Montag, 25. August 2014

Schlechter Sommer gleich Firnsommer

Auch an diesem Wochenende stellt sich die Frage: Was kann man bei den herrschenden Verhältnissen eigentlich schlau machen? Zum Felsklettern lädt das feuchtkalte Wetter auf der Alpennordseite nicht ein. Andererseits hat der Migot-Sporn letztes Wochenende gezeigt, dass die Schneebedingungen dank dem regenreichen Sommer weit überdurchschnittlich sind. Für ein handfestes Gully oder noch härterem Stoff fehlen mir die Ideen respektive der Biss. Hingegen habe ich immer noch gute Erinnerungen an die klassischen Firnwände wie Lenzspitze oder Roseg, welche ich vor einigen Jahren begangen habe. Ein Revival dieser alpinen Spielart wäre durchaus reizvoll. 
Eine Wand, die mir bis jetzt gefehlt hat, ist die Obergabelhorn Nordwand. Sie ist vielleicht ein Tick kürzer als ihre Verwandten, dafür auch ein Tick steiler. Und zumindest optisch stellt sie Lenzspitze und Co in den Schatten: Für ein perfekteres Dreieck muss man wohl in die Anden reisen! 
Die Firnwand muss man sich allerdings hart verdienen. Es beginnt mit einem der subjektiv härtesten Hüttenanstiege, derjenige in die Mountet-Hütte. Endloses Traversieren, zermürbendes Auf- und Ab. Immerhin, die Temperaturen sind tief und das Gehen angenehm. Die Hütte selber ist gut geführt und vom alten Schlage - nix von Duschen und sonstigem unnötigen Ballast, dafür ein kompetenter Hüttenwart und gemütliche Betten. Leider verhindert der Nebel ein Blick auf das morgige Unternehmen.

Am nächsten Morgen geht es um halb fünf los - zwar etwas spät für eine solche Tour, aber bei angesagten Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt sicher nicht zu spät. Der Weg zum Coeur, dem mächtigen Felssporn, der vom Coeurgrat herunterkommt, gestaltet sich soweit problemlos. Über eine kurze Firnflanke erreichen wir das im Führer erwähnte Felsband. Dieses besteht aus einem zwar relativ einfach zu begehenden, aber eher mühsamen Geröll-Sand-Gemisch. Am besten geht man alles mit den Steigeisen, die halten im teilweise gefrorenen Geröll recht gut. Bei einem Steinmann erreicht man dann einfach die etwa 45° steile Eisflanke, welche den Zugang zur Nordwand erlaubt.
Eigentlich hatten wir damit gerechnet, hier Trittfirn anzutreffen. Aber nein - drei Zentimeter Pulver, darunter total sprödes, hartes Gletschereis. Da man hier bereits etwa 300hm über dem Wandfuss ist, wäre ein Ausrutscher absolut tödlich. Das heisst, wir beissen in den sauren Apfel und sichern uns die Flanke hoch. Immerhin, nach etwa 100 Meter erlaubt eine schneegefüllte Spalte etwas wadenschonenderes Steigen. Später legt sich die Flanke etwas zurück, und endlich erreichen wir auch besseren Trittfirn.
Durch das eher ineffiziente Gehen im Eis haben wir natürlich etwas Zeit verloren. Wir erreichen den Wandfuss erst etwa um halb neun, also gute vier Stunden nach Abmarsch in der Hütte. Die andere Seilschaft, welche etwas vor uns die Hütte verlassen hat, ist bereits an der Arbeit. Sie sind rechts aussen eingestiegen und sichern sich von Stand zu Stand. 
Wir hingegen möchten möglichst nahe der Ideallinie hochsteigen, um so die Wand voll 'auszukosten'. Wir haben uns ja nicht für Nichts hier hochgearbeitet :)
Der Bergschrund ist nicht ganz ohne und erfordert einen grossen Schritt, etwas Balance, und viel Fingerspitzengefühl. Aber bald stehen wir auf der gewaltigen Firn-Rutschbahn. 
Und - was für eine freudige Überraschung - uns begrüsst der perfekteste Trittfirn, den ich jemals in einer Firnwand erlebt habe! Einsinktiefe der Schuhe etwa 8cm, gerade so dass es die Waden nicht belastet, aber auch keinen Spuraufwand erfordert. Die Pickel greifen perfekt - es kann losgehen!
Jetzt gilt es, den Rhythmus zu finden und den Kopf abzuschalten. Zwei, dreimal halten wir inne, geniessen die Ruhe und die Ausblicke. Nach etwa einer Stunde sind wir nur noch wenige Meter vom Ausstieg, etwa 50 Meter unter dem Gipfel, entfernt. Leider wird hier der Schnee plötzlich doch noch schlecht: Ein Griess, von einem etwa 5cm dicken Deckel bedeckt. So setzen wir eine Schraube ins Eis, und sichern die letzten Meter auf den Grat. Auf dem Grat selber finde ich kein Eis und behelfe mir mit einem T-Schlitz - ein zwar oft geübte, aber bis jetzt noch praktisch nie angewendete Firn-Sicherungstechnik. Klappt tiptop, bald stehen wir beide sicher auf dem Grat. Ein eiskalter, starker Wind empfängt uns. Nach wenigen Minuten erreichen wir das Top des Obergabelhorns. Ziehen Daunenjacke an, Gipfelfoto, ein Schluck Tee. Dann machen wir uns auf den Abstieg.
Ursprünglich wollten wir eigentlich über den Coeur-Grat absteigen, aber der Blankeisteil lässt uns umplanen. Da der Normalweg via Wellenkuppe eine gute Spur aufweist, ist der Plan B schnell gemacht. Der Abstieg via NE-Grat gestaltet sich dank guter Spur problemlos, und nach knappen zwei Stunden stehen wir auf der Wellenkuppe, und blicken zurück auf 'unsere' Wand:
Von der Wellenkuppe ist es dann nochmals fast anderthalb Stunden, bis man endlich das Coci und den vielleicht besten Aprikosenkuchen des Wallis auf der Rothornhütte geniessen kann - und sich psychisch auf den 1600hm-Abstieg nach Zermatt vorbereiten kann...

Facts:
Obergabelhorn, N-Wand, S, 55°

Klassische, formschöne Firnwand mit etwas kompliziertem Zustieg. Der Abstieg vom Obergabelhorn darf auf keinen Fall unterschätzt werden - eine komplette ZS-Tour wartet dann noch auf einem!

Material: 6 Schrauben für den Fall der Fälle, Zackenschlingen und allenfalls 1-2 Cams für den Abstieg.

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