Ende Januar 2013. Bereits zum achten Mal jährt sich die traditionelle Eisklettern-Woche vom SAC Albis. Dieses Mal nach zwei Jahren in Österreich wieder einmal in Cogne, dem italienischen Eisklettern-Mekka im Aostatal. Und im Gegensatz zu den hiesigen Voralpen, wo die Verhältnisse bekanntermassen höchstens mässig sind, hat es in Cogne Eis in Hülle und Fülle! Und so machen sich sechs Albisser schwer bepackt per Auto und öV auf nach Italien.
Sonntag, 20. Januar: E tutto relativo
Wir beginnen die Woche gemächlich, und attackieren die "E tutto relativo" im Valeille-Tal. Dieser Klassiker im vierten Grad wird vielbegangen, entsprechend stellen wir uns schon a priori auf viel Volk und viel Wartezeit ein. Nach einer ersten Seillänge stehen wir auch bereits vor der Schlüssel-Seillänge, einer siffigen Säule, nicht ganz so gut eingehackt wie sonst üblich.
Die Kletterei gestaltet sich dank den vielen Tritten relativ problemlos, etwas trickier ist die Absicherung im röhrigen Grümschelieis. Nach einer problemlosen dritten Seillänge queren wir nach links, um dann noch die "L'eau cristal" anzuhängen. Obwohl diese nur bei Wi3+ eincheckt, komme ich doch mächtig ins Schwitzen: Das glasige Eis ist extrem hart und spröde, was enorm Kraft kostet. Entsprechend ernüchternd fällt das Tagesfazit aus. Ist Cogne zu hart für uns?
Facts:
E'tutto relativo + Eaux cristals, Wi4, 5 SL
Vielbegangener Klassiker, das 'Enchainement' bietet sich an und resultiert in einem schönen, tagesfüllenden Unternehmen.
Montag, 21. Januar: Lillaz Gully
Das Lillaz Gully ist die monumentale Rinne, welches den Weiler Lillaz dominiert. Obschon einige Leute die Nase rümpfen ob des langen Zustieges und der meist leichten Längen - es ist eine Tour mit viel Charakter. Und sie hält auch eine Prüfung für uns bereit!
Der berüchtigte steile Zustieg hält sich dank guter Spur in Grenzen. Die erste Seillänge, etwa Wi3, geht Thomas auch gut von Hand.
Nach einem zweiten Schneefeld verengt sich der Gully erneut, es folgt eine hübsche, leichte Länge mit einem Mixed-Ausstieg, etwa M2+. Jetzt wird das Gelände deutlich steiler und anspruchsvoller. Eine kurze Eislänge in bestem 'Sorbet', dann mittelmässiger Stand an einer mühsam zu clippenden Schlinge. Die folgende Seillänge sieht übel aus: Der übliche, dick gewachsene Zapfen scheint während der Wärmeperiode abgebrochen zu sein. An seiner Stelle hängt jetzt ein triefendes, fragiles Zäpfchen. Ich packe vorsorglich mal die 10er Schraube an den Gurt. Wohl getan! Teils im Fels, teils in einem alten Eisgebilde kletternd erreiche ich den Zapfen. Dieser ächzt unter dem Pickelschlag, so das mir Angst und Bange wird! Aber mit einem weiten Spreizer in den plattigen Fels gelingt es mir, die Anwachsstelle des Zapfens zu erreichen, wo das Eis solider scheint. Zittriges Hochstehen, dann Eindrehen der 10er Schraube. Wi4 war schon einfacher!
Nach diesem Adrenalinstoss ist die nächste Seillänge (die eigentlich die Schlüssel-Länge wäre) pipifaz, aber schön zu klettern! Schlussendlich folgt noch die lustige Ausstiegslänge über die Wurzeln, und schon bald stehen wir glücklich am Ausstieg.
Und als wir dann so entspannt im Fussabstieg sind, eröffnet sich der Blick auf eine wilde Eislinie, die "Lau Bij":
Da kann man doch kaum widerstehen. Zum Glück haben wir den Gurt noch nicht ausgezogen! Schnell sind wir eingebunden, und los gehts! Riesige Tritte, perfekte Hooks. Ohne einen einzigen Pickelschlag erreiche ich nach 40 Meter den ersten Stand. Coole, steile Kletterei!
Jetzt wird es richtig spektakulär: Es folgt eine kurze luftige Traverse, dann schlüpft man in die Eishöhle, welche zwischen den Zapfen und einem Eisbalken gebildet wird!
Teils kriechend, teils kletternd erreiche ich nach einigen Metern den oberen Ausgang der Höhle. Nochmals eine irrsinnig ausgesetzte Traverse, dann ein paar Mixed-Meter (mit Bh entschärft), und ich erreiche den Abseilstand. Die Abseilerei, 50 Meter freihängend, ist nochmals spektakulär.
