Montag, 21. März 2016

Couturier-Couloir

Das Couturier-Couloir an der Verte - eine der bekanntesten Firn- respektive Eistouren der Alpen auf einen der charaktervollsten Viertausender der Alpen. Bei dieser Tour ist es weniger die Schwierigkeit der Kletterstellen, sondern vielmehr die Linie als Ganzes, welche begeistert: Ein gleichmässig geneigtes, etwa 900m langes und etwa 100m breites Schneecouloir, welches sich ohne Unterbruch direkt auf den Gipfel der Verte zieht. Eine Tour, die man einfach mal gemacht haben muss. Leider ist bei dieser Unternehmung das richtige Timing eher noch schwieriger als bei vergleichbaren Touren: Die beste Jahreszeit für Firnwände in den Alpen wäre der Mai oder Juni, allerdings ist der Abstieg über den Whymper im Frühsommer bereits mit grösseren Risiken verbunden. Im Spätwinter hingegen ist das Couturier oftmals blank und deshalb kaum genussvoll kletterbar. Das erklärt wiederum, warum ich und Sophie fast fünf Jahre lang auf den richtigen Moment gewartet haben. Dieses Wochenende aber hat das Warten ein Ende.
Da die Argentière-Hütte bereits voll ist (was zu erwarten war in der Skitouren-Hochsaison), peilen wir das Couturier als Tagestour von der Bahn aus an. Für mich nicht gerade die optimale Wahl, ich hätte ein 'traditioneller' Ansatz mit Hüttenübernachtung bevorzugt. Wobei, es hat natürlich auch was für sich, in einem gemütlichen Hotelbett zu nächtigen und dann ausgeschlafen in die Tour einzusteigen. Eine Stunde vor der ersten Bahn sind wir bereits vor Ort - keine Minute zu früh, es hat schon ordentlich Tourengänger in der Warteschlange. Oben angekommen queren wir mit den Skis unter der Nordwand des Grands-Montets-Grat durch und gelangen so ohne gross zu Stöckeln bis aufs Gletscherplateau unter dem Nordsporn der Verte. Die Querung ist objektiv nicht ganz ungefährlich, aus dem riesigen Serac beim Cordier-Couloir brechen regelmässig grosse Blöcke ab. Von hier sieht man endlich auch das Couturier-Couloir direkt ein - eindrücklich!
Zuerst laufen wir mit den Skis etwa 100m hoch, danach wechseln wir auf die Steigeisen und binden die Skis auf. Den zur Zeit problemlosen Bergschrund queren wir rechts auf einer perfekten Spur. Hier die deutsche Dreierseilschaft, die uns bald überholen werden und die Tour +- seilfrei gehen (zu sagen ist, das ich persönlich nie unangeseilt über einen Bergschrund gehen würde, zu oft hatte ich in der Vergangenheit schon unangenehme Erfahrungen mit kollabierenden Bergschründen). 
Jetzt befinden wir uns in der Wand, es gilt den richtigen Rhythmus zu finden und gleichmässig zu steigen. Die Verhältnisse sind perfekt: Eine angenehme Spur mit tiefen Tritten, man steigt wie auf einer Treppe hoch. Im Bild unten sieht man die Schlüsselstelle der Tour: Unter dem Felsriegel quert man nach links, um dann etwa 30 Meter in etwa 65° steilem Styroporschnee und Blankeis dem Felsriegel entlang hochzuklettern.
Nervenstarke Bergsteiger klettern diese Stelle wohl seilfrei, wir sind hingegen froh um die sechs Schrauben, mit denen wir die Stelle parallel kletternd absichern. Nach dieser Engstelle neigt sich die Wand eher wieder etwas zurück und wir sind zurück im Schnee. Jetzt läufts wie am Schnürchen: Meter um Meter stapfen wir hoch, der Tiefblick wird immer grossartiger. Schon bald erreichen wir den unteren Rand der Kalotte. Wir steigen links der Kalotte hoch und kommen so zu einer zweiten kurzen Blankeisstelle, die wir wiederum an Schrauben gesichert parallel klettern. Die Steilheit hier so um die 50°, also verglichen mit anderen Wänden eher moderat.
Weiter oben folgt dann nochmals eine kurze Blankeisstelle, die sich wiederum gut schrauben lässt. Die Spur zieht sich bis fast unter die Gipfelfelsen, um dann nach links auf den Grat rauszuqueren. In der Querung ist der Schnee hart, wir versichern die Passage nochmals mit Schrauben, um dann endlich auf den Grat in die Sonne auszusteigen. Was für ein emotionaler Moment! Von hier aus erreichen wir in wenigen Minuten den Gipfel der Verte, es ist mittlerweile 13:45, wir haben also knappe vier Stunden für die Wand gebraucht.
Wir geniessen die Ruhe und die Wärme nach den Stunden in der schattigen, kalten Wand, bevor wir uns an den Abstieg machen. Der Whymper ist ja berüchtigt, nicht nur wegen den Steinschlages, sondern auch wegen den unzähligen Abseilern, die manchen Seilschaften schon viel Nerven gekostet haben. So werden auf den Portalen Zeiten bis zu über vier Stunden für das Abseilen herumgereicht. Wir rollen das zweite 60er-Halbseil aus und beginnen die Abseilfahrt. 
Es geht buchstäblich wie am Schnürchen - die Abseilstellen sind dank der guten Spur trivial zu finden, und es hat auch wirklich viele Abseilstellen (wahrscheinlich könnte man problemlos mit zwei 40er-Seilen abseilen). Und so stehen wir gerade mal zwei Stunden und rund 16 Abseiler später bereits am Bergschrund des Whympers (der letzte Abseiler recht eindrücklich über eine etwa 6 Meter hohe Schneelippe). Kurze Pause, dann schnallen wir unsere Skis an. Leider ist die Abfahrt wenig erfreulich: Ein extrem mühsamer Bruchharst, mit meinen Leichtskis kaum fahrbar. Aber irgendwie kommen wir runter zur Couvercle und weiter bis auf den Gletscher.
Von hier dann auf einer pistenähnlichen Spur in wenigen Minuten bis nach Montenvers. Hochstapfen nach Mottets, und auf dem Waldweg runter bis nach Chamonix, wobei wir die Skis insgesamt noch etwa 15 Minuten tragen müssen. Die Verte als Tagestour in zehn Stunden: Irgendwie frech!

Mit dieser Tour habe ich übrigens die Argentiere Nordwand Trilogie (Courtes, Droites, Verte) abgeschlossen.

Facts:
Aiguille Verte, Couturier-Couloir, S-, 65° (meistens 45°-50°), 900m.

Eindrückliche Eistour in gewohnt grandioser Umgebung. Unbedingt gute Verhältnisse abwarten, bei längeren Blankeispassagen wird die Tour wohl sehr anstrengend und mühsam.

