Sonntag, 27. März 2011

Eis im Argentiere-Becken

Seit meinem letzten Besuch vor mittlerweile drei Jahren stand das Argentiere-Becken ganz hoch auf meiner Wunschliste. Am Donnerstag war es dann soweit, Sophie und ich fahren schwer bepackt nach Argentiere und weiter mit der Seilbahn zur Grands Montets. Nach einem erstaunlich billigen Kafi fahren wir mit den Skis über den pistenähnlichen Gletscherhang auf den flachen Argentiere-Gletscher. Dann folgt ein kurzer Aufstieg zur Hütte, wo wir militärisch eingewiesen werden. Am Nachmittag wollten wir eigentlich die im Führer erwähnte 'Josephine Cascade' klettern, uns ist allerdings bis heute rätselhaft, wo es in "15 Gehminuten von der Hütte" Eis haben sollte. Egal, dafür nehmen wir uns Zeit, unsere für morgen geplante Route, die Schweizerführe an der Courtes, etwas näher zu inspizieren.
Sieht schon eindrücklich aus. Allerdings täuscht die Steilheit ein bisschen, weil man halt direkt von vorne in die Wand sieht. Auf der tollen Hüttenterrasse trinken wir uns etwas Mut an.


Am nächsten Morgen brechen wir um halb fünf auf. Kurze Abfahrt und dann Traverse an den Fuss der Courtes. Hier deponieren wir die Skis und steigen zu Fuss die etwa 200hm an den Bergschrund hoch, wo wir pünktlich zum Tagesanbruch ankommen. Das erste ernsthafte Hindernis ist der Bergschrund. Eine dünne Brücke führt zu einer etwa drei Meter hohen, senkrechten Wand aus zum Glück hartem Schnee. 
Ich verankere beide Cobras im harten Schnee und möchte gleich loslegen, als es passiert: Mit einem dumpfen Geräusch verabschiedet sich die Brücke und ich hänge an den Armen über dem Schrund! Mir gelingt es, die Füsse im Schnee zu platzieren und die Optionen durchzugehen: Entweder zurückspringen mit dem Risiko, die Pickel zu verlieren, oder halt Augen zu und durch. Ich entscheide mich für zweitere Option und vertraue auf Sophie, dass sie mit den Prusiks die jetzt durch einen etwa 1.5 Meter breiten Spalt abgetrennte Wand hochjümaren kann. Dank dem harten Schnee gelange ich recht einfach in den Schneehang und kann nach etwa 50 Meter einen guten Stand an einem Zacken einrichten. Bald ist Sophie bei mir, jetzt kann es losgehen. Die Psyche jedenfalls ist auf Arbeitstemperatur.
Eine zweite SL führt an den Beginn des steilen Teils. 
Sophie macht Stand an zwei Schrauben. Jetzt gehts richtig los. Eine lange SL führt über mehrere, etwa 65° steile Abschnitte in bestem Styroporschnee. Herrlich, bei diesen Verhältnissen hier klettern zu können. Einziges Manko: Meist hat es zuwenig Eis, um auch die kurzen Schrauben ganz reindrehen zu können. Nach etwa 50 Meter mache ich Stand an einer bereits vorhanden Reepschnur um einen Block.
Eine weitere lange (etwa 70 Meter), etwa 55° steile Länge führt an die erste Steilrinne, die Schlüsselstelle der Tour. Diese präsentiert sich ausgehackt und mit wunderbar griffigem Eis. Die Steilheit ist etwa 75°, aber dank den vielen Tritten klettert es sich mühelos. Hier hat es auch genug Eis für ab und zu mal eine Schraube. Einzig der Spindrift von der vorangehenden Seilschaft nervt im Vorstieg.
Nach 60 Meter mache ich Stand an zwei Schrauben. Von hier sind es noch wenige Meter auf das grosse Schneefeld, das den unteren vom oberen Steilaufschwung trennt. Sophie stapft das Schneefeld hoch und macht Stand an einem guten Zacken. 
Hier sieht man den zweiten Steilaufschwung mit der vorankletternden polnischen Seilschaft.
Die nächste Seillänge ist mit etwa 65° immer noch ordentlich steil, und dank dem anhaltend guten Styroporschnee auch exzellent zu klettern. Nur bleibt das Eis auch weiterhin meist zu dünn zum Sichern. Stand nach etwa 50 Meter an einem guten Zacken. 
Es folgt eine weitere Seillänge mit ähnlichem Charakter, ebenfalls etwa 60 Meter lang und bis zu 60° steil. Sophie macht Stand an einem Zacken.
Das Gelände wird jetzt zunehmend felsiger. Man steigt jetzt leicht linksquerend an und geht dann parallel zur Felsrippe links. Stand wiederum nach 55 Meter an Zacken. Jetzt kommt eine weitere  spektakuläre Länge: Sophie klettert im Eis etwa 25 Meter hoch bis unter die Felsbastion, und von hier über ein schmales Gesimse auf die Felsrippe links. Die Mixedkletterei ist leicht (etwa M2) und dank dem guten Eis wirklich geniessbar!
Hier die Mixedstelle von oben im Nachstieg:
Jetzt sind wir im grossen Gipfel-Schneefeld. In weiterhin gutem Schnee klettern wir parallel den gut 50° steilen Schneehang hoch bis auf den Grat. Hier sind wir nach etwa sechs Stunden Kletterzeit endlich in der Sonne!
Allerdings ist die Tour noch lange nicht fertig. Im Gegenteil. Der Grat präsentiert sich blankgefegt, und deshalb sichern wir die etwa 200 Meter bis auf den Vorgipfel. Hier kann man zum ersten Mal auf einer flachen Stelle relaxen! 
Nach etwa einer halben Stunde gehen wir über den Schneegrat auf den Hauptgipfel und von hier unverzüglich über den Ostgrat runter bis in den Sattel. Der Grat ist nicht schwierig, aber ausgesetzt. Hochtouren vom Feinsten!
Und jetzt folgt noch das dicke Ende der Tour: Der ätzende Abstieg über die etwa 700hm hohe NE-Wand! Der Schnee ist ein Tick zu hart, um mit gutem Gefühl voraus runter zu gehen, also bleibt noch das mühselige Rückwärts-Runterstapfen. Aber alles in allem sind auch hier die Verhältnisse sehr gut, denn wenn diese Flanke blank ist, wird es noch viel mühsamer. Nach etwa einer Stunde sind wir unten, und queren zurück zu den Skis. Um viertel nach fünf Uhr erreichen wir ausgelaugt die Hütte. 
Hier noch die Route im Überblick:


