Avant la Verte on est alpiniste, à la Verte on devient montagnard
- Gaston Rébuffat
Ob ich in den letzten zwei Tagen wirklich 'Bergler' geworden bin, oder nicht der Städter geblieben bin, den ich schon vorher war, ist mir nicht ganz klar. Klar hingegen ist, dass die Aiguille Verte, bekannt als schwierigster 'richtiger' Alpen-Viertausender, ganz oben auf der Wunschliste eines jeden ambitionierten Alpinisten steht. Und eben diese formschöne Pyramide war das Ziel von diesem Chamonix-Trip. Ursprünglich allerdings nicht über den Grands-Montets-Grat, sondern, ganz ambitioniert, über die sogenannte 'Grande Traverse', d.h. via Drus. Aber beim Bergsteigen kommt es erstens meistens anders, und zweitens als man denkt. Doch hier die ganze Geschichte.
Angesichts des stabilen Hochs können Peter und ich bedenkenlos etwas Zeit in eine optimale Akklimatisation investieren. Und in Chamonix geht dies am besten bei einer Klettertour auf der Aiguille Midi. Angesichts von mindestens drei wartenden Seilschaften am Einstieg der Rébuffat fällt uns die Wahl nicht schwer: Der Cosmique-Sporn soll es sein, ebenfalls via eine Rébuffat-Route. Insgesamt sechs Seillängen sind zu klettern, die Schlüssel-Seillänge checkt bei 5c ein und bietet steiles, henkliges Gelände in bestem Fels.
Ebenfalls wunderschön sind die beiden letzten Seillängen im oberen vierten Grad. Der Cosmiques-Grat, welchen dann als Abschluss noch begangen werden muss, geht auch ganz ordentlich von der Hand. Um die Akklimatisation noch wirksamer zu machen, trinken wir das Bier nicht unten in Chamonix, sondern oben im Gipfelrestaurant.
Facts:
Cosmiques-Sporn, "Rébuffat", S+, 5c
Hübsche Klettertour mit einer gar nicht so einfachen Schlüsselstelle, gute Ausweichtour bei viel Andrang an der Midi Südwand.
Material: Set Keile und Friends bis Nr 2.
Der erste Dämpfer folgt dann später im Office d'Haute Montagne in Chamonix, wo wir noch die letzten Infos über unsere geplante Route einholen wollen. Hochgezogene Augenbrauen, Kopfschütteln und ein "these guys are happy to rescue you" (mit Wink auf den PHGM-Typ) ernten wir, als wir unser Tourenziel nennen. Einige Biere später beschliessen wir, trotzdem mal am nächsten Tag in die Charpoua-Hütte hochzusteigen.
Nun ja, als die Drus zum ersten Mal sichtbar werden, ist die Motivation noch maximal. Als uns dann aber zwei triste Franzosen entgegenkommen, die meinen, der Charpoua-Gletscher zum Einstieg der Drus-Traversierung sei unpassierbar, wird das Gepäck grad mal gefühlte 10kg schwerer. Wir steigen aber trotzdem noch hoch bis zur Hütte. "C'est suicidäär" - dies die trockene Bemerkung des Hüttenwartes, mit einem schadenfrohen Grinsen vorgetragen, das mich etwas an Garfield erinnert, der dem Hund einen Streich spielt. Nach kurzer Lagebesprechung beschliessen wir, lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach zu haben, nicht Stunden in einem heiklen Gletscher zu verschwenden, sondern gleich wieder abzusteigen, um wenigstens die beiden nächsten Tage voll auszukosten. Und dies war dann die Geburt des Planes, die Verte über den Grands-Montets-Grat zu besteigen.
Der Grands-Montets-Grat ist einer der vier grossen Grate an der Verte, trennt den Nant-Blanc Bassin vom Argentière-Kessel, und zieht sich von der Bergstation der Grands-Montets Seilbahn in mehreren wilden Türmen hoch zur Gipfelkalotte der Verte.
Er ist nicht sehr oft begangen, man findet relativ wenige Infos, was aber gar nichts bedeuten muss. Besonders interessant ist, dass ein "Wandbiwak" vor der Gipfelkalotte praktisch obligatorisch ist, dies, weil es keine Hütte in der Nähe hat. Und so befindet sich halt eben ein Schlafsack und Daunenmätteli im etwas schweren Gepäck.