Material: Doppelseil 60m (zum Abseilen), zwei Eisgeräte, etwa 6 Schrauben, Leichtskis.

Sonntag, 24. Januar 2016

Cogne 16

Das Highlight des Januars ist jeweils die Eiskletterwoche mit den Freunden vom SAC Albis. Viele potentielle Ziele wurden diskutiert, aber schlussendlich fällt der Entscheid fast einstimmig einmal mehr auf Cogne, dem italienischen Eisklettermekka. Bekanntermassen sind die Eis-Verhältnisse im ganzen Alpenraum äusserst bescheiden, und in Cogne hat man neben einer perfekten Infrastruktur und unkomplizierten Anfahrten respektive Zustiegen auch eine genug grosse Auswahl an Eisfällen, um eine Woche lang pickeln zu können. Arbeitsbedingt war für mich die Anfahrt erst am Montag, und deshalb die Woche leider etwas verkürzt. Am Anreisetag selber reichte Zeit gerade gut aus für eine Seillänge an der Cascade de Lillaz, respektive an der künstlich bewässerten Felswand linkerhand. Die Verhältnisse an der Cascade sind recht gut, an der Felswand linkerhand höchstens mässig, viele Routen lassen sich höchstens im Toprope vernünftig klettern.

Am Dienstag dann für mich der erste 'richtige' Eisklettertag der Saison - für mich ein ungewohnt später Einstieg in die schönste Nebensache der Welt, hat es schliesslich weder für einen herbstlichen Gully noch für eine Frühwinter-Eistour gereicht. Zusammen mit Thomas geht es ins hinterste Valnontey. Dort locken die zwei schöne Wi4-Routen "Fallo di Plutone" und "Coupe Money", die sehr selten geklettert werden und deshalb Einsamkeit garantieren. Um halb 10 - etwas spät, zugegebenermassen - laufen wir in Valnontey los. Dank einer guten Zustiegsspur erreichen wir mit den Tourenskis gute zwei Stunden später den Einstieg des linken Falles, des "Fallo di Plutone". 
Der Nachteil am Eisklettern ist, dass die 'Zwischensaison' jeweils gegen neun Monate dauert, und man deshalb das Vertrauen in die Eisgeräte und die Frontzacken jeweils neu gewinnen muss. Die erste Länge am "Plutone" verlangt mir deshalb gleich einiges ab, obschon kaum 90° steil. Das Eis ist pickelhart, die Cogne-üblichen Hooklöcher nicht vorhanden. Als ich, endlich im flachen Gelände angekommen, die Pickel ins Eis wuchte, da knallt es laut, über mir bricht ein breiter Riss auf, aus dem sich ein Schwall Wasser ergiesst. Es gelingt mir grad noch zur Seite zu springen. Nach einigen Minuten versiegt das Wasser wieder und Thomas kann mit dem Nachstieg beginnen. Die zweite Länge ist deutlich leichter, die dritte Länge über einen dicken Vorhang dafür nochmals etwas schwerer. Allerdings ist hier das Eis besser gestuft, und ich auch bereits etwas besser eingeklettert. Mit 3x abseilen erreichen wir wieder den Einstieg.

Facts:
"Fallo di Plutone", Wi4, 3SL

Abgelegener Eisfall mit zwei steilen und einer flacheren Länge. Abseilstände gebohrt.

Die Uhr zeigt halb drei, die Motivation nach wie vor ungebrochen, deshalb queren wir nach rechts zum Einstieg der "Coupe Money". Dieser Fall ist ebenfalls schön gewachsen und von der Schwierigkeit her ähnlich wie sein linker Bruder. Eine erste SL steigt Thomas bis unter den Vorhang vor, Stand an Schrauben. Es wäre auch möglich, gleich den Vorhang anzuhängen, allerdings hat man dann potentiell Seilzug und gewinnt eigentlich nichts.
Der Vorhang selber ist zwar nicht übertrieben lang (auf etwa 5 Meter 90°), allerdings ist das Eis recht röhrig und glasig. Deshalb bin ich doch ziemlich gefordert, und als mir ein Frontzacken ausbricht gibts sogar fast noch einen Abflug. Schon ziemlich ausgepowert erreiche ich das Flachstück, wo ich einen Schraubenstand einrichte. Die dritte Länge führt über schönes, recht anhaltendes Wi3+ Gelände an einen eingerichteten Stand rechts am Fels. Von hier aus erreichen wir mit zweimaligem Abseilen (in der Mitte an einer Eis-Sanduhr) den Einstieg. Es ist mittlerweile nach fünf, höchste Zeit also für den Abstieg. Dank den Skis (ja, die nutzen hier tatsächlich) erreichen wir im letzten Tageslicht Valnontey.

Facts:
"Coupe Money", Wi4, 3SL
Schöner Fall, der verschieden schwere Varianten zulässt. Der einfachste Weg checkt etwa bei Wi4 ein (bei den aktuellen Verhältnissen vielleicht eher Wi4+).

Am Mittwoch geht es zusammen mit Theo und Sophie ins Valeille. Der ursprüngliche Plan war, die unbekannten Fälle im Talgrund (80 Folgarazione 89, Avazatta oder Ecknaton) auszukundschaften. Allerdings kommen wir im mühsamen, teils zuckrigen, teils harten Schnee nur langsam vorwärts. Als wir dann feststellen, dass die Avazatta überhaupt kein Eis hat, sinkt unsere Motivation, noch weiter ins lange Tal reinzulaufen. Hingegen lockt gleich über uns ein interessanter Eisschlauch, die "Pareri Contrastanti". Also nix wie los! Der Zustiegs-Hang zieht sich ziemlich, aber schliesslich erreichen wir nach etwas über zwei Stunden den Einstieg. 
Die Kletterei entpuppt sich zwar als leicht (max Wi3), aber doch recht lohnend: Die Route verläuft in einer engen Schlucht, die an einen Chamonix-Gully erinnert. Die zweite Länge ist mit 15m bis zu 80° am schwierigsten, der Rest etwas einfacher. Am coolsten ist die vierte und letzte Seillänge, ein kaum mannsbreiter Eis-Streifen. Eindrücklich!
Als wir nach viermaligem Abseilen an gebohrten Ständen zurück am Einstieg stehen, ist die Zeit doch schon fortgeschritten, deshalb gehts gleich in die Bar in Lillaz. 

Facts
"Pareri Contrastanti", Wi3, 4 SL

Nette, leichte Kletterei, landschaftlich eindrücklich, mit allerdings etwas langem Zustieg. Bei Lawinengefahr zu meiden. Zudem kanalisiert der Gully alles Eis, deshalb ungeeignet für mehrere Seilschaften.

