Es gibt zwei Arten von Bergsteigen: Entweder man sammelt via Internet oder Kollegen Informationen über die Begehbarkeit von Routen, und wählt dann die Route aus, von der man genau weiss was einem erwartet. Oder aber sucht sich genau die Touren aus, über welche man keinerlei Infos hat. Man sucht das Neue, Unbekannte, geht aber natürlich auch das Risiko ein, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen. Grundsätzlich ziehe ich als 'Wochenend-Alpinist' den ersten Ansatz vor, aber dieses Wochenende wollen wir hoch pokern!
Mehr aus einer spontanen Idee heraus ist so der Plan entstanden, eine Route in der Nordwand der Aiguille Talèfre zu klettern. Für mich eine völlig unbekannte Ecke im Mont Blanc Massiv, man klettert im einsamen Talèfre-Kessel, vis-à-vis von der Courtes. Die anvisierte Route, das Gabarrou-Couloir über den "Nuit Caline"-Einstieg, ist nicht sehr schwierig, aber es ist sicher eine gute Strategie, bei völlig unbekannten Verhältnissen etwas Luft nach oben zu haben. Der Hüttenaufstieg in die Couvercle-Hütte versüssen wir uns mit einer Abfahrt durchs sogenannte 'Vraie Vallée Blanche', das heisst, im oberen Teil drehen wir nach links, um so steil am Gros Rognon vorbei direkt zur Réquin-Hütte hinunterzustechen. Dann fellen wir an und laufen durch ein knapp eingeschneites Moränen-Tälchen etwas mühsam hoch bis auf den Glacier Talèfre. Von hier traversiert man das Gletscher-Vorfeld bis zur Couvercle-Hütte, wo wir nach zweieinhalb Stunden Gehzeit ankommen. Der Winterraum ist in der kleinen, aber geräumigen Alu-Box unter dem grossen Stein.
Wir sind fast alleine im Winterraum. Nach kurzer, aber guter Nacht verlassen wir um vier Uhr in der Früh die Hütte. Es ist fast Vollmond, welcher die Bergwelt in eine surreale Szenerie verwandelt.
Wir machen den Fehler, von der Hütte direkt Richtung Droites auf den Gletscher hinunterstechen zu wollen. Bald erreichen wir ein fast senkrechtes Eiscouloir. Zum Glück haben wir das Gstältli an, so können wir mit relativ kleinem Zeitverlust 30 Meter abseilen. Hier präpariert Thomas seine Felle, im Mondschatten mittig ist die Nordwand der Talèfre, unser Ziel.
Nach knappen zwei Stunden Aufstieg erreichen wir mittlerweile im ersten Tageslicht den Einstieg unter der Nordwand der Talèfre. Wir haben gerade genug Licht, um zu erahnen, dass unser geplanter Abstieg durch das Nordcouloir völlig blank ist - für uns eine gute Neuigkeit, so werden wir alles an Eissanduhren abseilen können. Was wir noch nicht wissen können, ist der Zustand der anvisierten Route - im unteren Teil die 'Nuit Caline', im oberen Teil das Gabarrou-Couloir.
Über einen nicht ganz harmlosen Bergschrund (siehe später) gelangen wir ins enge Schneecouloir der Nuit Caline. Bald stehen wir vor einem Steilaufschwung, eher knapp vereist.
Thomas steigt in schöner Mixed-Kratzerei (geschätzt M4-) bis zu einem guten Zackenstand etwa 40 Meter oberhalb. Ich folge nach und erreiche sogleich den nächsten Steilaufschwung. Dieser bietet auf etwa zehn Meter 80° steilen Styroporschnee, der zwar wunderbar zu klettern, aber nur mässig gut absicherbar ist. Es hat aber an den neuralgischen Stellen gute Risse für Klemmkeile. Hier der Autor im Vorstieg:
Wir erreichen jetzt das flachere Gelände, wo die Nuit Caline und das originale Gabarrou-Couloir zusammenkommen. Der Weg ist vorgegeben: Ziemlich direkt hoch, am grossen Gendarmen rechts vorbei. Etwas Bauchweh macht mir den Steilaufschwung gerade beim Gendarmen: Hat es dort überhaupt Eis?