Facts:
Les Courtes, "Schweizerführe", SS-, Wi3, 75°, 800hm.
Zeit laut Rother 8 Stunden vom Einstieg auf den Gipfel, was sicher realistisch ist. Für den Abstieg nochmals etwa zwei Stunden einplanen. 
Unseres Erachtens nach ist es bei dieser Route extrem wichtig, dass man gute Verhältnisse abwartet. Dies, weil die Kletterei zwar einfach ist, sich aber eher schlecht absichern lässt. Ist die Route blank, wird aus dem Vergnügen schnell der blanke Hass. Dies habe ich auf mehreren älteren Blogs aus anderen Jahren gelesen.
Material: Bei den jetzigen Verhältnissen reichen etwa 8 Schrauben, davon möglichst viele kurze. Zudem genug Schlingen für Zackensicherungen. Friends und Keile nicht notwendig.




Für den Samstag haben wir noch etwas leichter Verdauliches geplant, und zwar die "Petit Viking" an der Pointe Domino. Wir starten wiederum um halb fünf, um so sicher die ersten in diesem engen Schlauch zu sein. Blöderweise sehen wir weit vor uns bereits Taschenlampen. Allerdings haben wir am Bergschrund, den wir um etwa 6:30 erreichen, die anderen doch bereits eingeholt.


Und wie bereits gestern lauern die eigentlichen Herausforderungen im Bergschrund. Der hier ist einfach riesig und lässt sich einzig bei der Felsbastion links der Route überwinden. Es sieht wie eine popelige, etwa 8 Meter hohe Stufe aus:
Aber eben, es entpuppt sich als so ziemlich das Gegenteil: Der Fels ist plattig, die Placements mickrig, die Tritte abschüssig, und der einzige vorhandene Schlaghaken in drei Meter Höhe wacklig. So wacklig jedenfalls, dass er einen Sturz wohl kaum halten würde, aber immerhin für eine Trittschlinge reicht. Der Schneewulst auf der rechten Seite, den es zu erklimmen gilt, besteht überdies aus total kohäsionslosem Schnee, in dem die Pickel keinen Halt finden. Da mir das ganze ein Tick zu psycho ist, schlage ich einen weiteren Normalhaken einen Meter weiter oben, der es mir erlaubt, eine weitere Trittschlinge zu verwenden. So gelingt es mir, mich auf den Schneewulst zu robben und mich mit den Ellbogen hochzustemmen. Ich mache Stand an einer Schlinge und sichere Sophie nach.
Der Rest der Tour ist im Vergleich hierzu wirklich 'schoggi' und schnell beschrieben: Über einen Schneehang gelangt man zum Einstieg der eigentlichen Rinne:
Der erste Teil der Rinne besteht aus zwei etwa 50m SL, durchschnittlich etwa 75°, schönes, weiches und vor allem genügend dickes Eis. Es hat mehrere eingerichtete Stände an Schlaghaken. Es folgt dann eine kurze leichtere Passage, bevor es im gleichen Stil weitergeht. Hier der Blick auf den oberen Teil der Rinne:
Im oberen Teil kommt zuerst eine kürzere SL mit etwa 70°, hier unbedingt vor dem markanten Links-Knick der Rinne den Stand linkerhand nehmen, weil dann 50 Meter lang kein Stand mehr kommt. Die letzte SL ist die Beste, nochmals etwa 75°, mit Stellen bis zu 80°, und das in perfektem Eis:
Das obere Schneefeld bis zum Grat schenken wir uns, weil uns die vergangenen Tage eh schon in den Knochen sitzen und das Bier wartet. Das Abseilen geht problemlos, und nach einer guten halben Stunde sind wir zurück am Einstieg. Jetzt die Skis anschnallen, und über den Gletscher und die Skipiste zurück nach Argentiere, wo wir auch gleich den Zug zurück nach Hause erwischen.


Facts:
Pointe Domino, "Petit Viking", Wi4, 80°. 
Die Schlüsselstelle der Tour ist zur Zeit der Bergschrund. Ich fand die Mixed-Kletterei richtig eklig schwer, wohl so im Bereich M5, mit höchst zweifelhafter Absicherung. Mit Trittschlingen liegt sie wohl so im Bereich A1. 
Material: Für den Bergschrund lohnen sich kleinere Keile (Grössen 1-3) und eventuell Schlaghaken, dazu ein Hammer, um die vorhandenen Haken zu festigen. Für die Rinne selber reichen etwa acht Eisschrauben, vor allem Kürzere.

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