Am Donnerstag möchten wir mal eine völlig neue Gegend auskundschaften. So fahren wir hoch ins malerisch gelegene Örtchen Gimillan. Von hier wandern wir mit den Tourenskis ins abgelegene Hochtal Grauson. Hier locken mehrere unbekannte Fälle, unter anderem die "Oceano Polare", die laut Internet gute Verhältnisse haben soll. Nach einer Stunde stehen wir in einem einsamen Kessel, der von einem eindrücklichen Eisfall dominiert wird. Zu Fuss steigen wir ein Schneecouloir hoch bis unter den Einstieg. Dieter und Marek attackieren die rechte Seite, im Führer eben "Oceano Polare" genannt. Claude und ich hingegen steigen links ein - diese Variante wird "G.C.G. '93" genannt und ist noch etwas steiler. So können wir dem Eisschlag von der jeweils anderen Seilschaft gut ausweichen. Die erste Länge steigt Claude vor, die Steilheit ist moderat, im Bereich 70°.
Links hinter dem Vorhang macht Claude Stand. Von hier aus quere ich ein paar Meter hinter dem Vorhang durch, um ein kleines Fenster im Eis zu finden. Ich investiere ein paar Minuten, um es soweit zu erweitern, dass ich mich ohne Rucksack grad knapp durchquetschen kann. Von hier aus sind es nur noch etwa vier senkrechte Meter, die ins flachere Gelände oberhalb der Steilstufe führen, wo ich Stand mache. Die dritte, kurze Länge quert nach links an einen gut sichtbaren, gebohrten Stand. Mit 1x60m abseilen stehen wir zurück am Einstieg, und beginnen den sonnigen Abstieg zurück nach Gimillan.


Facts:
"Oceano Polare" resp. "G.C.G. '93", Wi3-4, 2-3SL

Landschaftlich eindrückliche, abgelegene Tour mit toller Aussicht auf die hohen Berge. Wobei auch hier das Verhältnis zwischen Zustiegs- und Klettermeter nicht ganz optimal ist. Recht alpines und lawinengefährliches Ambiente!

Am Freitag schlussendlich steht eine Tour mit Corina an. Geplant ist der "Grand Val" im Valnontey, einer der leichten Klassiker von Cogne. Am Einstieg angekommen treffen wir eine Dreierseilschaft, die grad abseilt. Sie meinen, der Fall sei zu stark unterspült und deshalb gefährlich. Schon werden Alternativen studiert, aber zur fortgeschrittenen Zeit sind eh schon überall Leute am klettern, und hier wären wir alleine... und so steigen wir ein, nach dem Motto "Lieber selber scheitern als sich zu früh ins Bockshorn jagen zu lassen". Und tatsächlich finden wir eine problemlos kletterbare Linie. Der Fall ist wirklich cool, ein steiler Eisschlauch in einer grossen Felsverschneidung. Hier der Blick auf die dritte Länge:
Facts:
"Grand Val" (Valnontey), Wi3, 3SL

Sehr schöne Tour in einer grossen Felsverschneidung. Der Bach führt recht viel Wasser, insbesondere die zweite Länge ist deshalb oftmals heikel unterspült. Deshalb finden sich die besten Verhältnisse oftmals in trockenen Jahren wie eben im 2016.

Am Abreisetag schliesslich greifen wir noch am "Lauson" an, ein sehr gut erreichbarer, sonniger Fall. Der direkte Aufstieg checkt etwa bei Wi3+ ein, hier teste ich im Toprope noch den kühnen Zapfeneinstieg rechts - das Eis schmilzt mir allerdings regelrecht unter den Sohlen weg!

Sonntag, 6. September 2015

Durch die Wildnis von Zanskar

Anfangs August reisen Corina und ich für einen Monat nach Nordindien. Geplant sind zwei grosse Treks im Ladakh. Wir beide kennen das Gebiet schon von einer früheren Reise, und da uns die Landschaft und die Kultur so gut gefallen haben, fällt uns der Entscheid leicht, ein zweites Mal in dieses wunderbare Gebiet zu reisen.
Für dieses Mal haben wir uns vorgenommen, das immer noch sehr abgelegene Zanskar zu besuchen. Eine anstrengende, zweitägige, holprige Jeepfahrt führt uns durch eine eindrückliche Hochgebirgslandschaft in dieses einsame Königreich, welches über die Hälfte des Jahres abgeschnitten von der Restwelt ist. Der Trek wird uns dann von Padum zuerst nach Lingshed führen, dann auf sehr einsamen Pfaden ins abgelegene Dibling. Von hier geht es über die zwei hohen Pässe Pudzong-La und Kanji-La nach Kanji unweit von Lamayuru.
In Padum haben wir einen Ruhetag eingeplant, an dem wir das Kloster Karsha besuchen. Das nächste Mal würde ich eher noch mehr Zeit einplanen, um auch noch die abgelegenen Höhlenklöster von Phuktal oder Dzongkul zu besuchen. Das Kloster Karsha ist an diesem Tag ziemlich ausgestorben, weil just an diesem Tag in Padum ein grosser buddhistischer Gottesdienst stattfindet. 

Tag 1: Rinam - Pishu (2h)
Die erste Etappe unseres Treks führt von Rinam nach Pishu. Nach Rinam gelangt man mit dem Taxi, die Piste ist zwar holprig, aber auch für 'normale' Autos noch einigermassen gut machbar. Die weitergehende Strasse ist durch den Fluss grossräumig weggespült, es wird sicher Monate bis Jahre dauern, bis sie wieder repariert ist. 
Nach Pishu sind es gerade mal zwei Stunden, man muss also nicht vor dem Mittag in Padum losfahren, um den Zeltplatz in Pishu im Tageslicht zu erreichen. Der Weg ist leicht, so im Bereich T1 bis T2, und würde sich gut zum Reiten eignen. So kann man auch gut die eindrückliche Landschaft des Zanskar-Tals bestaunen. Der Zeltplatz liegt unmittelbar neben dem Fluss, Mutige könnten an einem Sandstrand sogar im reissenden Zanskar schwimmen.

Tag 2: Pishu - Hanumil (6h)
Auch die zweite Etappe führt durch das riesige Zanskar-Tal. Wir haben uns vorgenommen, die heutige Etappe teils hoch zu Ross zurückzulegen. Die Gäule sind eher gehfaul, mehr als ein gemächlicher Trott liegt nicht drin. Man muss aber auch sagen dass wir beide nicht reiten können, vielleicht liegts auch daran :). Auch diese Etappe ist leicht und abwechslungsreich, besonders hervorstechen eine Sumpf-Passage, die auf dem Pferderücken trockenen Fusses absolviert werden kann, und die letzte Stunde vor Hanumil, wo der Weg steil und exponiert (T3) unter eindrücklichen Sandsteinwänden durchführt.
Nach etwa sechs Stunden (inklusive Pausen) erreichen wir Hanumil, eine kleine Siedlung von etwa fünf Häusern. Der Zeltplatz liegt sehr schön in einem Weidenhain, falls man noch nicht müde genug ist, bietet sich ein Spaziergang in die eindrückliche Schlucht gleich vor Hanumil an. Am Abend können wir einer diesen wundervollen Sonnenuntergänge bewundern, für die es sich lohnt nach Ladakh zu reisen!