Facts: Lillaz Gully, M4, 6 SL
Toller, alpiner Gully-Eisfall, der allerdings zur Zeit deutlich anspruchsvoller ist als normal (im Bereich Wi5, mit einer überhängenden Stelle, wo man auf etwa 3 Meter nicht sichern kann). Unbedingt zu empfehlen!
Lau Bij, Wi5, 2 SL
Spektakel pur! Zur Zeit extrem ausgehackt und darum eher leichter als Wi5. Je nach Eis-Situation ist aber der Höhlen-Durchschlupf nicht möglich, dann wird es deutlich anspruchsvoller. Am besten orientiert man sich im Voraus übers Internet.
Dienstag, 22. Januar: Repetance Super
In der Sauna am Vorabend (mit bereits ein paar Bier intus) fiel der Entscheid: Heute wird die Master-Linie von Cogne, die Repetance Super, attackiert! Gut, irgendwie ist es verwegen, in einen Wi6 einzusteigen. Andererseits, vielleicht ist es ja auch eine Leiter wie der Lau Bij?
Spätestens am Einstieg wird klar: Hier spielt eine andere Musik!
Vielleicht zuerst zu den Fakten: Drei Seillängen, etwa 100 Meter hoch, durchgehend senkrecht. Mit etwas flauem Gefühl steige ich ein. Nach ein paar gemässigten Meter erreiche ich eine Zone mit eindrücklichen Blütenblättern. Die Kletterei ist schon hier senkrecht, aber immerhin kann man wirklich gut stehen auf den Blättern, und auch die Absicherung geht prima. Relativ bald erreiche ich den Hängestand an zwei Bohrhaken rechts.
Die folgenden Meter machen mir allerdings Bauchweh: Ich habe die Wahl zwischen einem röhrigen Geschirrladen, oder einem Arm aus solidem Alteis, allerdings mit Stehen im Fels. Ich entscheide mich für die zweite Variante. Monozack sei dank kann ich präzise auf die kleinen Leistchen stehen, und im Alteis auch eine gute Schraube setzen. Ich mache dann bereits nach etwa 10 Meter nochmals Stand an zwei älteren Bohrhaken, um Dieter etwas aus der Schusslinie zu nehmen. Allein diese kurze Länge ist aber doch schon technischer als der Thron im Avers, um mal einen Vergleich zu wagen.
Die dritte Länge bietet Genuss pur! Steiles Softeis, mit vorgeschobenem Unterkiefer zu klettern, wunderbar. Allerdings zu einem hohen Preis in Form von konstantem Wasserfluss von oben. Als ich den sehr guten Stand in einer geschützten Grotte erreiche, bin ich (inklusive Material) mit einer Eischicht bedeckt!
Eigentlich dachte ich, ich hätte die Tour schon im Sack. Aber zu früh gefreut! Die Schlüssel-Länge folgt nämlich noch...
Durch diese hohle Gasse musst du gehen... um einen der übelsten Geschirrläden zu erreichen, die man sich vorstellen kann! Es folgen 15 senkrechte und ausgesetzte Meter in mühsamsten Röhreneis. Die Geräte sitzen jeweils erst nach fünf bis sechs Schlägen, und um eine Schraube zu setzen, muss man zuerst zehn cm Röhren entfernen. Dies kostet natürlich enorm Kraft, und meine Onsight-Ambitionen sinken rapide. Bald greife ich zum beliebten 'Pickelsitz-Trick', in Kombination mit Halbseil-Technik und kurzen Abständen, um die Sturzhöhe möglichst klein zu halten. Gut, Puristen mögen den sportlichen Wert dieser Begehung vielleicht anzweifeln, aber hier geht es auch etwas ums Überleben!
Mit unendlich übersäuerten Armen erreiche ich irgendwann dann doch den Top. Repetance im Sack! Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit schenken wir uns dann allerdings die obersten beiden leichten Längen und seilen ab. Selten hat die Sauna danach besser getan!
Facts: Repetance Super, Wi6, 5 SL
Der Extremklassiker in Cogne! Bei guten Verhältnissen vielleicht nicht mehr als Wi5+. Allerdings fand ich die Kletterei doch deutlich anspruchsvoller als den Thron, den ich vor drei Jahren doch relativ souverän klettern konnte. Aber das ist halt alles eine Frage der Verhältnisse.
Mittwoch, 23. Januar: Cascade de Lillaz
Nachdem ich mich wirklich verausgabt habe in der Repetance, steht am Mittwoch ein Ruhetag an. Aktive Erholung bietet die Cascade de Lillaz, welche, von mir vollständig im Nachstieg begangen, wirklich eine Wohltat ist. Merci Claude für den Vorstieg!
Facts: Cascade de Lillaz, Wi3, 6 SL
In einer hübschen Parklandschaft gelegen, bietet die Cascade de Lillaz einen kürzestmöglichen Zustieg und als Gegenleistung eine unglaubliche Masse an Eisklettern jeglicher Nationalität und Kompetenz! Unterhaltung garantiert!
