Mittwoch, 15. Juli 2015

Inverser Lauteraargrat

Zum zweiten Mal im Juli steht eine Tour mit Thomas an - ich habe mir einen guten Monat für meinen unbezahlten Urlaub ausgesucht! Dieses Mal soll es ausnahmsweise mal nicht nach Chamonix gehen, sondern ins Berner Oberland. Dort lockt "eine der schönsten Grattouren der Berner Alpen" (O-Ton SAC Führer), und zwar die berühmte Schreckhorn-Lauteraarhorn Überschreitung. Und da ich noch nie auf dem Lauteraarhorn stand, bietet es sich an, diese Tour mal auf die alpine Tick-List zu setzen. 
Etwas zu reden gab der genaue Ablauf dieser Tour. Üblicherweise wird die Überschreitung nämlich vom Schreckhorn in Richtung Lauteraarhorn gemacht. Allerdings hat dies den gewichtigen Nachteil, dass man vom Lauteraarhorn entweder einen heiklen Firnabstieg in der Mittagshitze machen muss, oder alternativ weitere lange Stunden im berüchtigten 'Schraubengang' abklettern muss. Beide Optionen dünken uns wenig anmächelig. Viel praktischer scheint uns, am frühen Morgen den Gipfel des Lauteraarhorns via das Südcouloir zu besteigen, und dann zum Schreckhorn rüberzuqueren. Der Abstieg vom Schreckhorn über die SW-Rippe kennen wir beide schon von früheren Touren und kann auch nachmittags ohne grössere Risiken bequem mit Abseilen gemacht werden. 

