa gilt es den richtigen Durchschlupf zu finden. 
So nach etwa zwei Dritteln der Tour erreichen wir den im Silbernagel 'grosser Aufschwung' genannte Turm. Hier klettern wir zuerst über brüchige Platten in Bildmitte hoch. Wo diese so richtig steil werden, queren wir über eine etwas heikle Platte in die grosse Verschneidung, welches im rechten Teil ersichtlich ist. In dieser klettert man hoch, bis man rechts auf einen Pfeiler rausqueren kann. Diese Variante hat zwar den Nachteil, dass man dem Steinschlag von vorauskletternden Seilschaften ausgesetzt ist, dafür ist sie sehr direkt. 
Im oberen Teil, rechts der beiden markanten 'Hörner', ist die Kletterei richtig steil-geil und der Fels fast perfekt. Super!
Der Grat flacht jetzt wieder ab und das Gipfelkreuz bereits zum Greifen nahe. Es warten aber noch zwei Türme auf uns. Der eine lässt sich links umgehen (s. Bild), der andere (im Bild oben erkennbar) in toller Kletterei rechts aufsteigend umgehen.
Um 11:30, nach guten sechs Stunden inklusive Pausen, erreichen wir den Gipfel des Weisshorns. Jetzt folgt noch der Abstieg - puh!
Der Firnteil ist meines Erachtens nach nicht wirklich in guten Verhältnissen - kein Wunder, am Ende eines langen Hitzesommers! Mehrere Stellen in zum Glück weichen Blankeis erfordern konzentriertes Absteigen und tolerieren keine Fehler.
Nach dem gefühlt endlos langen Felsgrates folgt die Rippe hinunter. Nach der Rippe folgt eine Abseilstelle (20m), danach mühsames Absteigen über einen plattig-blockigen Grat. Ich hatte diese Passage überhaupt nicht mehr in Erinnerung von meiner letzten Begehung im 2009 - kein Wunder, denn damals konnte man hier alles im Firn abrutschen und so wohl fast eine Stunde einsparen!
Nach langen viereinhalb Stunden endlich auf der Hütte, und nochmals ein zäher Abstieg nach Randa. Ja, das Weisshorn will verdient sein!

Facts:
Weisshorn, Schaligrat, S, 4b

Ein richtiger 'Grand-Course' in der Schweiz! Bei dieser Tour sind es weniger die technischen Schwierigkeiten, welche die Akzente setzen, sondern die enorme Abgeschiedenheit des Ausgangspunktes! Man muss sich bewusst sein, dass ein Rückzug vom Schalijoch bei schlechtem Wetter (oder auch nur unerwartet starkem Wind) praktisch unmöglich ist. Der Schaligletscher, von mir immer auch als möglicher Aufstieg in Betracht gezogen, ist wirklich stark verschrundet, und zudem wird er tagsüber regelmässig von Steinschlag aus der Schalihorn N-Flanke bombardiert. 

Material: Ein Set Cams 0.3 bis 2, zudem ein reduziertes Set Keile und genug Zackenschlingen. Ein 40m-Einfachseil reicht gut aus für die Abseilstellen. Im Biwak hat es mehrere Kocher, die kompatibel zu CampingGas- oder Primus-Kartuschen sind.

Sonntag, 12. Februar 2017

Ein Fall für Zwei im Zanai

Das Zanai ist eines meiner absoluten Lieblingsgebiete zum Eisklettern. Eine abgelegene Lage und lange, mühsame Zustiege sind Garanten für Einsamkeit. Zudem ist die Landschaft herrlich alpin, und nicht zuletzt bietet eine breite Palette an Eisfällen in allen Schwierigkeitsgraden reichlich Action.
Nachdem ich bei meinen letzten beiden Besuchen jeweils die 'Azzurro' geklettert bin, soll es heute ein Fall im oberen Sektor geben. Hier verspricht 'ein Fall für Zwei' ein lohnendes Ziel. Bereits im Zustieg respektive 'Zufahrt' zeigt sich der Fall in seiner ganzen Pracht:
Wir entschliessen uns, anders als im Führer angegeben nicht den linken Einstieg zu wählen, sondern im grossen Fels-Amphitheater rechts einzusteigen. Dies verlängert die Kletterei nochmals um eine Seillänge, und verspricht so eine direkte, lohnende Linie.