Die Kletterei hier ist wirklich vom Besten: Meistens entweder guter Trittschnee, oder griffiger Styroporschnee. So können wir gut am laufenden Seil klettern. Hier kurz vor dem Gendarm, schöne Kletterei über kurze, steile Absätze:
Dann erreichen wir die fragliche Engstelle bei Gendarm. Meine Erleichterung ist gross, als ich sehe, dass es tatsächlich eine von unten nicht sichtbare Eisspur durch eine Verschneidung nach oben führt. Was folgt, ist eine tolle Eislänge in 75° steilem Gelände, perfekt an Schrauben absicherbar!
Jetzt neigt sich das Gelände eher wieder zurück. Es folgt eine klassische Eisrinne, etwa 55° steil. An beiden Rändern liegt etwas Schnee, was die Waden entlastet.
Nach drei Seillängen dann endlich die ersten Sonnenstrahlen! Dieser wunderbare Moment, nach einer kalten, schattigen Nordwand endlich in die warme Sonne aussteigen zu können. Das Couloir ist nicht mehr steil (45°) und hat perfekten Trittfirn, so erreichen wir ohne nennenswerte Hindernisse den Pass und dann in wenigen Schritten den Gipfel der Aiguille Talèfre.
Wenig später machen wir uns für den Abstieg bereit - schliesslich erwartet uns noch ein längerer Grat und eine Eiswand! Vom Gipfel steigen wir zuerst über die schneeige Westflanke ab, die sich später zu einem schmalen, aber ansonsten einfachen Grat verjüngt. Bald erreichen wir einen kleinen Sattel zwischen Haupt- und westlichem Vorgipfel. Der westliche Vorgipfel umgehen wir zuerst leicht auf der Südseite, um dann direkt auf den Vorgipfel zu gelangen.
Von hier führt ein schmaler Firngrat zurück in den Fels. Der nun folgende, leichte aber brüchige Felsgrat bewältigen wir teils abkletternd, teils abseilend. Relativ bald gelangen wir zu einem letzten Steilstück, über welches wir 60m bis auf den Col de Talèfre abseilen.
Nun folgt das langwierige Abseilen über das blanke N-Couloir. Ein guter Moment, um wieder mal das Fädeln von Eissanduhren zu repetieren!
Nach guten zehn mal Abseilen und etwas abklettern im untersten, schneeigen Teil erreichen wir wieder den Bergschrund. Dabei zeigt es sich einmal mehr, dass man Bergschründe immer angeseilt passieren muss, denn beim Abseilen bricht das Teil tatsächlich zusammen! Nach dieser Schrecksekunde sind wir aber schon bei den Skis und bewundern die strukturierte NW-Flanke in der Abendsonne. Die Nuit Caline ist die schmale Schneespur, welches vom linken Ende des rechten Bergschrundes leicht rechts haltend hochzieht.
Der Rest vom Tag ist schnell erzählt: Problemlose, sogar relativ genüssliche Abfahrt in teils wirklich schönem Firn auf das Mer de Glace, dann Schussfahrt mit abschliessendem Navigieren zwischen Steinen und Eis bis praktisch ans Ende des Gletschers (dieser letzte Teil dürfte schon in wenigen Tagen nicht mehr praktikabel sein). Ätzender Aufstieg nach Mottets, und dann ein langer Fussabstieg nach Chamonix. Um halb zehn dann das wohlverdiente Bier und Burger in der Bar in Chamonix!
Facts:
Aiguille Talèfre, "Nuit Caline" + "Gabarrou", S+, IV, M4-, 600m
Relativ leichte, aber lange und abwechslungsreiche Eistour, die auf einen aussichtsreichen Gipfel führt. Der Abstieg über den Westgrat und das grosse Nordcouloir ist eine Hochtour für sich alleine, und sollte auf keinen Fall unterschätzt werden.