So beginnt die Tour am Montagmorgen auf dem Grimselpass. Ein langer Hüttenanstieg mit viel Horizontaldistanz führt uns durch eine ursprüngliche, wilde Landschaft ins Aarbiwak.
Die ausgeaperten Wände und schmelzenden Firnfelder bieten leider keinen besonders schönen Anblick - Kehrseite des Hitzesommers. Im Biwak selber ist von der Hitze allerdings wenig zu spüren, es weht ein kalter Wind, die Sonne versteckt sich hinter Wolken. Das alkoholfreie Bier (richtig gelesen, hat nur alkoholfreie Getränke im Biwak zu kaufen, 'richtiges' Bier muss man selber hochtragen) geniessen wir frierend auf dem Sonnenbänkli. 
Am nächsten Morgen starten wir sehr früh, um zwei Uhr, zum Lauteraarhorn. Ziel ist, den Gipfel kurz nach Sonnenaufgang zu erreichen. Kurzer Stimmungseinbruch, als ich feststelle, dass der Akku meiner Taschenlampe leer ist. So bin ich gezwungen, immer direkt neben Thomas zu gehen, um wenigstens ein bisschen von seiner Lampe profitieren zu können. 
Der unterste Teil des Südcouloirs gestaltet sich in ätzendem, rutschigen Geröll. Nervig, vor allem ohne Licht. Die Wegfindung ist zwar nicht ganz einfach, das Gelände aber überall recht leicht. Etwas weiter oben erreichen wir ein tief eingeschnittenes Couloir mit einer schmalen Schneezunge. Hier können wir endlich die Steigeisen anziehen. Der Firn ist gut durchgefroren und wir kommen effizient voran.
Pünktlich auf den Sonnenaufgang erreichen wir den Firnsattel kurz unter dem Gipfel des Lauteraarhorns. Ein magischer Moment!
Sonnenaufgang über dem Finsteraarhorn und dem Studerhorn mit seiner schönen, selten begangen Nordwand.
Thomas attackiert den kurzen, leichten SE-Grat aufs Lauteraarhorn. Im untersten Teil noch ohne Seil, später dann wechseln wir auf Seilsicherung.
Um 6:30, gute vier Stunden nachdem wir losgelaufen sind, erreichen wir den Gipfel des Lauteraarhorns. Von hier aus bietet sich ein schöner Blick auf den sehr, sehr langen Verbindungsgrat zum Schreckhorn. Was erwartet uns wohl hier?
Es erwarten uns dutzende von Türmchen, die in anregender, aber (leider) nie schwieriger Kletterei überwunden werden. Da wir die Tour in der S-N Richtung unternehmen, klettern wir jeweils über die plattigen, sonnigen Südseiten hoch. Der Abstieg über die steilere N-Seiten geschieht teilweise abkletternd, teilweise an improvisierten Ständen abseilend. 
Hier eine der typischen Kletterstellen - plattiger, aber gutmütiger Fels, der den dritten Grad kaum übersteigt. Kein Vergleich zum Chamonix-Granit mit seinen harten Rissen!
Im Voraus hatte ich erwartet, dass es mehr kombinierte Kletterei hat. Dem ist nicht so, man klettert eigentlich praktisch immer im Fels, Firnkontakte sind auf zwei, drei Stellen beschränkt. Dies dünkt mich irgendwie schade - ich denke auch, dass die Tour wohl Anfangs Saison, mit mehr Schnee am Grat, einen völlig anderen und sicherlich interessanteren Charakter bekäme. 
Nach etlichen Stunden Kraxeln erreichen wir den Schrecksattel. Wir sind jetzt auf dem alten Normalweg aufs Schreckhorn, deutlich zu erkennen an den leicht abgegriffenen Felsen am S-Grat. Absurderweise erwartet uns hier die bei weitem interessanteste und schwierigste Kletterei der ganzen Tour. Wir halten uns (wahrscheinlich fälschlicherweise) direkt an der Gratkante und werden mit exponierter Kletterei in bestem Gneis belohnt, der tatsächlich den vierten Grad streift. 
Der Südgrat aufs Schreckhorn nimmt nochmals eine gute Stunde in Anspruch, und nach etwas über fünf Stunden erreichen wir um 12 Uhr den Gipfel des Schreckhorns. Die meisten Seilschaften, die über den Normalweg gekommen sind, sind bereits abgestiegen. 
Der Abstieg gestaltet sich jetzt wie geplant problemlos. Man lässt einander einfach gegenseitig ab (mit einem 40m-Einfachseil geht dies meistens, aber nicht ganz überall!) und erreicht so problemlos den Bergschrund. Vom Gletscher aus zeigt sich die Überschreitung nochmals in ihrer ganzen Pracht.
Nach etwa viereinhalb Stunden erreichen wir die Schreckhornhütte, eine willkommene Gelegenheit die Speicher wieder aufzufüllen. Dranbleiben und Beissen ist dann das Motto des langen Hüttenweges nach Grindelwald, wo wir um halb 9 eintreffen. Ein langer Tag geht zu Ende!

Facts:
Schreckhorn, Lauteraargrat, S+, 4

Material: Genug Zackenschlingen, vielleicht zwei bis drei mittlere Friends. 

Eine lange Grattour ohne grosse technischen Schwierigkeiten, aber mit schlechten Rückzugsmöglichkeiten. Definitiv keine Tour bei gewitterhaftem Wetter! Vielleicht ist es wirklich eine der schönsten Touren im Berner Oberland - allerdings sind alle meine bisher in Chamonix gemachten Grattouren um ein Vielfaches interessanter! Die Schwierigkeitsangabe S+ ist aus dem SAC Führer übernommen, die Tour ist deutlich einfacher als ein S+ in Chamonix!
Unternimmt man die Überschreitung vom Lauteraarhorn zum Schreckhorn (S-N), hat dies den Vorteil, dass man den Gipfel des Lauteraarhorns am frühen Morgen erreicht und danach einen relativ unkomplizierten Abstieg vom Schreckhorn hat. Es kann sein, dass die Kletterei in der entgegengesetzten Richtung (N-S) etwas schwieriger ist, was je nach Optik ein Vor- oder Nachteil sein kann. 

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