Tag 3: Hanumil - Zinchen - Nyertse (6h)
Die heutige Etappe (T2) geht zuerst weiterhin dem Zanskar entlang. Teilweise ist der Weg eindrücklich nahe am reissenden Fluss, bei Hochwasser kann es hier problematisch werden. Eine erste Bachüberquerung nach etwa einer Stunde erfordert Stöcke, Watschuhe oder eine kurze Kletterpassage (II).
Dann folgt ein kurzer Anstieg zum Parpi-La (3900m), gefolgt von einem steilen Abstieg zur Zinchen-Brücke. Hier lockt ein Tea-Stall mit gekühlter Cola. Ein heisser Aufstieg von etwa 1.5h führt uns schliesslich zum Zeltplatz in Nyertse, in einem schönen Tälchen gelegen. Ein Bergbach lädt zum Bade, und es hat sogar ein paar (eher bescheidene) Boulderblöcke, um sich den Nachmittag um die Ohren zu schlagen.

Tag 4: Nyertse - Hanumi La - Lingshed (7h)
Dieser Tag ist wohl die strengste Etappe des ganzen Treks. Dieses liegt nicht primär an der Höhe des Passes, sondern vielmehr an den vielen Horizontalkilometer, die nach dem Pass noch bewältigt werden müssen, bis man schlussendlich Lingshed erreicht. Der Aufstieg zum Hanumi La spielt sich in einem engen Tälchen ab, es müssen sogar ein paar geröllbedeckte Altschneefelder überquert werden (T3). Für den Aufstieg auf den Pass sind etwa 3.5 Stunden einzuplanen. Hinter dem Pass entdecken wir eine Herde Ibex, einer Art Steinbock. Auf dieser Etappe gilt 'nach dem Pass ist vor dem Pass', nach dem steilen Abstieg folgt nochmals ein Aufstieg auf einen zweiten, niedrigeren Pass (1h). Von hier aus sind es dann nochmals mindestens anderthalb Stunden bis zum Zeltplatz in Lingshed, der unmittelbar neben dem Kloster liegt.

Tag 5: Ruhetag in Lingshed
Da der Ponyman am Morgen ein Pferd vermisst, machen wir heute einen unfreiwilligen Ruhetag, der allerdings recht willkommen ist. Lingshed liegt wunderschön in einer riesigen Felsarena. Die Felswände, welche gleich hinter dem Kloster hunderte Meter in den Himmel streben, bestehen mutmasslich aus rauhem, besten Hochgebirgskalk, hier gäbe es enormes Potential für Klettertouren! Da wir aber kein Klettermaterial dabeihaben, begnüge ich mich mit ein paar Boulder an den zahlreichen Blöcken in der näheren Umgebung, der wasserzerfressene Kalk ist allerdings nicht gerade Balsam für die Hände!
Wie es der Zufall will, ist heute der indische Unabhängigkeitstag, welchen die Menschen mit einem grossen Fest begehen. Den ganzen Tag über findet ein grosser Gottesdienst im Kloster statt, der untermalt ist mit Volkstänzen und Musik. Für die Handvoll Touristen auf dem Campingplatz natürlich ein eindrückliches Spektakel!

Tag 6: Lingshed - Barma La - Sumdo (6h)
Heute verlassen wir die ausgetretene Standard-Trekkingroute, welche weiter nach Photoksar führen würde. Stattdessen wandern wir ostwärts über den Barma La. Der Aufstieg führt über sanftes Weidegelände (T2) und ist zugegebenermassen etwas langweilig. Nach knappen drei Stunden erreichen wir den Pass auf 4800m. Wir besteigen noch einen etwa 100m höheren Aussichtspunkt im Süden des Passes (T4).
Spannender wird es nach dem Pass. Offenbar lassen die Lingsheder ihre Tiere nicht jenseits des Passes weiden (bald wissen wir auch warum). Das bedeutet, dass der Weg deutlich weniger ausgeprägt ist. Wir erreichen eine Art Canyon, der von eindrücklichen Felswänden gesäumt ist. Ein paar Hindernisse können entweder im Bach umgangen oder dann überklettert werden (T3-T4). 
Kurz bevor wir die grosse Schlucht der Oma Chu erreichen, passiert es: Ein Geschrei, und plötzlich springt wenige Meter vor uns ein Bär aus dem Gebüsch! Ein junger Braunbär, der wohl noch mehr erschreckt ist als wir. Was für die Ponymen wohl eher beunruhigend ist, ist für uns ein grossartiges Erlebnis, denn Wildsichtungen von Bären in Indien sind sehr selten. Sumdo ist kein eigentlicher Zeltplatz, sondern einfach ein flaches Plätzchen in der Oma Chu-Schlucht. Ein magischer, extrem abgelegener Ort, und die Möglichkeit, beim nächtlichen Toilettengang einem Bär zu begegnen, sorgt für zusätzliche Hühnerhaut!

Tag 7: Sumdo - Dibling - Pudzong La-Basecamp (8h)
Eine weitere strenge Etappe steht heute an - von der technischen Schwierigkeit her eindeutig der Höhepunkt. Die Schlüsselstelle folgt schon nach wenigen Minuten. Der Weg in der grossen Schlucht wird nur selten begangen und ist entsprechend schlecht gewartet. Bald erreichen wir eine Engstelle, wo die Felswände bis an den Fluss reichen. Hier haben wir zwei Optionen: Zum Einen könnten wir den Fluss queren. Dieser ist allerdings eindrücklich breit, reissend, fast brusttief und natürlich eiskalt. Was für die Pferde kein grösseres Hindernis darstellt, liesse sich für uns nur mit grossem Materialaufwand (Seil, Hüftgurt) und natürlich viel Leidensbereitschaft (Lufttemperatur etwa 10°, Wassertemperatur wohl um die 5°) bewerkstelligen. So schlägt unser Guide vor, die Stelle hoch über den Felsen zum umgehen. Allerdings hat es auch diese Variante in sich. Der Weg hier ist nochmals deutlich schlechter, oftmals gar nicht erkennbar. Das insgesamt sehr exponierte Terrain besteht hier aus einer Art hartem, schiefrigen Geröll, Sichern ist unmöglich und Trittfehler nicht erlaubt. Für diese Passage würde es sich allenfalls lohnen, einen Pickel mit Schaufel dabeizuhaben, um Tritte in den harten Boden zu hacken. Ein Wanderstock kann ebenfalls hilfreich sein. In der Hälfte der Passage muss kurz abgeklettert werden (II), um ein Seitentälchen zu queren. Insgesamt ist diese Passage wohl im Bereich T5+ anzusiedeln.
Nach dieser Gerölltraverse folgt nochmals eine schwere Stelle, wo der Weg in praktisch senkrechte Felsen gebaut wurde, dann aber wieder abgerutscht ist. Infolgedessen muss nochmals steil abgeklettert werden (II). Die Pferde haben es hier deutlich einfacher, sie können im Fluss gehen!
Nach dieser Aufregung wird es jetzt deutlich entspannter. Der Weg folgt jetzt dem hier offeneren, einsamen Flusstal der Oma Chu, teilweise wandern wir durch dichten Weidenwald, und am gegenüberliegenden Flussufer sichten wir sogar nochmals einen Bär! Nach der leichten Flussquerung des Kesi-Baches (Watschuhe empfehlenswert) erreichen wir bald die Blumenwiesen vor Dibling (5h) und wenig später auch dieses extrem abgelegene Dörfchen. Aber noch sind wir nicht am Ziel: Weiter geht es auf gutem Wanderweg nach Debring, über uns kreist ein Bartgeier. Hinter Debring steigt der Weg nochmals an, bevor wir das Pudzong La-Basislager erreichen. Der Zeltplatz ist dieses Mal nicht ganz so schön gelegen, es ist eine Art geröllige Kuhweide, flache und nicht-verschissene Plätze sind rar.