Donnerstag, 24. Januar: Chandelle Levure und Coyote
Heute soll es sonnig werden! Mit Claude wird die Chandelle Levure attackiert, eine hübsche Tour im Valeille. Und ja, die Sonne kam tatsächlich...
Herrliche Hackerei im vierten Grad. Genug steil, um das es nicht langweilig wird, aber doch nicht zu psycho. Jedenfalls spulen wir die fünf Seillängen in gutem Tempo ab, und stehen nach dem Mittag auch schon wieder zurück am Einstieg. Nach dem Ruhetag ist die Motivation wieder da, und so queren wir noch zur benachbarten "Candelabro del Coyote", welcher mit Wi5- doch noch etwas sportlicher ist. Hier sind wir richtig:
Die erste Seillänge absolviert Claude souverän, mir steht dann die zweite, noch etwas steilere Länge zu. Ein paar exponierte, senkrechte Meter, allerdings prima ausgehackt und perfekt in der Konsistenz.
Mittlerweile spüre ich auch einen technischen Fortschritt gegenüber Anfangs Woche. Nach zwei Längen seilen wir ab - schliesslich soll es auch heute für das Plättli und zwei Saunagänge reichen!
Facts: Chandelle Levure, Wi4, 5 SL
Eine weitere vielbegangene Tour, ab etwa 10:30 bis 13:00 Uhr in der Sonne! Es hat zwei steile Längen, dazwischen Schneefelder.
Candelabro del Coyote, Wi5-, 5 SL
Auch diese Tour ist aufgrund des recht kurzen Zustieges und der sonnigen Lage sehr beliebt. Die Schlüssel-Länge ist etwas länger und exponierter als bei der Chandelle Levure, aber insgesamt ähnlich im Charakter.
Freitag, 25. Januar: Ago di Money
Heute soll es nochmals einen Höhepunkt geben! Und zwar mal nicht mit einem Klassiker, sondern mit einer recht unbekannten alpinen Linie. Die "Ago di Money" ist aufgrund mangelndem Eis oft nicht kletterbar, dieses Jahr jedoch hat es genug Eis. Die Linie zieht sich ein dünner, weisser Faden durch eine unnahbare Felswand. Ein tolles Projekt für mich und Sophie, die Frau mit dem Flair für Hochtouren!
Laut Führer hat die erste Länge selten Eis und checkt bei 5b ein. Heuer aber zieht sich der Eisschlauch bis an den Einstieg. Wobei - Eis ist nicht gleich Hacken und Schrauben! Vielmehr ist es auf den ersten 15 Meter eine dünne Glasur, gerade mal genug dick, um die Haue 2cm auf die ausgehackten Löcher zu legen. Deshalb ist es auch von Vorteil, das Rack um ein paar Friends und Keile zu erweitern. Wobei, es hat auch etwas fixes Material, und weiter oben kann man dann an einigen ausgesuchten Stellen doch sogar eine 10er Schraube versenken. Nach etwa 30 Meter erreiche ich einen Bh-Stand. Insgesamt eine psychisch fordernde, wenn auch nicht allzu schwierige Länge.
Die zweite Länge bietet genug Eis in moderater Steilheit. Anspruchsvoller wird es dann in der dritten Länge. Auch hier genug Eis, aber extrem hart, und auch ziemlich steil. Hier der Blick auf den Vorsteiger der vorgehenden Seilschaft:
Wirklich speziell sind dann aber die letzten Meter dieser Länge! Das Eis verschwindet, an seine Stelle treten gefrorene Moospolster. Jetzt heisst es gut durchatmen und fein stehen!
Die Abschluss-Länge bietet dann Gras-Kletterei in bester "Hohe Tatra Tradition"! Nicht schwieriger als M3-, aber trotzdem cool. In eisreichen Jahren könnte man auch links über eine steile Eislänge aussteigen, was jetzt aber nicht geht. Vom Ausstieg erreicht man in dreimaligem Abseilen wieder den Einstieg.
Facts: Ago di Money, Wi4+, M3, R, 4 SL
Tolle, charaktervolle Kletterei in Eis, Fels und Moos. Steht den bekannten Touren in Cogne in nichts nach! Bei wenig Eis kann es allerdings beliebig anspruchsvoll werden, deshalb nur einsteigen, wenn man sich über die Bedingungen im Klaren ist! Auch sollten Friends, Keile und evtl. Haken an den Gurt, auch wenn sie momentan nicht nötig sind.
Samstag, 26. Januar: Klettergarten Cogne
Am Morgen des Abreisetages steht noch ein kleines Zückerchen an: Der hübsche, sonnige Mixed-Klettergarten im Schlüchtchen bei Cogne. Die schönste Tour ist der Zapfen ganz links, der etwa bei M6- eincheckt und mit Bohrhaken sehr gut abgesichert ist.
Dann treten wir die Heimreise an - um uns von einer tollen Woche mit vielen Pickelschlägen, viel Sauna und vor allem viel Alkohol zu erholen!
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