Sonntag, 1. Januar 2012

Drei Tage im Avers

Mittlerweile ist es zu einer schönen Tradition geworden, unser Ausflug ins Avers zwischen Weihnachten und Neujahr. Dabei kommt es nicht nur auf die gesammelten Eismeter an, das Wellness-Programm im Andeer oder das leibliche Wohl im Hotel Alpenrösli in Innerferrera sind ebenso wichtig. Allerdings ist die Unsicherheit bezüglich Verhältnissen in dieser Saison etwas grösser als normal. Hat es genug Eis in Campsut? Am 26. Dezember gehe ich deshalb schon mal mit Claude 'rekognoszieren'. Und ja, es hat genug Eis! Wir klettern eine nicht ganz so direkte Linie im Hauptsektor, der den gefährlichen hängenden Zapfen vermeidet: Zuerst 20 Meter Wi3 links unter der (noch nicht durchgewachsenen) Säule, dann eine interessante, steile Seillänge über die mit Eisblüten bestückte Felswand rechts der Säule (Wi4+, lässt sich gut absichern), dann zuletzt über die obere linke Säule, Wi4+.
Den gelungenen Tag lassen wir ausklingen im oberen Sektor, die meisten Linien (inklusive Kastration etc.) sind perfekt ausgebildet. 
Am 29. dann fahren ich und Corina wiederum nach Campsut, wo wir wiederum vor allem im oberen Sektor klettern. Routen wie 'Diabetiker' oder 'Kastration' sind so cool zu klettern, dass man sie auch gerne einige Male klettert pro Saison. 
Für den nächsten Tag möchten wir allerdings gerne mal was Neues probieren, am liebsten eine der längeren, unbekannten Touren im Avers. Nach einigen Diskussionen fällt die Wahl schliesslich auf die 'Cascata di Plan Davain' (und nicht 'Dagain', wie im Führer steht, denn der Weiler gleich unten schreibt sich mit 'v'). Wir wissen nicht wirklich was uns erwartet, aber immerhin können wir durch das Schneetreiben erkennen, dass es tatsächlich Eis hat. Der Zustieg dauert nur etwa 20 Minuten auf bequemem Wanderweg, dann steht man schon im Bachbett. Dieses steilt sich bald auf zu einer ersten 'Seillänge', die man entweder direkt erklettert (Wi2-) oder links in steilem Gebüsch gut umgehen könnte. Leider war es das dann auch schon, das restliche Bachbett ist zuwenig steil, um überhaupt von Kletterei im engeren Sinne zu sprechen. Nach etwa 30 Minuten Gewühle stehen wir dann unter der Hauptkaskade:
Die Stufe ist knappe 60 Meter hoch, wir machen daraus zwei logische Seillängen. Die erste führt ziemlich in der Mitte des Bildes direkt an den Aufschwung, die zweite dann über diesen. Was von unten wie ein 'No-Brainer' aussieht, entpuppt sich allerdings als ein widerspenstiges Biest. Es fängt schon mit der 'Zustiegslänge' an: Ist erst einmal der erste kurze Aufschwung überwunden, steht man in einem etwa 65° steilen Schneehang. Freudig schlägt man den Pickel in den Schnee, der dann aber einem Gummiball ähnlich zurückschlägt! Unter der Schneedecke verbirgt sich nicht etwa solides Eis, sondern eine etwa 1cm dünne Eiskruste und darunter plattiger Fels! So wird es ein mühsames Hocheiern mit wackligen Schrauben an dünnen Eiszapfen. Besonders ätzend ist, dass man unter dem Schnee natürlich nie sieht wo es Eis hat und wo nicht, die beste Strategie war, den Pickel durch den Schnee zu ziehen, bis er sich irgendwo verfängt. Erleichtert erreiche ich den Hauptaufschwung, wo ich endlich zwei lange Schrauben versenken kann. Corina folgt nach, ebenfalls nicht wirklich glücklich über die wacklige, garstige Kletterei. 
Die zweite Seillänge dann verspricht mehr Eis, allerdings von was für einer Qualität! Wahlweise kann man sich entweder mit einem Geschirrladen herumschlagen, oder dann aber auf einer gefühlten Riesentrommel herumhacken. Dazu kommen die Schneemassen, welche jeweils vor dem Ansetzen weggeschaufelt werden, und als veritable Minilawinen Corina beim Sichern eindecken. So richtig blöde Kletterei, welche einem das Eisklettern verleiden könnten! Hier der Tiefblick beim Abseilen:
Völlig abgekämpft und irgendwie moralisch angekratzt (fühlt sich so eine Wi3+ an?) erreiche ich den Stand an einem Baum über der Stufe. Corina ist völlig durchfroren und schenkt sich den Nachstieg, so seile ich schnellstmöglich ab. Und so finden wir uns eine knappe Stunde später bereits im Thermalbad Andeer wieder. 
Etwas versöhnlicher war dann das dritte Mal Campsut am Folgetag. Zwar ebenfalls bei schlechtem Wetter, dafür angenehm weichem Eis. Eine reibungslose Begehung des rechten Pfeilers Wi4+ zeigt mir, dass es beim Eisklettern doch auch auf die Tagesform und natürlich die Verhältnisse ankommt. Jetzt kann die grosse Kälte (hoffentlich...) kommen!


Facts:
Cascata di Plan Davaint, Wi3+, 10m + 60m. 
Alles in allem nicht wirklich lohnende Kletterei.
Unterkunft im Hotel Alpenrösli in Innerferrera wirklich empfehlenswert, vor allem wenn man so richtig gutes Essen in gigantischen Portionen schätzt (DZ 140.-).