Tag 8: Pudzong La-BC - Pudzong La - Kanji La-BC Süd (6h)
Im Gegensatz zur gestrigen Etappe geht es heute am Pudzong La wieder einfacher zugange. Dieser Weg wird schliesslich regelmässig von den Locals begangen und ist für diese die kürzeste und einfachste Verbindung zur Strasse (wobei 'kurz' hier immer noch einen heftigen Zweitagesmarsch bedeutet). Der Weg steigt bald nach dem Abmarsch recht steil an und führt gut trassiert durch eine gerölliges Tal (T2). Da wir mittlerweile gut akklimatisiert sind, bereiten uns die gut 900hm zum 5020m hohen Pass keine grösseren Probleme. Zu erwähnen ist noch, dass der Pass leider umgeben ist von höheren Bergen, die Aussicht ist somit stark limitiert, und es gibt auch keine einfach Möglichkeit, einen Aussichtsgipfel in Passnähe zu besteigen.
Somit machen wir uns bald an den Abstieg, welcher durch ein ebenfalls gerölliges Tal über mehrere geröllbedeckte Altschneefelder führt (T3). Weiter unten erreichen wir wieder sanfteres Gelände. Die Wiesen hier sind nicht beweidet, es hat infolgedessen eine prächtige Himalayaflora. Der Grund dafür erkennen wir übrigens auf dem Wege: Wolfsspuren!
Der Zeltplatz liegt nicht im Kanji La-Tal, sondern zwei Kilometer weiter talaufwärts am Zusammenfluss des Kanji La Togpo und dem namenlosen Fluss, welcher vom Lima Lursa La herunterkommt. Um den Zeltplatz zu erreichen, ist eine nicht ganz triviale Flussquerung notwendig (Stöcke und Watschuhe notwendig).
Der Zeltplatz liegt wunderschön, für Fels-Aficinados hat es unweit des Zeltplatzes ein langes Felsbändchen, welches eine tolle, südexponierte und etwa 50m lange Bouldertraverse mit gutem Absprunggelände bietet. Am Abend wird Action geboten: Wir beobachten die Pferde, welche an einem steilen Hang oberhalb des Zeltplatzes weiden. Plötzlich rennen die Pferde seltsamerweise den Hang hoch. Mit dem Feldstecher erkennen wir den Grund: Am unteren Rand der Weide stehen zwei Wölfe! Riesenaufregung bei den Ponymen. Diese entschliessen sich, die Nacht bei den Pferden zu verbringen. Grosse Feuer sollen die Wölfe vertreiben. 

Tag 9: Kanji La - Kanji La-Basecamp Nord (7h)
Nochmals ein strenger Tag heute. Der Aufstieg zum Kanji La ist grundsätzlich problemlos, aber psychisch anstrengend. Der Pass ist schon von weit unten sichtbar, die Geröllhalden endlos lang und im losen Geröll mühsam zu gehen (T3). Zudem ist die Luft auf über 5200m dünn! Bei einer Bachüberquerung rutsche ich zudem auf den vereisten Steinen unglücklich auf und schürfe mir die Hand auf. Der Aufstieg auf den Pass dauert etwa 4h.
Auf dem Pass oben wird man allerdings für die Mühen entschädigt, es eröffnet sich eine prächtige Aussicht. Im Norden erkennt man am Horizont die hohen Berge des Karakorums, das Gasherbrum-Massiv, vielleicht sogar den K2. Nach Süden blickt man in die stark vergletscherte Kette des Great Himalaya mit unzähligen unbestiegenen 6000er.
Wenn man noch etwas Energie hat, könnte man einen etwa 5500m hohen Aussichtsberg im Osten des Passes besteigen, wo man wohl nochmals eine bessere Aussicht hätte.
Hinter dem Pass führt der Weg steil durch Geröll hinunter auf den Gletscher. Der Gletscher selber ist grundsätzlich harmlos, das blanke Eis mit guten Schuhen problemlos zu gehen (T4). Für die Pferde ist diese Passage übrigens deutlich heikler, die Ponymen umgehen den Gletscher in einer Geröllflanke. Der Zeltplatz liegt nochmals zwei Stunden weiter, in einem Seitental des Kanji La Flusses.

Tag 10: Kanji La BC - Kanji (5h)
Im Vergleich zu den gestrigen Strapazen ist die heutige Etappe deutlich gemässigter, dafür landschaftlich nochmals ein Highlight. Der Weg führt durch eine eindrückliche Schluchtenlandschaft, im schlammigen Boden lassen sich eine Vielzahl an Tierspuren erkennen, unter anderem Schneeleoparden-Spuren! Es grenzt an eine Sensation, überhaupt eine Schneeleoparden-Fährte zu sichten, die extrem seltenen Tiere selber zu sehen ist im Sommer aber praktisch unmöglich. Das Gelände ist oftmals weglos (T4), es sind mehrere Flussüberquerungen notwendig, die aber mit der entsprechenden Ausrüstung problemlos sind. Da Lobsang, unser Guide, offenbar nasse Füsse vermeiden will, zieht er es vor etwas wacklig dem steilen Flussufer zu folgen.
Später verbreitert sich das Tal, ein genüssliches Wandern in einer prächtigen, wilden Natur.
Nach etwa fünf Stunden erreichen wir das Örtchen Kanji. Der ursprüngliche Plan war, von hier aus in vier weiteren Trekkingtagen via Yogma La und Niurtse La nach Phanilla zu wandern. Da wir aber von den anstrengenden Etappen gezeichnet sind und bereits so viele Höhepunkte erlebt haben, beschliessen wir hier den Abbruch des Treks. Nach Kanji führt eine Strasse, somit lassen wir uns am nächsten Tag von einem Taxi abholen. Ein grossartiger Trek geht zu Ende!

