Mittwoch, 29. August 2012

Bruch am Bietschhorn

Das Bietschhorn ist eine von weitem äusserst ästhetische Pyramide, die sich aus der Nähe als gigantischer Trümmerhaufen entpuppt. Dies ist kein Geheimnis, darum stand dieser Berg auch eher unten auf meiner Wunschliste. Mein Vater hingegen hatte den grossen Wunsch, diesen Berg ein Mal in seinem Leben noch zu besteigen. Und da es offensichtlich nicht einfach ist, Bergführer für diese Unternehmung zu motivieren (verstehe ich im Nachhinein auch), fiel mir die Entscheidung nicht schwer, mit ihm diese Tour zu machen. Etwas Recherche hat auch schnell gezeigt, dass der Ostsporn der wohl beste Aufstieg vermittelt. 
Als erstes Hindernis gilt es, einen der längsten Hüttenaufstiege der Schweiz zu bewältigen. Zu Beginn führt der Weg einer Suone entlang.
Später steigt der Weg steil an und überquert mehrere Male die grossen Bergbäche. Allerdings sind die Stege einwandfrei, anders als auch schon geschrieben.
Wir nehmen den Weg gemütlich und erreichen nach fünfeinhalb Stunden die Baltschiederklause. In der urchigen Hütte wird man mit einem Tee begrüsst, eine nette Geste, die man in anderen Gebieten nicht erlebt. 

Am nächsten Tag starten wir um zwanzig nach Vier. Mit uns am Start ist noch eine Vierergruppe, zudem attackiert eine Seilschaft den Nordgrat. Im Licht der Stirnlampe geht es auf dem recht ausgesetzten Weg Richtung Gletscher, Katzenaugen erleichtern die Wegfindung. Der Gletscher ist grösstenteils aper und eher auf der harmlosen Seite, die wenigen grossen Spalten können problemlos umgangen werden. Etwas spannender gestaltet sich der Übergang vom Eis auf den Sporn; wir versuchen es im untersten Teil, direkt oberhalb eines riesigen Schrundes. Geht ganz gut, nur gelangt man danach in mühsamstes Geröll. 
Ein weiterer schöner Tourentag kündigt sich an...
Wir kämpfen uns durch das lose Geröll und erreichen bald festeres Gelände an der Gratkante. Allerdings muss man auch hier permanent aufpassen, nicht Steine zu lösen, die nachfolgende Seilschaften treffen könnten.
Tolles Ambiente in der frühen Morgensonne!
Im unteren Teil des Sporns ist das Gelände noch nicht so steil und besteht meistens aus mehr oder weniger gut verfestigtem Geröll. Wir kommen gut voran.
Kurz bevor sich der Grat aufsteilt, wird es zum ersten Mal etwas spannender. Der Grat ist hier scharf und relativ ausgesetzt, es gilt, mehrere Zacken zu überklettern oder auf kleinen Bändern zu umgehen. Schwierig ist es zwar nie, erfordert aber dennoch einen gewissen Spürsinn für den einfachsten Weg.
Hier kommt auch schon die erste Schlüsselstelle, ein mit Bohrhaken abgesicherter Aufschwung im Grat. Klar, man könnte sich irgendwie rechts 'herumbescheissen', aber es ist schöner und eleganter, direkt über den Zahn zu steigen. Schliesslich sind wir auch ein bisschen zum Klettern hier.
Jetzt wird der Grat deutlich steiler, ohne jedoch schwieriger zu werden. Vom Charakter her kompakt und gutgriffig direkt auf der Kante, und äussert lose in den Flanken. Die Kraxelei ist genussvoll, auch Hannes gefällt es.
Plötzlich werden wir aufgeschreckt durch ein Poltern, durch das Couloir auf der rechten Seite ergiesst sich eine regelrechte Gerölllawine. Gut, hier würde wohl eh niemand hochgehen, aber trotzdem, kein schöner Anblick, den Bergen beim Vergehen zuschauen zu müssen. Der Grat ist zum Glück sicher vor spontanem Steinschlag, hingegen muss man aufpassen, nicht selber Steine zu lösen. So geschehen bei den vier Thurgauern, der Stein, welcher die vorangehende Seilschaft ausgelöst hat, trifft den Vordermann der hinteren Seilschaft. Glücklicherweise bleibt es bei einer Prellung (hoffe ich zumindest), eine Schmerztablette erlaubt ihnen das Weiterklettern. 
Im oberen Teil macht der Grat eine charakteristische Linkskurve. Wer meint, hier sei es schon geschehen, dem ist nicht so! Vielmehr steilt er sich noch einmal auf und wird kompakter. Hier befindet sich die nominelle Schlüsselstelle der Tour, ein mit Bohrhaken abgesicherter Vierer. 
Wobei, es muss schon auch gesagt sein, mit Chamonix-Vierern hat das hier nicht viel zu tun, schlussendlich muss man, ein, zweimal kurz zupacken und schon ist man oben. Und wahrscheinlich könnte man auch hier die schwierige Stelle umgehen.
Jedenfalls kommt auch Hannes problemlos hoch, und wir erreichen leichteres Gelände. Über grosse, teils lose Blöcke kraxeln wir über den obersten Teil der Südost-Grates. Ein kurzer, horizontaler Grat führt schliesslich zum Gipfelkreuz. Die Mühen werden durch eine tolle Aussicht vom Bernina bis zum Mont Blanc belohnt!
Aber Achtung, beim Bietschhorn gilt, dass die Tour erst zu Ende ist, wenn man wieder den Gletscher erreicht hat! Als Abstieg wählen wir den Westgrat, er ist etwas einfacher und führt, im Gegensatz zum Nordgrat, via Bietschhornhütte direkt ins Tal. Der Westgrat ist nur gerade im obersten Teil kompakt und schwierig, der grösste Teil des Grates besteht aus grossblockigem Geröll. Man kann hier wohl viel Zeit vertörlen, wenn man sich an die Kante hält, hingegen kommt man schnell voran, wenn man die Wegspuren in der Südflanke benutzt.
Jedenfalls brauchen wir gerade mal zweieinhalb Stunden vom Gipfel bis zum Gratfuss. Hier packen wir das Seil ein. Allerdings ist man noch nicht im Tal! Nein, vielmehr queren wir zuerst horizontal über sterbende Gletscher bis zum Bietschjoch.
Dann folgt noch ein kniekillender Abstieg ins Tal. Es gibt wohl wenige Berge, die so wenig Luftdistanz zwischen Gipfel und Talort haben. Nach 2500 Höhenmeter Abstieg fühlen wir uns wie nach nach einem Besuch in der Waschmaschine. Da mag auch die Käseschnitte und der halbe Fendant nicht mehr viel zu helfen...

Facts:
Bietschhorn, Ostsporn, S, IV, 4a
Der Ostsporn vermittelt den wohl schönsten und auch sichersten Aufstieg auf das Bietschhorn. Man darf deswegen aber keinen "Chamonix-Granit" erwarten, vielmehr ist der Sporn einfach etwas weniger brüchig als die anderen Grate. Schlussendlich besteigt wohl niemand das Bietschhorn wegem dem Aufstieg, sondern halt wegem dem Bietschhorn. Der Westgrat ist ein vernünftiger Abstieg, der mit der richtigen Strategie und der optimalen Wegfindung effizient bewerkstelligt werden kann.
Material: Ein paar Zackenschlingen, etwa 4 Expresse, Keile und Friends sind eigentlich nicht nötig. Ein bis zwei Eisschrauben und ein guter Eispickel, falls der Übergang vom Gletscher auf den Sporn Probleme bereitet.

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