Um sieben Uhr morgens noch ein letzter Kaffee und Croissant in Chamonix, dann geht es mit der ersten Bahn hoch auf Grands-Montets, wo wir um 8:30 starten. Zusammen mit uns am Start sind noch mindestens drei andere Seilschaften. Hoffentlich hat es genug Platz für so viele Leute am Biwakplatz! Der erste Teil der Tour spielt sich in klassischem T5-6 Gelände ab: Man traversiert in brüchigem Fels auf der Westseite. Nicht so der Hit. Aber hier zahlt sich eben die Erfahrung aus, welche wir uns auf vielen Hochtouren im Walliser- oder Bernerbruch angeeignet haben. Wir gehen ohne Seil, und haben nach kurzer Zeit die anderen Seilschaften bereits weit hinter uns gelassen. Eine gute Spürnase zählt hier definitiv mehr als Klettertechnik!
Als Faustregel gilt, nie zu hoch zu gehen, und unbedingt beim tief eingeschnittenen Couloir die 20 Meter absteigen. Sobald man einen Friend oder Keil setzen muss, ist man garantiert falsch.
Schöner wird es bei der ostseitigen Traverse der Pointe Farrar in bereits wesentlich soliderem Fels im dritten Grad.
Die richtige Kletterei beginnt in der Scharte vor der Aiguille Carrée. In zwei steilen Seillängen im vierten Grad, über teils vereiste Risse, erreichen wir den Gipfelgrat. Eine weitere schöne Seillänge führt über die Westseite auf den Gipfel der Carrée.
Vom Gipfel erreicht man die Scharte zwischen Pointe Ségogne und Aig. Carrée mit zweimaligem Abseilen und Abklettern. Jetzt wird das Gelände nochmals ernsthafter, ein ansprechender Mix aus solidem Fels, gutem Eis und Trittschnee erwartet uns. Wir montieren die Steigeisen und queren in den Gully, welcher auf den Grat der Ségogne führt. Der Gulli hat bestes Schnee-Eis, wartet mit einer Steilheit bis zu 60° auf, und lässt sich perfekt an den Rändern mit Klemmgeräten absichern. Mein Cobra, zum ersten Mal seit der Fil a Plomb wieder im Einsatz, beisst sich freudig ins Eis.
Mittlerweile ist es 12 Uhr, und wir beginnen langsam mit dem Gedanken zu spielen, das Biwak am Col du Nant Blanc auszulassen und gleich zum Gipfel der Verte durchzusteigen. Allerdings, hier ist die Kletterei noch nicht fertig, im Gegenteil!
Es folgen drei Seillängen in teilweise grimmigen, kombiniertem Gelände auf der NE-Seite der Ségogne. Die Schwierigkeiten übersteigen allerdings nirgends den vierten Grad.
Laut Eberlein müsste man die drei Türme auf der Ostseite umgehen. Die Umgehung ist aber im Gelände nicht offensichtlich, und der super Fels lädt geradezu ein, die Türme zu überklettern. Dies geschieht in zwei bis drei weiteren Seillängen, teils auf der Ost-, teils auf der Westseite der Türme. Bald erreichen wir die Scharte vor der nominellen Schlüsselstelle, der Platte im Grad IV+ (Cotation Chamoniarde). Die Platte ist wirklich eine Platte, mit den Kletterfinken wärs einfach, mit den 'Schweren' natürlich etwas diffiziler. Mit etwas Tricksen klappt es aber ganz ordentlich, man erreicht bald einen gut absicherbaren Riss rechts.
Die nächste Seillänge ist etwas einfacher, wartet aber mit einem grandiosen 'Rateau Chevre', einem nicht absicherbaren Piaz an der Kante, auf.
Auch bei der letzten Seillänge ganz hoch auf die Gipfelnadel muss nochmals beherzt auf die Kriställchen gestanden werden. Auf der Rückseite führt zweimaliges Abseilen (inklusive Seilverhänger) zum Col du Nant Blanc. Es ist viertel nach drei, und angesichts der tief eingeschneiten, wenig einladenden zwei! Biwakstellen (für mindestens acht Leute) steht unser Entscheid fest. Wir ziehen durch!
Ein kurzer, scharfer Firngrat führt auf die grandiose, mit wilden Seracs bespickten Gipfelkalotte.
Peter legt ein superangenehmes Gehtempo vor, ohne gross ausser Atem zu kommen, marschieren wir die verbleibenden 350 Höhenmeter zum Gipfel der Verte hoch in perfektem Trittfirn. Immer wieder gerate ich ins Staunen ob der bizarren Gletscherszenerie hoch oben über dem Arve-Tal. Fast wie in im Himalaya!
Schliesslich erreichen wir um 16:20 den Gipfel der Verte. Was für ein Hochgefühl! Kein Wind weht, um uns die schönsten Gipfel der Alpen.