Facts:
Zanskar Trek von Padum via Lingshed und Dibling nach Kanji, T5+ (10 Tage)

Ein einsamer Trek mit grossartigen Landschaften. Für mich der beste Trek, den ich bis jetzt gemacht habe. Recht strenge, lange Tagesetappen, der Ruhetag in Lingshed ist sicher gut investierte Zeit.

Material: Wir haben zwei paar Schuhe dabeigehabt, leichte Trekkingschuhe für die ersten vier Tage, dann hohe, stabile Bergschuhe für den zweiten Teil des Treks. Für die Flussüberquerungen sind Watschuhe und Stöcke sehr empfehlenswert. Für die Schlüsseletappe kann zumindest ein Pickel pro Gruppe gute Dienste leisten. Wenn man sich den T5+ nicht zutraut, ist eine sehr schwierige, heikle Flussüberquerung notwendig, die neben der entsprechenden Erfahrung auch Seil und Sicherungsmaterial erfordert. Eine Umgehung dieser Passage ist nicht möglich. Es kann allerdings sein, dass dieser Wegabschnitt dereinst ausgebaut wird und dann wieder deutlich einfacher zu begehen ist (am besten bei der Agentur nachfragen). Wenn man über den Kesi La anstatt über den Barma La geht, vermeidet man die Schlucht. Hingegen sei der Pass laut den Locals schwieriger zu begehen. 
Von der Jahreszeit her bieten sich die Monate Juli bis Oktober am ehesten an. Im Juli können allerdings die Flüsse noch deutlich mehr Wasser haben. Wobei, dies ist wohl hauptsächlich in der Oma Chu Schlucht ein Problem, der Kanji-Bach wird wohl auch bei Schneeschmelze nie wirklich problematisch sein. Temperaturmässig haben wir die ganze Bandbreite erlebt, von tagsüber etwa 30° bei trockener Luft bis zu frostigen -2° in der Nacht beim Kanji La Basecamp Süd. Insofern ist eine dicke Daunenjacke und ein warmer Schlafsack kein Luxus. Die Orientierung ist grundsätzlich problemlos, es empfiehlt sich die guten Karten von Olizane dabeizuhaben (in Leh ausverkauft!).
Wir haben auf dem Trek selber gekocht und ein Guide und ein Ponyman mit fünf Pferden dabeigehabt. Das Problem ist, dass der Ponyman unter Umständen in den schwierigen Etappen alleine überfordert sein kann. Dies unbedingt vorgängig mit der Agentur besprechen, allenfalls lohnt es sich in einen Hilfs-Ponyman zu investieren. Der Trek sollte unbedingt frühzeitig via eine lokale Agentur organisiert werden, es ist nicht einfach, motivierte Führer und Ponymen für dieses Unternehmen zu finden!




Samstag, 1. August 2015

Pilier au soleil levant

Der 'Pfeiler der aufgehenden Sonne', so die deutsche Übersetzung, befindet sich auf der Südseite des Mont Collon bei Arolla. Obschon der Mont Collon kein sehr bekannter Berg ist, hat doch die Route einen gewissen Nimbus. Dies alleine schon wegen der klettertechnischen Schwierigkeit vom fünften Grad, aber auch wegen der durchaus beeindruckenden Höhe des Pfeilers und der Tatsache, dass die Route komplett selber abgesichert werden muss. Die Täler im Zentralwallis bekommen zudem relativ wenig Niederschlag, deshalb sind die Gletscher und auch die Bergschründe hier deutlich kleiner als in Chamonix - auch dies ein gutes Argument, in diesem Hitzesommer für einmal mit Sophie eine hochalpine Klettertour in diesem Gebiet zu wagen. Der Aufstieg ins Refuge Bouquetins ist grösstenteils flach, führt aber durch eine schöne, wilde, aber ziemlich schuttreiche Hochgebirgslandschaft. Der Anblick der ausgeaperten Nordflanke des Mont Brule ist kein schöner Anblick! Das Biwak selber ist zweckmässig eingerichtet, mit einem Holzofen, Pfannen und Geschirr. Wir haben dennoch den Gaskocher dabei.
Am nächsten Morgen geht es um vier Uhr los, um halb sechs, im ersten Tageslicht, erreichen wir den Einstieg. Es lohnt sich unbedingt, sich bereits am Vortag beim Zustieg zum Biwak ein genaues Bild der komplexen, zergliederten SE-Wand des Mont Collon zu machen. Der Pfeiler und der Einstieg lässt sich aus der Ferne problemlos identifizieren, steht man dann am Morgen unter der Wand, ist die Orientierung praktisch unmöglich! Zudem sieht man kaum Spuren, die wenigen Steinmännchen sind halb zerfallen und kaum mehr von natürlichen Steinhaufen zu unterscheiden. 
Über eine Geröllhalde und leichte Platten (II) erreichen wir, etwas nach links ausholend, ein kleines Bändchen etwas links der Achse des Pfeilers. Hier beginnt die Kletterei. Zu Beginn ist diese noch sehr leicht, so im zweiten und knappen dritten Grad. 
Wir gehen parallel und kommen so innerhalb von einer knappen halben Stunde bereits zur nominellen Schlüssellänge der Tour, der 5a-Verschneidung. Ein gebohrter Stand (die einzige fixe Absicherung der ganzen Tour) markiert den Beginn dieser Länge. Die Fünfer-Stelle besteht aus einer kurzen, senkrechten Riss-Verschneidung, die sehr gut mit Cams absicherbar ist. 
Mittlerweile erreicht uns die Sonne ('le soleil levant...') und die vormals kalte Kletterei wird zum Hochgenuss!
Die Kletterei ist hier wieder sehr einfach, wir gehen wiederum parallel und machen schnell Höhe. Bald erreichen wir den dritten Turm, den wir rechts anstatt wie im Topo angegeben links umgehen. Der Fels ist zwar nicht überall bombenfest, aber doch meistens gut und griffig. Hier im Bild erkennt man rechts die imposante Gipfelbastion, die uns später noch etwas Kopfzerbrechen machen wird.
Wir erreichen jetzt den im Führer 'markanten Turm' genannten Gendarmen. Er wird in einer wirklich grossartigen und mit den Bergschuhen gar nicht so einfachen Seillänge erklettert. Zu Beginn eine recht knifflige Platte ohne Absicherungsmöglichkeit, gefolgt von einem etwa 8m langen Quergang nach links (hier ist das Topo aus dem keepwild wirklich hilfreich). 
Es folgt ein diagonal nach rechts oben verlaufender Riss, der +- ordentlich absicherbar ist und nochmals mit kräftiger Gegendruck-Kletterei aufwartet. Insgesamt ist diese rund 40m lange Seillänge deutlich wilder als die Rissverschneidung unten. 
Eine leichter Quergang führt uns zur aus imposanten, ausserordentlich steilen Gipfelbastion. Und hier wird auch die Orientierung deutlich komplexer. Das Topo ist hier leider auch fehlerhaft, insbesondere die Längenangaben der Seillängen. Ich klettere ein Kamin auf der linken Seite etwa 10m hoch und traversiere dann auf einem Band etwa 15m nach rechts zu einem Podest aus abgespaltenen Schuppen. Hier meint das Topo, man müsse jetzt nochmals 40m nach rechts queren. Dies ist auch was wir machen - obschon ich im Nachhinein sicher bin, dass man vom Podest problemlos hätte gerade hochklettern können (auf camptocamp ist nochmals eine andere Variante beschrieben). 
Jedenfalls queren wir jetzt auf einem grünlichen Band nochmals etwa 30m nach rechts (4. Grad), um ein Kaminsystem zu erreichen. Dieses hoch (4er). Jetzt stellen wir fest, dass wir mitten in der steilen Südwand stehen, und nicht mehr auf dem Pfeiler. Sophie klettert eine Rampe nach links, danach in bestem Fels direkt hoch (oberer 4. Grad).
Die nächste Seillänge führt über ein Bändchen nach links. Hier erreichen wir wieder die Route, an zwei Schlaghaken ersichtlich. Es geht nochmals steil und griffig hoch (oberer 4er), bevor sich der Pfeiler zurücklegt. 
Über einfaches Gehgelände (II) erreichen wir innert wenigen Minuten den Gipfel des Mont Collons. Insgesamt hat uns die Kletterei etwas über fünf Stunden gekostet, ohne den Abstecher in die Südwand wären es vielleicht noch etwas weniger gewesen. 
Der Abstieg über die Westwand ist einfach, aber etwas mühsam. Oben seilt man etwa vier mal 20-25m ab, gefolgt von mühsamem Abklettern in brüchigem Zweiergelände. Nach etwas über zwei Stunden erreichen wir den Gletscher. Dieser wartet mit ebenfalls mühsam zu begehenden Büsserschnee auf, so dass der Hatscher zur Vignettes-Hütte etwas länger dauert als vorausgesagt. Es folgt noch ein relativ kurzer Abstieg nach Arolla, wo wir pünktlich aufs letzte Posti ankommen. 