Es wäre wohl ebenfalls möglich, zurück über die Route abzuseilen. Es hat aber keine eingerichteten Stände, und nicht alle Felszacken sind zuverlässig.
Material: Kurze und mittlere Eisschrauben für den Aufstieg, zwei längere für die Eissanduhren. Dazu ein reduziertes Set Klemmkeile und Friends (bis BD 1).
Mehr aus einer spontanen Idee heraus ist so der Plan entstanden, eine Route in der Nordwand der Aiguille Talèfre zu klettern. Für mich eine völlig unbekannte Ecke im Mont Blanc Massiv, man klettert im einsamen Talèfre-Kessel, vis-à-vis von der Courtes. Die anvisierte Route, das Gabarrou-Couloir über den "Nuit Caline"-Einstieg, ist nicht sehr schwierig, aber es ist sicher eine gute Strategie, bei völlig unbekannten Verhältnissen etwas Luft nach oben zu haben. Der Hüttenaufstieg in die Couvercle-Hütte versüssen wir uns mit einer Abfahrt durchs sogenannte 'Vraie Vallée Blanche', das heisst, im oberen Teil drehen wir nach links, um so steil am Gros Rognon vorbei direkt zur Réquin-Hütte hinunterzustechen. Dann fellen wir an und laufen durch ein knapp eingeschneites Moränen-Tälchen etwas mühsam hoch bis auf den Glacier Talèfre. Von hier traversiert man das Gletscher-Vorfeld bis zur Couvercle-Hütte, wo wir nach zweieinhalb Stunden Gehzeit ankommen. Der Winterraum ist in der kleinen, aber geräumigen Alu-Box unter dem grossen Stein.
Wir sind fast alleine im Winterraum. Nach kurzer, aber guter Nacht verlassen wir um vier Uhr in der Früh die Hütte. Es ist fast Vollmond, welcher die Bergwelt in eine surreale Szenerie verwandelt.
Wir machen den Fehler, von der Hütte direkt Richtung Droites auf den Gletscher hinunterstechen zu wollen. Bald erreichen wir ein fast senkrechtes Eiscouloir. Zum Glück haben wir das Gstältli an, so können wir mit relativ kleinem Zeitverlust 30 Meter abseilen. Hier präpariert Thomas seine Felle, im Mondschatten mittig ist die Nordwand der Talèfre, unser Ziel.
Nach knappen zwei Stunden Aufstieg erreichen wir mittlerweile im ersten Tageslicht den Einstieg unter der Nordwand der Talèfre. Wir haben gerade genug Licht, um zu erahnen, dass unser geplanter Abstieg durch das Nordcouloir völlig blank ist - für uns eine gute Neuigkeit, so werden wir alles an Eissanduhren abseilen können. Was wir noch nicht wissen können, ist der Zustand der anvisierten Route - im unteren Teil die 'Nuit Caline', im oberen Teil das Gabarrou-Couloir.
Über einen nicht ganz harmlosen Bergschrund (siehe später) gelangen wir ins enge Schneecouloir der Nuit Caline. Bald stehen wir vor einem Steilaufschwung, eher knapp vereist.
Thomas steigt in schöner Mixed-Kratzerei (geschätzt M4-) bis zu einem guten Zackenstand etwa 40 Meter oberhalb. Ich folge nach und erreiche sogleich den nächsten Steilaufschwung. Dieser bietet auf etwa zehn Meter 80° steilen Styroporschnee, der zwar wunderbar zu klettern, aber nur mässig gut absicherbar ist. Es hat aber an den neuralgischen Stellen gute Risse für Klemmkeile. Hier der Autor im Vorstieg:
Bild tk |
Die Kletterei hier ist wirklich vom Besten: Meistens entweder guter Trittschnee, oder griffiger Styroporschnee. So können wir gut am laufenden Seil klettern. Hier kurz vor dem Gendarm, schöne Kletterei über kurze, steile Absätze:
Dann erreichen wir die fragliche Engstelle bei Gendarm. Meine Erleichterung ist gross, als ich sehe, dass es tatsächlich eine von unten nicht sichtbare Eisspur durch eine Verschneidung nach oben führt. Was folgt, ist eine tolle Eislänge in 75° steilem Gelände, perfekt an Schrauben absicherbar!