Der Zustieg ist natürlich dem rauhen Gelände entsprechend ein 'Gvogel': Im engen Bachgraben geht es teils mit Skis, teils zu Fuss hoch, dabei wird ein kleiner Eisfall linkerhand umgangen. Nach etwas über einer Stunde vom Talgrund Gerensässli aus stehen wir am Einstieg. Unsere Linie (ob es eine Erstbegehung ist oder nicht ist eigentlich völlig egal, kann man hier eh nicht feststellen) zieht sich über die dünne Kerze und das kompakte Eisschild bis zu den markanten Eisbalkonen rechts, dann über die soliden Säulen direkt zum höchsten Punkt der Wand.
Die erste Seillänge, in diesem Jahr wohl eher schlechter als normal gewachsen, ist eine dünne, fragile Kerze, etwa 12 Meter lang und um die 85°, die sich aber +- gut absichern lässt. Oben dann folgen noch 25 leichtere Meter.
Für mich, der in diesem Jahr noch nicht sehr viele Eismeter gesammelt hat, ein ziemlicher Kaltstart! Sophie steigt die zweite Länge vor, insgesamt rund 40m, auf 10m um die 80°. Hoch über ihr der imposante Direktausstieg, über den wir den Fall klettern. Rechts oben ebenfalls sichtbar die Zapfenreihe des Tatorts, der dieses Jahr schlecht gewachsen ist. Übrigens sollte man auf keinen Fall rechts einsteigen, denn im Laufe des Tages sind mehrere Zapfen vom Tatort abgebrochen und auf den rechten Einstieg geprallt!
Es folgt nochmals eine Seillänge im kompakten Eisschild, insgesamt 35m, auf 20m um die 80° steil, teilweise etwas mühsames, schneedurchsetztes Eis. Wir machen Stand in der grossen, gut sichtbaren Höhle, wo es auch ein alter Schlaghaken-Stand des Tatorts befindet. 
Die beiden letzten Seillängen über die grossen Säulen und Balkone bieten dann das ganz grosse Eiskletter-Kino. Es beginnt mit der fett gewachsenen Säule, die sich dank kompaktem Eis, fetten, natürlichen Hooks und riesigen Tritten aber wie eine Leiter klettern lässt (20m, um die 85° auf 15m).
Wir befinden uns jetzt in der oberen Höhle, rund 20m unter dem Ausstieg. Von hier bietet sich ein guter Blick in die Felstraverse des 'Tatorts', die sieht schon ultra-gruselig aus - es ist nicht etwa ein bequemes Band, sondern eine leicht überhängende Traverse in Fels, der diesen Namen kaum verdient. Riesen-Respekt vor den Erstbegehern Stefan Indra und Christoph Klein!

Von hier bieten sich für uns drei Wege an: Entweder links aussteigen, was wohl am leichtesten wäre, über die senkrechte bis leicht überhängende Säule rechts (als Familienvater keine Option für mich), oder gerade hoch: das ist der Weg für uns! Ich quere zuerst drei Meter nach links, um dann eine rechts ansteigende, zwar nicht sonderlich schwierige aber enorm luftige Traverse zu machen. Ganz zuoberst versperrt ein riesiger Zapfen den Weg zum Ausstieg, aber mit etwas Häkelen kann ich das Loch soweit erweitern, so dass ich mich durchzwängen kann. Die letzten zwei Meter sind senkrecht, mit gigantisch viel Luft unter dem Arsch. 
Am Ausstieg hat es eine Tanne, die sich als Abseilstand anbietet. Von hier kommt man in zwei gestreckten Abseillängen 60m gerade just bis an den Einstieg. Eine gelungene Tour, für mich definitiv das Eiskletter-Highlight des Winters!


Facts:
Zanai, "Ein Fall für Zwei (Direktvariante)", mehrere Meter 90°, 120m

Sehr lohnender Eisfall mit spektakulärem Ausstieg über Säulen und Balkone. Grossartiges Ambiente im riesigen Fels-Amphitheater. Zählt wohl zurecht zu den Top 50 (s. Hot Ice).