Allerdings wäre die Verte eben nicht die Verte, wenn man jetzt einfach den Kopf ausschalten könnte. Nein, vielmehr hat man gerade eine Hochtour beendet, und jetzt beginnt die nächste, nämlich der Abstieg. Das Whymper-Couloir ist um die Tageszeit natürlich keine Option, und mir ist der Gedanke, in dieser Riesenrutschbahn mit Felsblöcken Kegeln zu spielen, sowieso nicht sympathisch. Warum aber haben eigentlich alle Bergsteiger solchen Respekt vor dem Moine-Grat im Abstieg? Wir sind gespannt dies herauszufinden.
Der Abstieg beginnt ganz gemütlich über einen kurzen Firngrat, der bei einer ersten Abseilstelle endet. 1x25 Meter abseilen führt wieder in den Firn. Über eindrückliche Firnschneiden, gerahmt von roten Felsen, geht es weiter. Leider holt uns hier der Nebel ein.
Im Bild oben befindet sich eine nächste Abseilstelle am kleinen Zahn links, man darf auf keinen Falle nach links abseilen, sondern vielmehr nach rechts, zurück auf den Grat. Es folgt eine weitere Kombi-Passage in Fels und Schnee.
In der Folge hält man sich immer etwas unter dem Grat auf der Talèfre-Seite. Teilweise eindrücklich steile Firnpassagen wollen gemeistert werden. Zum Glück kann man immer problemlos mit Schlingen und Klemmgeräten sichern.
Irgendwann kommt man zu einem kleinen Col, wo rechts ein Kamin senkrecht abfällt. Den folgenden, den Grat versperrenden Block traversieren wir rechts auf einem abschüssigen Band. Und weiter geht es, immer dem Grat entlang, über teils eindrückliche, steile Firnfelder.
Kurz danach erreichen wir den im Führer erwähnten Abseilring. Dieser ist an einer etwas unlogischen Stelle, denn man kann problemlos in steilem Schnee abklettern. Einen "Chimney-Gully", wie im snow, ice & mixed erwähnt, finden wir nicht. Jedenfalls traversiert man wieder auf der Talèfre-Seite, um in eine Region von Geröll und Platten zu gelangen. Diese klettert man leicht ab, um in ein weiteres Pässchen zu gelangen, wo man nach Süden abseilen kann. Jetzt erreicht man die "secondary ridge":
Jetzt endlich wird das Gelände markant einfacher. Man steigt jetzt in brüchigem Fels auf der im obigen Bild linken Flanke nach hinten runter über Bändern, das heisst, man steigt nicht grad runter, sondern traversiert immer leicht nach rechts. Steinmänner helfen bei der Orientierung. Irgendwann wird das Gelände wieder etwas steiler. Dies ist der Moment, nicht mehr weiter nach rechts zu gehen, sondern über steilere Platten nach unten (Abseilstellen). Mit dreimaligem Abseilen erreichen wir schlussendlich den Bergschrund. Es ist mittlerweile neun Uhr, und wir spüren beide die stundenlange Konzentration.
Immerhin, der Bergschrund ist zwar eindrücklich, aber letztendlich trivial. Im weichem Schnee trotten wir zur Couvercle-Hütte, wo wir um halb zehn eintreffen, gerade noch ohne die Stirnlampen gebraucht zu haben. Was für ein Timing! Und selten hat der Liter Bier so gut geschmeckt!
Facts:
Aiguille Verte, Grands-Montets-Grat / Moine-Grat, S, IV, 5a, 60°.
Eine Überschreitung der Superlative am vielleicht schwierigsten Viertausender der Alpen. Am Grands-Montets-Grat nach oben stetig schwieriger werdende Kletterei in zuletzt genialem Fels. An der Gipfelkalotte der Verte eindrückliche Gletscherszenerie. Der Abstieg über den Moine-Grat ist dann eine Hochtour für sich. Wilde Firnstellen und ebenfalls sehr guter, anspruchsvoller Fels erfordern stetige Konzentration, ohne aber ganz grosse Schwierigkeiten zu bieten. Als Faustregel gilt, sich IMMER auf der Talèfre-Seite zu halten und stur dem Grat zu folgen.
Material: Friends bis Nr. 1 und Keile, genügend Zackenschlingen, evtl. zweiter Pickel für das Couloir (ich habe ein Steileisgerät und ein Alupickel dabeigehabt und war durchaus froh darum).
Strategie: Eine schnelle Seilschaft kann die Tour durchaus mit der ersten Bahn ohne Biwak durchziehen. Man muss sich allerdings bewusst sein, dass gerade im unteren Teil des Moine-Grats der Abstieg bei Dunkelheit fast unmöglich zu finden ist. Deshalb lohnt es sich wohl, auf alle Fälle Material für ein Notbiwak (Daunenjacke, Kocher und kleinen Topf) mitzutragen.
Topo vom Grands-Montets-Grat:
Was für ä Tour - eifach wild! Das Bier händer Eui glaub echt verdient.
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