Facts:
Mont Collon, "Voie du soleil levant", III, SS, 5b, 570m Kletterstrecke

Material: Set Cams 0.5-2, Klemmkeile, Zackenschlingen, Pickel und Steigeisen. Wir haben ein 40m Einfachseil dabeigehabt, was auch für den Abstieg problemlos gereicht hat. 

Eine sehr schöne, lohnende und eindrückliche Fels-Hochtour. Aufgrund der Steilheit und schwieriger Orientierung im oberen Teil ist eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht von der Hand zu weisen. Im Vergleich zu einer Chamonix-Klettertour ist SS vielleicht etwas hoch gegriffen, aber die Kletterei ist deutlicher anspruchsvoller als am Lauteraargrat von drei Wochen.

Montag, 27. Juli 2015

Granitgrate a discretion

Neben dem Ryan- und dem Lauteraargrat habe ich in diesem Juli noch zwei weitere coole Granittouren gemacht, nämlich den Salbit Westgrat und die Traverse der Aiguilles Dorées, die ich mangels Zeit aber nicht in einem eigenen Blogeintrag detailliert beschrieben habe. Ich möchte hier aber dennoch ein paar Fotos und etwas Text zu beiden wirklich sehr schönen Unternehmungen anfügen. 

Zum Einen war da der Salbit Westgrat zusammen mit Corina. Vorgestellt werden muss die Tour wohl kaum, es ist die längste Granitklettertour der Schweiz und wohl eine der längsten Klettertouren der Alpen überhaupt. Für mich ist es das zweite Mal, dass ich diese wunderbare Tour klettern darf, und natürlich eine besondere Freude, diese Tour zusammen mit Corina angehen zu können. 
Wir übernachteten an diesem 10. Juli im Salbitbiwak, welches ziemlich voll war. Am Samstag dann ein sehr früher Start mit der Stirnlampe. Wir hatten keine Lust auf Überholmanöver, wenn wir die Ersten am Grat sind, dann können wir die ganz schnellen Seilschaften immer noch überholen lassen, ohne selber lange Wartezeiten riskieren zu müssen. Hier Corina in der sehr schönen Granitkletterei am zweiten Turm:
Der Grat ist ein stetiges Auf- und Ab, die Kletterei durchgehend von bester Qualität. Wir lassen eine italienische Führerseilschaft überholen, wirklich abhängen tun sie uns allerdings nicht. Wir sind ein eingespieltes Team und verlieren nicht viel Zeit mit den diversen Abseilmanövern.
Zu erwähnen bleibt noch ein bizarrer Vorfall: Wir haben den Turm zwei etwa um 9 Uhr erreicht. Danach hatte ich eine Weile lange nicht mehr auf meine Uhr geblickt. Als ich vor dem Turm vier wieder die Zeit checkte, zeigte die Uhr bereits 13:30 an. Irgendwie dünkte mich dies seltsam, denn die Kletterei am Turm drei dünkte mich jetzt nicht so kompliziert und zeitraubend, aber ok, es kann passieren dass man die Zeit völlig vergisst. Jedenfalls spulten wir den Turm vier (der mit der vielleicht besten Kletterei der ganzen Tour aufwartet) und fünf (die moralische Schlüsselstelle mit dem neuerdings ausgenagelten 15m-Quergang) in ordentlicher Zeit ab. Nochmals etwas Nerven sind im Pendelquergang am Hauptgipfel erforderlich:
Als letzte Prüfung kommt noch die gewaltige Seillänge über eine riesige Schuppe, welche im ersten Teil mit anstrengender A0-Kletterei und oben mit einer genialen Piazschuppe aufwartet.
Das Top erreichen wir (vermeintlich, siehe unten!) um 17:30, nach (vermeintlich) 13 Stunden. Wir machen uns zügig an den Abstieg, um in Göschenen noch eine Portion Pasta zu erhaschen, bevor wir den letzten Zug um 22 Uhr nehmen. Ausgehungert treffen wir nach fast vier Stunden Abstieg in Göschenen ein, wo Corina kurz den Fahrplan checkt - und feststellt, dass es gar nicht neun Uhr, sondern erst sieben Uhr ist! Das bedeutet nichts anderes, als dass sich meine Uhr irgendwo am Turm drei um zwei Stunden verstellt hat! Wir haben also doch nur elf Stunden für den Grat gebraucht. Tja, die zwei gewonnenen Stunden investierten wir dann in ein richtig feines Znacht in der Beiz, um diese tolle Tour gebührend zu feiern.