Bild tk |
Nach drei Seillängen dann endlich die ersten Sonnenstrahlen! Dieser wunderbare Moment, nach einer kalten, schattigen Nordwand endlich in die warme Sonne aussteigen zu können. Das Couloir ist nicht mehr steil (45°) und hat perfekten Trittfirn, so erreichen wir ohne nennenswerte Hindernisse den Pass und dann in wenigen Schritten den Gipfel der Aiguille Talèfre.
Wenig später machen wir uns für den Abstieg bereit - schliesslich erwartet uns noch ein längerer Grat und eine Eiswand! Vom Gipfel steigen wir zuerst über die schneeige Westflanke ab, die sich später zu einem schmalen, aber ansonsten einfachen Grat verjüngt. Bald erreichen wir einen kleinen Sattel zwischen Haupt- und westlichem Vorgipfel. Der westliche Vorgipfel umgehen wir zuerst leicht auf der Südseite, um dann direkt auf den Vorgipfel zu gelangen.
Von hier führt ein schmaler Firngrat zurück in den Fels. Der nun folgende, leichte aber brüchige Felsgrat bewältigen wir teils abkletternd, teils abseilend. Relativ bald gelangen wir zu einem letzten Steilstück, über welches wir 60m bis auf den Col de Talèfre abseilen.
Nun folgt das langwierige Abseilen über das blanke N-Couloir. Ein guter Moment, um wieder mal das Fädeln von Eissanduhren zu repetieren!
Nach guten zehn mal Abseilen und etwas abklettern im untersten, schneeigen Teil erreichen wir wieder den Bergschrund. Dabei zeigt es sich einmal mehr, dass man Bergschründe immer angeseilt passieren muss, denn beim Abseilen bricht das Teil tatsächlich zusammen! Nach dieser Schrecksekunde sind wir aber schon bei den Skis und bewundern die strukturierte NW-Flanke in der Abendsonne. Die Nuit Caline ist die schmale Schneespur, welches vom linken Ende des rechten Bergschrundes leicht rechts haltend hochzieht.
Der Rest vom Tag ist schnell erzählt: Problemlose, sogar relativ genüssliche Abfahrt in teils wirklich schönem Firn auf das Mer de Glace, dann Schussfahrt mit abschliessendem Navigieren zwischen Steinen und Eis bis praktisch ans Ende des Gletschers (dieser letzte Teil dürfte schon in wenigen Tagen nicht mehr praktikabel sein). Ätzender Aufstieg nach Mottets, und dann ein langer Fussabstieg nach Chamonix. Um halb zehn dann das wohlverdiente Bier und Burger in der Bar in Chamonix!
Facts:
Aiguille Talèfre, "Nuit Caline" + "Gabarrou", S+, IV, M4-, 600m
Relativ leichte, aber lange und abwechslungsreiche Eistour, die auf einen aussichtsreichen Gipfel führt. Der Abstieg über den Westgrat und das grosse Nordcouloir ist eine Hochtour für sich alleine, und sollte auf keinen Fall unterschätzt werden.
Es wäre wohl ebenfalls möglich, zurück über die Route abzuseilen. Es hat aber keine eingerichteten Stände, und nicht alle Felszacken sind zuverlässig.
Material: Kurze und mittlere Eisschrauben für den Aufstieg, zwei längere für die Eissanduhren. Dazu ein reduziertes Set Klemmkeile und Friends (bis BD 1).
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