Facts:
Salbit, Westgrat, 6a A0, 36 SL

Material: Doppelseile 50m, Set Cams 0.5-3, Zackenschlingen (Keile kaum nötig). Steigeisen nicht nötig, gute Schuhe für den Abstieg aber empfehlenswert.

Die längste und in vielerlei Hinsicht auch beste Granittour der Schweiz wartet mit abwechslungsreicher Riss-, Piaz- und Kaminkletterei auf, und ist ein Muss für alpin orientierte Kletterer. 



Zum Anderen war da die Traverse der Aiguilles Dorées vergangene Woche mit Thomas. Das Wetter hat jetzt, gegen Ende Juli, eher auf die mühsame Seite gewechselt, mit schwer zu prognostizierender Gewitteraktivität. Deshalb war eine Tour gefragt, welche eine rollende Tourenplanung ermöglicht, jeweils angepasst an die Wetterentwicklung und die subjektive Tagesform. Die Überschreitung der Aiguilles Dorées in Kombination mit dem Aiguilles Sans Nom Südgrat war da die ideale Tour, da sie zumindest bis in die Hälfte der Tour gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Der Südgrat verspricht eine schöne Klettertour im Schwierigkeitsgrad 5c und globaler Schwierigkeit S+. Also zumindest auf dem Papier ein anspruchsvolles Ziel. 
Hier die schöne Abendstimmung von der Trient-Hütte aus.
Am nächsten Morgen starten wir um viertel vor fünf zur Aiguille Sans Nom. Dazu steigen wir am östlichen Ausläufer der Aiguilles Dorées vorbei, um über Firnhänge den Südgrat der Aiguille Sans Nom zu erreichen. Insgesamt sind etwa anderthalb Stunden Zustiegszeit einzuplanen.
Eine andere Seilschaft steigt vor uns in ein auf der westlichen Seite des Grates gelegenes Couloir ein. Uns dünkt aber der Direkteinstieg über einen roten Pfeiler irgendwie lohnender, schliesslich sind wir zum Klettern hier. Und tatsächlich, wir werden mit hübscher Kletterei im oberen vierten Grad belohnt. Allerdings wird schon hier klar, dass die Kletterei im Vergleich zu anderen Chamonix-Touren wie dem Ryan oder dem Moine Südgrat deutlich weniger zwingend ist. Dies verdeutlicht sich noch im oberen Teil des Grates. Hier klettern wir alles parallel, die Schwierigkeiten bewegen sich meist im 3. Grad und übersteigt nirgends den unteren fünften Grad. Abgesichert wird an Cams, Zackenschlingen und an einigen Bolts, die hie und da stecken. Als wir nach nur zwei Stunden Kletterzeit um halb neun die Aiguille Sans Nom erreichen, macht sich neben dem üblichen Gipfel-Hochgefühls auch eine leichte Enttäuschung breit - die versprochene anspruchsvolle Granitkrampferei im Grad 5c war irgendwie ausgeblieben. 
Nun ja, was zu tun mit dem angebrochenen Tag? Der Himmel ist noch praktisch wolkenlos und die Lust auf mehr Abenteuer noch ungebrochen. Deshalb fällt uns der Entschluss leicht: Wir hängen gleich noch die Traverse ran! 
In wenigen Minuten erreichen wir über leichten Fels (II) und zuletzt einen coolen Riss (III) den Gipfel der Tete Biselx. Hinten in etwas brüchigem Fels abklettern, eine andere Seilschaft überholen, 1x25m auf die Südseite abseilen und den nächsten Turm über ein Schuttband umgehen. Ein plattiges Grätchen abklettern, um die Bréche des Aiguilles Penchées zu erreichen. Diese werden in einer coolen Seillänge (III+) auf der Nordseite bestiegen. 
Danach wieder abklettern, die Gendarmen jeweils auf der Nordseite umgehen (wir umgehen den Gendarmen vor der Varappe auf der Südseite, was eine recht exponierten Traverse beschert). Weiter geht es über den hier sehr schönen, leichten Kraxelgrat und ein Schuttband auf der Südseite in die Scharte zwischen den beiden Varappe-Gipfeln.
Wir befinden uns jetzt in der eindrücklichen Granitblock-Landschaft zwischen den Varappe-Gipfeln. Eine weitere Seillänge führt über leichtes Gelände auf den Westgipfel der Aiguille Varappe.
Die Uhr zeigt halb zwölf, wir haben für die Traverse bis hierher also gute zweieinhalb Stunden gebraucht. Als nächstes müssen wir die Abseilpiste, die der Hüttenwart der Trient-Hütte eingerichtet hat, lokalisieren. Sie befindet sich am westlichsten Ausläufer des W-Grates der Varappe, unmittelbar bei der Abbruchkante. Von hier seilen wir 2x45m auf ein horizontales Gratstück ab. Dieses nach vorne klettern, dann nochmals 2x45m bis in den Schneesattel abseilen. Von hier sind es dann nochmals 2x45m bis über den Bergschrund. Insgesamt ein problemloser, effizienter Abstieg, der auch kaum mehr als eine knappe Stunde in Anspruch nimmt. Die Wanderung zurück zur Sesselbahn braucht dann knappe drei Stunden. Erstaunlich übrigens, wie schnell sich das Wetter dann änderte: Bis zur Orny-Hütte noch praktisch keine Wolken, dann aber innert wenigen Minuten riesige Quellwolken. Die ersten Tropfen erwischen uns dann prompt noch auf dem Sessellift...

Facts:
Aiguilles Dorées, Aiguille Sans Nom Südgrat und Traverse nach Westen, ZS+, 5a

Material: Reduziertes Set Friends, Zackenschlingen, Doppelseil für den Abstieg. Für die Traverse selber wäre wohl ein Einfachseil bequemer. Wir haben Kletterfinken am Aig. Sans Nom Südgrat angehabt, wäre aber im Nachhinein nicht nötig gewesen.

Schöne Hochtour in meist gutem Fels. Insgesamt deutlich weniger anspruchsvoll als die bekannten Granitklassiker Grépon Mer de Glace oder Ryan-Grat. Trotzdem ist effizientes Seilhandling und sicheres Gehen im mittelschwerem Gelände essentiell, um nicht viel Zeit zu verlieren. Die Kombination mit dem Aiguille Sans Nom Südgrat verlängert die Kletterei, vermeidet allerdings die schwierigste SL der Gesamtüberschreitung. Deshalb insgesamt wohl ein Tick leichter.